Doppelleben

Cora Stephan setzt unter Pseudonym ihre bundesdeutschen Sondierungen im Krimi fort

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Doppelleben scheinen furchtbar attraktiv zu sein, zumal durchschaubare. Wie sonst wäre zu erklären, dass sich renommierte Sachbuch- und Belletristikautorinnen und -autoren für ihre kriminalen Aktivitäten einen Zweitnamen zulegen, den aber dann nicht allzu geheim halten? Ein Element der viel diskutierten neuen Bürgerlichkeit? Oder Angst vor dem schlechten Renommee, das der Kriminalroman hat?

-ky/Bosetzky ist der bundesdeutsche Altvater solcher Praktiken, aber er hatte ja auch einen wissenschaftlichen Ruf zu schützen. Auch Matthias Altenburg/Jan Seghers macht auf diese Weise zwei literarische Welten unsicher, und Cora Stephan/Anne Chaplet macht es genauso. Bekannt geworden ist die 1951 geborene Wahlfrankfurterin allerdings als engagierte und kritische Autorin, die bundesdeutsche Sondierungen unternahm, Exkurse in die Geschichte der Sozialdemokratie wie Langessays zum Betroffenheitskult der 80er Jahre geschrieben hat: "Du, hör mal, du, das find ich jetzt total ...." - Sie erinnern sich? 1998 hat sich Cora Stephan allerdings ein Pseudonym zugelegt - Anne Chaplet - und bis heute sieben Krimis unter diesem Namen publiziert, für die sie viel Lob eingestrichen hat, und, wie zu hoffen ist, auch angemessene Tantiemen.

Auch wenn der Wechsel von E zu U nicht immer gelingen mag - zu unterschiedlich sind doch Schreibtechniken und Verfahren -, so ist doch wenigstens eins bei dem kriminalen Engagement von sonst so ernsthaften Autorinnen und Autoren gewährleistet: Sie wissen wenigstens, was sie tun beim Schreiben. Und das ist schon eine Menge. Wenigstens ist so ein gewisses Niveau gewahrt. Und das ist auch bei Anne Chaplet der Fall. Wenn hier einmal so viel Understatement betrieben werden darf. Ja, in der Tat, das ist ganz guter Stoff, nicht zu gewagt in Anlage und Schreibe, mit dem nötigen Pepp bei den Ausstattungen und mit einem ernsthaften Hintergrund, damit das Verbrechen wenigstens aus einem angemessenen Anlass geschieht, wie es sich immerhin gehört.

Das ist nicht immer gut für unsereins: Vor allem Männer mittleren Alters mit Vergangenheit lässt Chaplet daran glauben. Das sind jene Typen, die sich auffallend für junge Frauen interessieren, die sich damit abkämpfen, dass sie ihren Vätern immer ähnlicher werden, die auf eine verkorkste Karriere zurückblicken, von der sie nicht einmal als Karriere denken wollen, und deren Alkoholkonsum Anlass zur Besorgnis gibt. Die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" klagte jüngst noch über den mangelnden beruflichen und familiären Ehrgeiz solcher Männer: Mit denen sind wirklich keine Großfamilien oder Großkonzerne gründbar!

In "Sauberer Abgang" hat Chaplet eine Reihe solcher unangenehmer Beobachtungen gesammelt und führt sie mit allem Genuss vor. Ihr Held Will Bastian war Kulturjournalist bei der Tagespresse und hat lieber selber gekündigt, als eine Abfindung zu kassieren (wie kann man so blöd sein?). Jetzt zieht er zu seinem Vater zurück, weil er sonst nicht weiß, wohin (zu wenig Geld, aber trotzdem), was fatale Folgen für das Selbstbild hat. Der nörgelnde alte Kerl ist das Hassobjekt pubertierender Jahre, und ist doch nur noch schnurrig - und hervorragend orientiert. Es ist immer ein Fehler, seine Altvorderen zu unterschätzen. Und genauso groß ist der Fehler, sich die eigene Anhänglichkeit nicht einzugestehen. Auch Männer jenseits der Vierzig müssen noch eine Menge über sich lernen.

