Schauerliches

Daniel Hall untersucht deutsche und französische "Gothic Fiction"

Von Christine WederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christine Weder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine Studie zu nicht-englischen Schauergeschichten muss auf Englisch geschrieben sein. Nur auf den ersten Blick scheint paradox, dass Daniel Hall, der sich mit der deutschen und französischen "Gothic Fiction" des späten 18. Jahrhunderts ein in der Forschung unterbelichtetes Feld vorgenommen hat und so die Wahrnehmung über Romane wie Walpoles "The Castle of Otranto" oder Radcliffes "The Mysteries of Udolpho" hinaus erweitert, ausgerechnet die Sprache dieser Klassiker benutzt. Im fokussierten Zeitraum fand durch Übersetzungen und Adaptationen ein reger internationaler Austausch schauerlicher Geschichten statt. Damit lässt sich die komparatistische Anlage von Halls in der Reihe "European Connections" erschienenen Untersuchung - die methodisch generell sehr transparent ist - besonders gut begründen. Dank englischer Metasprache ist zudem ein terminologischer Boden jenseits von "Schauerroman" einerseits und "roman noir" andererseits gewonnen, auf dem dann nationalliterarische Eigenarten herausgearbeitet werden können.

Dabei bestimmt Hall "the Gothic" auf einleuchtende Weise weniger über ein Set von Motiven wie verwunschenen Schlössern, finsteren Verliesen, nächtlichen Erscheinungen oder geheimnisvollen Spiegeln, als vielmehr über eine Atmosphäre "of gloom and fear", welche die Texte beim Lesen erzeugen. Allerdings bleiben die einzelnen Analysen bisweilen etwas stark der thematisch-motivischen Ebene verhaftet. Von den jeweiligen Textverfahren, die auf "Gothic"-Stimmung zielen, würde man gerne (noch) mehr erfahren - und nicht erst im letzten Kapitel, das den "Gothic narratives" gewidmet ist. Diese Tendenz mag mit dem konsequent thematischen Aufbau der Arbeit zusammenhängen. Zwar ist es eine äußerst glückliche Entscheidung des Verfassers, die Texte nicht chronologisch oder nach Autoren geordnet zu behandeln, weil so Themen- und Motivkomplexe entstehen, etwa durch erzählerische Bezüge zur Französische Revolution oder zur Mode der Geheimgesellschaften. Doch weil in der materialreichen Untersuchung der Nachweis der Präsenz solcher Themen jeweils bei einer vergleichsweise großen Zahl von Texten erfolgt, geht die Analyse manchmal bereits zum nächsten Stück "Gothic Fiction" über, bevor der je spezifische Kontext und das charakteristische Verfahren klare Konturen erhalten haben. Weniger und dafür weiter ausgeführte Beispiele wären hier mehr gewesen, zumal es sich in vielen Fällen - programmgemäß - um kaum bekannte Texte handelt.

Bei seiner dezidierten Historisierung der Schauergeschichten sowohl hinsichtlich literarischer Traditionen wie auch soziopolitischer Zusammenhänge beobachtet Hall immer wieder Ambivalenzen und Kapriolen, die bei einem für gewöhnlich als trivial erachteten Genre überraschen mögen. So treiben etwa die "Herausgeber" im Vorwort ein ironisches Spiel mit der populären Gattung, und Reflexe auf die Revolution lassen sich manchmal nur mit Gewalt auf ein eindeutiges Pro oder Contra bringen. Gerne nimmt man die kleine Unsicherheit in Kauf, ob die Ambivalenz da und dort nicht vielleicht ein willentliches Gespinst des (allzu) wohlwollenden Interpreten sei, den die Geister der Debatte um Wert oder Unwert des Genres heimsuchen und der weiß, dass mit Zweideutigkeit alles gerettet wäre. Schließlich liest sich die unprätentiöse Studie überaus angenehm, was wohl nicht zuletzt dem Englischen bzw. der angelsächsischen Wissenschaftstradition zu verdanken ist.


Titelbild

Daniel Hall: French and German Gothic Fiction in the Late Eighteenth Century.
Peter Lang Verlag, Bern 2005.
294 Seiten, 52,00 EUR.
ISBN-10: 3039100777

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