Divers und divergent

A. J. Weigonis Lyrik als Hörbuch

Von Francisca Ricinski-MarienfeldRSS-Newsfeed neuer Artikel von Francisca Ricinski-Marienfeld

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Dichterloh": So heißt das in der Lyrikedition 2000 erschienene Hörbuch eines Dichters, der sich mit einem Brandstifter wie Nero in symbolische Verbindung bringen ließe, jedoch nie als perverser Zerstörungsästhet. A.J. Weigonis Rom ist die Poesie, deren Areale er andauernd verbeult, veralbert, verbrennt, neu verankert, verblüffend verbindet, verdichtet und sie wieder entzündet, lichterloh brennen lässt.

Als Worte wie aus Seidenkokons entbunden, sind die rigorosen Gedanken, Sentenzen und Illuminationen dieses Poesie-Schamanen das Zündholz für sein dichterlohes Hörspiel. Vor der Stimme des Rezitators als kühn beherrschtem Spielinstrument gibt es kein Entrinnen mehr, weder für Verse und Worte noch für Selbstlaute und Konsonanten oder für Satzzeichen. Weigonis eigenwillige, aber keineswegs aleatorische Einwirkung auf das vorhandene Sprachmaterial und die Herrschaft von Normen und Regeln bedeutet: in die Luft gesprengte Wortbrücken, plötzlich verwaiste Silben oder schwindlig gewordene Satzfetzen, die sich nach den Gesetzen einer persönlichen Alchemie verbinden. Neue Synergien entstehen. Die Lebenszeit und implizit das Wesen eines Wortes oder eines einzelnen Klangs dieser Performance werden nach Disposition, Anspruch oder Gespür des Künstlers verdichtet oder ausgedehnt, festgehalten, segmentiert, verflüchtigt, synkopiert, der Kern eines Verses gewaltig katapultiert oder im Gegenteil, sinnlich und leise triumphierend oder kichernd unter der Maske zur Ohrbühne geführt.

In jedem Gedicht hört man das im unbeständigen Rhythmus pulsierende Blut. Der Atem vollzieht sich in ungleichen Tempi. Wortwindungen und Windspiele behaupten sich im stetigen Sinn- und Tonwandel: zögerlich, entzaubert, absurd. Obwohl so divers und divergent, gehören diese Ohrspiele zweifelsohne zusammen. Andrasz Weigoni nennt es, nicht nur aus semantischen Gründen, "ein Kompositum in vier Akten". Sein Hörbuch ist lyrisch-theatralisches Bauwerk, polyphone Fuge und kleines Philosophietraktat in einem. Er selbst befindet sich zwischen zunehmendem Mysterium, introspektiver Metaphorik und kybernetischer Eile und doch "nirgendwo dazugehörend": "kommunikative Systeme schaffen / Psychometrien der Unruhe / setzen auf der Suche nach Linguokratie / subversive Pausenzeichen in den / Urstoff poetischer Versinnlichung & /lassen Sterne in / die Zisterne des Firmaments fallen... / > die Versenkung in / den Urzustand des Seins / entrueckt das Denken & Empfinden / je tiefer man dabei in / das Innere der Seele schaut / umso dunkler wird es..."

Bei Weigoni schläft nicht "ein Lied in allen Dingen", sondern ein Feuer: "den LebensSinn im: / Leben selbst ent / decken & // üeber Schwerstarbeit zur / Leichtigkeit kommen / verDichten: // sich Freiheiten heraus / nehmen die / es im Leben nicht gibt & / im Tod schon gar nicht."

Mit diesem poetischen feu sacre spielt er nach einem von ihm festgelegten "Laufplan": Vier Handlungen - Zuendeln / Entflammen / Verlodern / Morbidezza - in 86 Gedichten oder, anders gesagt, in einem einzigen Langgedicht (aus 86 Teilen) für seine vielen Stimmen und Stimmungen und für noch mehr Ohren und Ohryeurs...


Titelbild

A. J. Weigoni: Dichterloh - HörBuch. Ein Kompositum in vier Akten. CD.
Lyrikedition 2000, München 2005.
11,00 EUR.
ISBN-10: 3865200915

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