Wenn Will nicht mit sich und seinem Vorgänger beschäftigt ist, versucht er kleine Arbeiten an die Kollegen in Festanstellung loszuwerden, was nur zu selten gelingt. Er trifft sich mit seinen alten Freunden, mit denen er ein Geheimnis teilt. Von damals, als sie zu dem verschworenen Trupp geworden waren, der für einige von ihnen Familienersatz war und ist, damals in den aufsässigen Zeiten, damals, als Leo in den Knast ging, damals eben. Wovon heute nicht viel mehr übrig geblieben ist als das schlechte Gewissen, dass sie davon gekommen sind. Aus schlechtem Gewissen wird freilich schnell heftiges gegenseitiges Misstrauen, als einer von ihnen ermordet wird, dann noch ein zweiter, schließlich ein dritter. Dass eine Reinigungsfachfrau namens Mimi, die unter Verdacht gerät, immer dann in der Nähe ist, wenn einer der älter werdenden Jungs ins Gras beißt, macht das Ganze auch nicht einfacher. Aber Chaplet treibt die Handlung zügig voran, auf angenehm unterhaltsame Weise und, Gottseidank, der Auflösung zu, an deren Ende sogar der arme Will sich zu bewegen beginnt.

Wenn der direkte Vergleich mit "Russisch Blut", Chaplets 2005 erschienenen Krimi, irgendein Ergebnis hat, dann wohl das: Es tut Krimis nicht gut, wenn sie überladen werden. Katalina Cavic, Tierärztin auf der Flucht vor ihrer eigenen Vergangenheit auf dem Balkan, gerät aufs idyllische Schloss Blanckenburg im "Beitrittsgebiet" und mitten in eine merkwürdige Szenerie: Was suchen die Schlossbesitzer überhaupt hier? Was ist das für ein sterbenskranker alter Mann auf dem Schloss? Und was ist mit dem berühmten Archäologen? Und wer hat ihn getötet?

Chaplet mischt hier einen Sud von Liebe in den Zeiten von Flucht und Vertreibung, Balkankrieg, Nazi-Schatz, Habgier und Eifersucht zusammen, der die verschiedenen Protagonisten an- und gegeneinander treibt. Offensichtlich ist Chaplet aber in diesem Falle weniger an dem Kriminalfall, sondern mehr an den persönlichen Erfahrungen ihrer Lieblingsfiguren interessiert: an dem Paar, das sich 1945 aus den Augen verliert, an dem Sohn, der den treulosen Bräutigam der Mutter bestrafen will, an Katalina und ihrer Vergewaltigung. Die Ernsthaftigkeit solcher Erfahrungen verbietet aber beinahe schon eine Verbindung mit dem elenden Nazi-Schatz-Thema, das spätestens seit "Indiana Jones" nur noch zur Klamotte und seit "Die purpurnen Flüsse 2" nur noch zum zweitklassigen Thriller taugt.

Dass es am Ende eine Art von Familienzusammenführung und eine nachgereichte Aufklärung des letzten der Morde gibt, ist denn auch direkter Ausdruck der Schwerpunkte, die Chaplet in diesem Roman setzt. Dass er dadurch ein wenig aus der Balance gerät, sieht man ihr allerdings nach. Denn wer so wunderbares Viehzeug in seinen Romankosmos einführt wie Wotan und Zeus, den darf man ruhig loben: der eine, Wotan, ein Bullterrier, der die angenehmen von den unangenehmen Menschen zu unterscheiden weiß, der andere, Zeus, das hässlichste Hundebaby, das je das Licht der Welt erblickt hat, ein wenig tapsig, aber sehr ungehorsam. Wenn wir schon beim lieben Vieh sind: das mit den "Friesenpferden" darf man ihr übel nehmen. Habt mehr Vertrauen in eure Leser, liebe Autorinnen und Autoren, sie erkennen das Pferd im Friesen auch dann, wenn ihr sie nicht mit der Nase drauf stoßt.


Titelbild

Anne Chaplet: Russisch Blut. Kriminalroman.
Piper Verlag, München 2004.
246 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-10: 3492270727

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Anne Chaplet: Sauberer Abgang. Roman.
Verlag Antje Kunstmann, München 2006.
288 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3888974240

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