Unterhaltung über Mescalin

Die späte Begegnung der beiden Einzelgänger Gottfried Benn und Ernst Jünger: Jetzt wurde der schmale Briefwechsel vorgelegt

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der überzeugend aufbereitete Briefwechsel zwischen Ernst Jünger (1895-1998) und Gottfried Benn (1886-1956) erscheint pünktlich zum Gottfried Benn-Doppeljubiläum 2006. Neben Oswald Spengler war Gottfried Benn der einzige Autor, an den sich der junge Ernst Jünger in den 20er Jahren mit einem Brief gewandt hatte. Der Annäherungsversuch blieb unbeantwortet. Noch ein knappes halbes Jahrhundert später war sich Ernst Jünger sicher, dass er Gottfried Benns zeitweilige Hinwendung zu den Nationalsozialisten hätte verhindern können: "Wenn er mich 1933 konsultiert hätte, würde vielleicht manches vermieden worden sein."

Ernst Jünger wie Gottfried Benn waren zeitlebens schriftstellerische Einzelgänger, die sich um Zuordnung sinnvoller wie auch verleumderischer Art keine Sorgen zu machen brauchten. Beiden haftete der Ruch des politisch Nichtkorrekten an, beide hatten das "Dritte Reich" überlebt und versuchten in der jungen Bundesrepublik, auf je verschiedene Weise ihren Platz zu finden. Der Briefwechsel zwischen ihnen, der 1949 auf Anregung von Ernst Jünger aufgenommen wurde, stellt sicherlich für beide, wenn auch mit unterschiedlicher Akzentsetzung, einen Teil jenes Selbstvergewisserungsprozesses dar. In seinem kundigen Nachwort hat der Herausgeber Holger Hof, der auch für eine umsichtige Kommentierung der Briefe sorgte, auf die merkwürdige Tatsache hingewiesen, dass Jünger und Benn gerade während beider Berliner Jahre von 1927 bis 1933 weniger als fünf Kilometer voneinander entfernt wohnten - ohne einander je begegnet zu sein. Ein derartiges Wechselverhältnis von Nähe und Distanz kann bei diesen beiden Autoren kein Zufall sein. Nicht von ungefähr stellt sich bei der Lektüre das paradoxe Fabelbild jener sich aneinander wärmender Stachelschweine ein. Neben Geburtstags- und Urlaubsgrüßen senden sich die Schriftsteller Widmungsexemplare der eigenen Produktion zu und beglückwünschen sich mit knappen Worten. Das hinderte Gottfried Benn allerdings nicht daran, in Briefen an seinen Verleger Max Niemayer Schriften von Ernst Jünger wie den "Waldgänger" aber auch die "Strahlungen" auf das heftigste zu kritisieren. Umgekehrt weiß man von Stimmungen im Kreise um Ernst Jünger, die dazu führten, dass dort harsche, gar schneidende Kritik an Gottfried Benn geübt wurde. Gerhard Nebel riet gar dazu, Benn "das Handwerk zu legen".

Der Benn-Jüngersche Briefwechsel blieb von derlei heftigem Getöse um den Preis eher oberflächlicher und lediglich angerissener Themen und Stichpunkte ungetrübt. Beide beklagten sich zuweilen über eine charakterlose Presse und zogen sich in bewährte Gefilde einer gelehrten, universalen Ironie zurück. Der unstete Ernst Jünger kündigte seine neuesten Reiseziele an und forderte Benn wiederholt auf, ihn doch einmal an das Mittelmeer zu begleiten. Aus dem französischen Antibes an der Côte d'Azur schrieb er launig: "Ich lebe hier wieder im Schatten des Palais Grimaldi, mit Sonne, Bädern, Fischsuppen und Früchten - unglaublich angenehm. Sie sollten Alles im Stich lassen und hierherkommen" - und schließt unvermittelt mit der überraschenden Anregung: "Wir sollten uns auch einmal über Mescalin unterhalten". Erst ein halbes Jahr später hatte Benn diesen Hinweis aufgegriffen und betont, dass er "Drogen weder nehme noch genommen habe (ausser einer kurzen Episode mit Cocain im I. Weltkrieg)". Auch wenn anderes über ihn behauptet würde: "ausser Cafe und Cigaretten brauche ich keine Stimulantien".

Zu einer beiderseitigen Annäherung war es während des einzigen Zusammentreffens in Gottfried Benns Berliner Wohnung am Abend des 16. Mai 1952 gekommen. Bei reichlich Wein wurde die "Lage" besprochen, doch einem folgenden Brief von Jünger, den dieser mit "Lieber Kamerad Benn" begann, war Gottfried Benn wieder in seiner zurückhaltenden Art begegnet. Am Vorabend dieses Besuchs hatte Benn noch in "wirklicher Sorge" an seinen Verleger Niemeyer geschrieben, was er "diesem Schilderer von Weinen, Gläsern, Wohlleben u. Fischdelicatessen zum Abendbrod vorsetzen soll".

Gottfried Benn und Ernst Jünger, die oft in einem Atemzug genannt werden, wenn in Diskussionen ein ästhetizistischer Nihilismus strapaziert wird, bildeten als ungleiches Paar eher Antipoden. Gottfried Benn wusste davon, als er Ernst Jünger 1949 ein Gedicht zum Gruße widmete: "Wir sind von Aussen oft verbunden, / Wir sind von Innen meist getrennt, / Doch teilen wir den Strom, die Stunden, / Den Ecce-Zug, den Wahn, die Wunden / Dess', das sich das Jahrhundert nennt."


Titelbild

Gottfried Benn / Ernst Jünger: Briefwechsel 1949-1956.
Herausgegeben, kommentiert und mit einem Nachwort von Holger Hof.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2006.
154 Seiten, 14,50 EUR.
ISBN-10: 360893619X

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