Rätselhaftes Monstrum

Neues zum Titelkupfer des Simplicissimus

Von Stefanie ArendRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Arend

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kaum ein frühneuzeitliches Titelkupfer ist bekannter als das Frontispiz zu Grimmelhausens "Simplicissimus". Hubert Gersch unternimmt es in seiner kleinen Studie, dessen Besonderheiten im Kontext des Genres im 17. Jahrhundert aufzuzeigen. Etliche Bilder, die zum Vergleich herangezogen werden, sind im Anhang des Buches zu betrachten.

Das meist künstlerisch anspruchsvolle Frontispiz ist in der Frühen Neuzeit oft fester Bestandteil des Buchs. Es will Aufmerksamkeit beim Leser erregen und besitzt häufig eine Beziehung zum Inhalt, verbildlicht programmatische Aspekte in verschiedener Hinsicht, vor allem in poetologischer. Im Unterschied zum oft stereotypen Charakter frühneuzeitlicher Titelkupfer erweist sich laut Gersch das ,Monstrum' des Simplicianischen Titelkupfers, mit Fischschwanz und Flügeln, satyrartigem Kopf, mit einem Ziegenbein und einer Entenflosse, als äußert verrätselt.

Selbst das in emblematischer Form darunter gesetzte Sinngedicht trägt nicht zur Enträtselung bei, sodass die gesamte "Inszenierung [...] auf eine vorsätzliche Irreführung des Lesers" angelegt sei. Es wirke "im Ideenkontext der Zeit als Provokation" und als ein "prinzipielle[r] Widerspruch zur Idealität des Genres" eben deshalb, weil es ein Monstrum darstelle, ein unnatürliches, groteskes, deformiertes, proportional und symmetrisch verzerrtes Mischwesen, das auch im Vergleich zu anderen Darstellungen des Monströsen singulär erscheint - zudem als ein geschlechtliches Zwitterwesen, das männliche und weibliche Züge trage: Ob es sich bei dem vorgewölbten Bauch tatsächlich um eine Schwangerschaft in der 24. Woche handelt, wie der Autor ausrechnen ließ, bleibe dahingestellt. Für ihn gibt es keinen Zweifel, dass Grimmelshausen, dem man gerne zeichnerische Fähigkeiten zuschreibt, selbst die Titelbildvorlage angefertigt und es sich nicht, wie üblich, um eine Auftragsarbeit gehandelt hat. Darauf deute vor allem die für Grimmelshausen kennzeichnende eü-Schreibung auf dem Text der Banderole hin - "der Abentheüerliche Simplisissimus Teütsch" -, die sich von der eu-Schreibung des Titelblatts und der normierten Textfassung des Romans abhebe. Das philologische Detail "eü" sei "ein Charakteristikum der geschriebenen Sprache Grimmelshausens", wie ein Blick in Urkunden und Briefen zeige, wobei die Quellen jedoch nicht angegeben sind. Dieses philologische Beobachtung genügt Gersch als Beweis dafür, dass Grimmelshausen eigenhändig die Vorlage für das Titelkupfer angefertigt habe.

Die Diskussion um die Vorlage für das Titelbild wird, wie auch aus dem Anmerkungsapparat von Gerschs Studie ersichtlich, mindestens seit Anfang der 80er Jahre geführt. Das Zentrum der Diskussion ist die an sich doch unspektakuläre ,Entdeckung' der Horaz'schen Verse aus dem Anfang seiner Ars poetica als Prätext. Diese entwerfen ein ebensolches Monstrum, das hier deutlich die poetologische Funktion erfüllt, Verfehlungen des aptum in der Dichtung anschaulich zu verbildlichen. Sei dieses Bild bei Horaz ein "Warnbild", so stelle Grimmelshausen sein Bild "unter die Form- und Gestaltungsfreiheit der Satire" und erkläre damit programmatisch seine Abweichungen von Normen zum künstlerischen Gestaltungsprinzip. Das Bild bricht mit einer typischen Horaz-Rezeption in Humanismus und Renaissance, die das Fantasiegeschöpf aus der "Ars poetica" gerne als Polemik gegen ästhetische Abweichungen nutzte. Der Betrachter des Simplicissimus-Bildes wird so auf einen Text vorbereitet, der sich ästhetische Freiheiten erlaubt.

Ausführlich widmet sich Gersch schließlich den Details der Ikonografie, beispielsweise den Masken zu Füßen des Monstrums. Sie verbildlichen generell den Schein der Welt, werden aber hier "mit Füßen" getreten, da die Satire ihn durchschaut. Von Interesse ist ebenfalls das Buch, das in auffälliger Gebärde vom Monstrum gehalten wird, nämlich mit ausgestrecktem kleinen Finger und Zeigefinger, eine Geste, die ebenfalls auf die poetologische Programmatik satirischen und verspottenden Schreibens verweise. Zur Diskussion stehen schließlich die Zeichen, die im Buch selbst zu sehen und als Sinnbilder menschlichen Lebens auszudeuten sind und die in Kontrast zur Idee einer von Gott wohlgeordneten Schöpfung stehen.

Gerschs Studie gibt einen präzisen und interessanten Einblick in ein bekanntes Titelkupfer des 17. Jahrhundert. In der zum großen Teil konventionellen Interpretation überraschen bisweilen fantasievolle Deutungen. Vermutlich sind die Rätsel dieses Bilds längst noch nicht aufgelöst, geschweige denn in methodisch modernem Zugriff erfasst, wobei auch der Text des Romans dabei selbst einmal mehr in den Blick geraten könnte.


Titelbild

Hubert Gersch: Literarisches Monstrum und Buch der Welt. Grimmelshausens Titelbild zum "Simplicissimus Teutsch".
Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2004.
152 Seiten, 29,00 EUR.
ISBN-10: 3484321199

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