Wieder nichts zu tun gehabt

Matthias Zschokkes Roman "Maurice mit Huhn"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Maurice ist ein Einzelgänger, ein stiller Zeitgenosse, der lieber schreibt als spricht. Er betreibt ein Kommunikationskontor, in dem er die Korrespondenzen seiner Kundschaft erledigt. Keineswegs zufällig ist das Kontor im Norden des alten West-Berlins angesiedelt, denn auch Autor Matthias Zschokke hat seit einigen Jahren ein Büro im Stadtteil Wedding - in einer Gegend, die dem schleichenden Verfall ausgesetzt ist. Die gewachsenen Strukturen brechen weg, viele Läden schließen, Existenzen stehen auf der Kippe. "Wer es nicht schafft, rechtzeitig wegzuziehen, versickert und verendet hier", konstatiert der Protagonist Maurice, der wie sein Schöpfer Zschokke aus der Schweiz stammt und seit vielen Jahren in Berlin ansässig ist.

Der 51-jährige Autor schöpft zwar reichlich aus seiner Biografie und lässt viele präzise (authentisch klingende) Beobachtungen vom Wandel der Metropole einfließen, dennoch haben wir es nicht mit einem autobiografischen Text zu tun. Zschokke spitzt zu, zeichnet uns eine Figur, die wie eine skurrile Mischung aus Clown und Flaneur daherkommt. Sein Maurice und sein Berlin-Bild erinnern in groben Zügen an Paul Nizons liebenswerte Außenseiter, die der 25 Jahre ältere, ebenfalls aus Bern stammende Autor seit Jahr und Tag durch Paris flanieren lässt.

"Wieder nichts zu tun gehabt", klagt Maurice, der zunächst von einem auktorialen Erzähler vorgestellt wird, uns dann aber als Ich-Erzähler in intimer Nähe an seinen Gedanken und Beobachtungen teilhaben lässt. Wir erleben die Hauptfigur, wie sie von Cello-Klängen aus der Nachbarwohnung in ein geheimnisvolles Stimmungshoch katapultiert wird und wie sich danach Realität und Traum in ihren Wahrnehmungen vermischen. Ein Motiv, dem wir schon in Zschokkes letztem Erzählband "Ein neuer Nachbar" begegnet sind.

Als Kontrast zum Großstadttreiben mit ausgedehnten Besuchen im Café Solitaire fungieren Maurices Heimatbesuche im romantisch-archaisch gezeichneten Berner Seeland. Aus dem kleinen Örtchen Ins (zwischen Bieler und Neuenburger See gelegen) stammte auch der Künstler Albert Anker (1831-1910), der 1877 ein Bild mit dem Titel "Maurice mit Huhn" gemalt hat.

Ein klein wenig vom unbefangenen, kindlichen Blick des kleinen Jungen auf Ankers Gemälde hat Zschokke auch seinem Maurice mit auf den Weg gegeben, in dessen tiefsten Innern wohl ein unentdeckter Schriftsteller schlummert. Wir begleiten diesen philosophierenden modernen Taugenichts, der wie ein Nachfahre der Beckett-Figuren parliert, gebannt bei seinen assoziativen Monologen über Gott und die Welt. Zwischen Komödie, Soziostudie und verkapptem, gedankenschweren Künstlerroman hat Matthias Zschokke die Erzählgewichte präzise austariert


Titelbild

Matthias Zschokke: Maurice mit Huhn. Roman.
Ammann Verlag, Zürich 2006.
240 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3250600903

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch