Von schweren Jungs, Radfahrern und armen Würstchen

Necla Kelek erzählt Geschichten aus der türkisch-muslimischen Männergesellschaft

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit einigen Jahren wird in Neuerscheinungen vermehrt auf die Unterdrückung der Frauen in islamischen Kulturen und Parallelgesellschaften aufmerksam gemacht. Sehr zu Recht. Necla Kelek, die erst vor einem Jahr mit ihrem Bericht über nach Deutschland zwangsverheiratete Türkinnen hervortrat, konzentriert sich in ihrer jüngsten Publikation "Die verlorenen Söhne" nun ganz auf die türkisch-muslimischen Männer. Ebenfalls sehr zu Recht.

Die promovierte Soziologin hat keine wissenschaftliche Untersuchung vorgelegt, sondern ein Sachbuch, dass eine Reihe von oft nur lose miteinander verbundenen Berichten, Essays und wie es an einer Stelle heißt "Geschichten" zusammenstellt. So erzählt Kelek etwa von einer Reise in die Türkei oder ihrem Besuch bei einem Hodscha in Deutschland. Außerdem informiert sie über das Ritual des Opferfestes, die Beschneidung kleiner Jungen und das autoritär-hierarchische Vater/Sohn-Verhältnis in türkisch-muslimischen Familien. In einem größeren Kapitel lässt sie türkisch(stämmige) Gefangene in deutschen Knästen zu Wort kommen. Und last but not least entzaubert sie die von 'liberalen' MuslimInnen im bundesdeutschen Blätterwald zur Verteidigung ihrer Religion gerne verbreitete Mär über die angeblich so sexualitätsfreundliche Haltung des Islams gründlich.

Dieser Abschnitt über Sexualität gehört zu den Wichtigsten des ganzen Buches. Die grundsätzlich sexualfeindliche Haltung des Islam zeigt sich schon daran, dass er Geschlechtsverkehr nur innerhalb der Ehe duldet, womit die Sexualität schon auf intolerable Weise reglementiert ist. Und selbst dort, so zeigt Kelek, hat Sex "wenig mit Erotik, aber viel mit männlicher Triebabfuhr zu tun". Wie könnte es auch anders sein in "verordneten Ehen", die vom "Herrschaftsanspruch der Männer" und einer kulturell bedingten "Fremdheit der Geschlechter" geprägt sind. Gemäß der islamischen Lehre, so erfährt man weiter, gilt der Geschlechtsakt zudem als "unrein". Daher sind Gläubige nicht nur dazu angehalten, während des 'Vollzugs'ein Gebet zu sprechen, sondern sich anschließend "einer Waschung zu unterziehen". Über die islamische Haltung zu gleichgeschlechtlicher Sexualität schweigt Kelek. Vielleicht, weil sie den über Schwule und Lesben verhängte und für diesen oft tödlichen Bannfluch des Islams als bekannt voraussetzt.

Nicht weniger wichtig als das Kapitel über Sexualität sind die Abschnitte über die muslimisch-türkischen Erziehungsziele und die unumschränkte Macht der Väter. Legen beide doch nicht zuletzt den fatalen Grundstein für das spätere Sexualleben der Kinder. Einem "Männlichkeitsideal" entsprechend, das von den Jungen "nach innen Gehorsam und Unterwerfung verlangt und nach außen Männlichkeit mit Stärke und Gewalt gleichsetzt" sowie unter Rückgriff auf den Koran, die islamische Sunna und auf das 'Vorbild' des Vaters, werden die kleinen Paschas dazu erzogen, sich Frauen "von Natur aus überlegen" zu fühlen.

Zu den traumatisierendsten Erlebnissen eines türkisch-muslimischen Jungen gehört Kelek zufolge die rituelle Bescheindung. Eine "schmerzhafte Erfahrung von Verlust und Erniedrigung", die viele von ihnen immer und immer wieder durchleben. Die Gemeinde der Gläubigen, die Umma, hat über ihre körperliche Unversehrtheit entschieden und nicht die Jungen selbst. Nach dieser Erfahrung, so Kelek, ist ein solcher Junge kein selbständiges und freies Individuum mehr, sondern ein "Sozialwesen, das einer Gemeinschaft gehört". Dieses "Lebensmuster" werde "verinnerlich[t]" und präge die künftige Lebenshaltung der männlichen Kinder. Kelek parallelisiert die Bedeutung der Beschneidung für die Jungen mit derjenigen der Hochzeit für Frauen, die allzu oft noch Mädchen sind: Ebenso, wie diese von den Frauen als "eine Art Vergewaltigung" erlebt werde, so die Beschneidung von den Jungen. Und - bei beiden müsse Blut fließen.

Ausführlich legt Kelek dar, wie türkisch-muslimische Jungen zu Familiendespoten erzogen und dabei zugleich zu armen Würstchen gemacht werden, zu bloßen Radfahrern, die vor den Vätern buckeln und nach ihren Schwestern treten. Auch werden sie nicht etwa zu Neugier, Eigenständigkeit oder Bildung erzogen (und Mädchen schon gar nicht), sondern dazu, sich Autoritäten zu unterwerfen und den Vater blindlings nachzuahmen. Dieser ist der Kopf der innerfamiliären Tyrannei und herrscht als uneingeschränkter "Despot" über den "Familienstaat", in dem ihm seine Söhne als "Ordnungsmacht" zu dienen haben. Eine Aufgabe, an der sie Kelek zufolge notwendigerweise scheitern müssen. Sich aus der "übermächtigen Furcht" vor dem Vater zu lösen, gelinge den Söhnen kaum und liege auch gar nicht in der Absicht der türkisch-muslimischen Erziehung. Denn es gebe kein dem europäischen vergleichbares "Modell" der Persönlichkeitsentwicklung, das die "Abnabelung" des Sohnes vom Vater vorsieht. Ergebnis einer derartigen Erziehung sind oft genug jene bekannten "muslimische[n] Jungen, die nur noch als ihre eigene Karikatur daher kommen", und die einem inzwischen in jeder deutschen Stadt über den Weg laufen. Sie sind es auch, die den "tägliche[n] Kleinkrieg der Kulturen" in die Schulen tragen.

Allerdings, so betont Kelek, gibt es auch türkisch-muslimische Männer, "die ihre Kinder anders erziehen, die ihren Kindern Liebe, Fürsorge und Nähe angedeihen lassen", wie Kelek vermutet, sogar in "große[r] Zahl". Sie fordert Kelek auf, aufzustehen und zu sagen, wie sie es machen - "je mehr, desto besser". Allerdings steht zu befürchten, dass die Resonanz auf ihren Appell nicht allzu groß sein wird.

Die Folgen der beschriebenen Erziehung zu sexistischen Tyranneisklaven offenbaren sich in den Gesprächen, die Kelek mit türkisch[stämmig]en Gefangen in einem deutschen Gefängnis führte, wobei die Autorin auch schon mal etwas zu viel Verständnis für den einen oder anderen dieser 'armen Jungs' aufzubringen scheint. So etwa für einen Gefangenen namens Adam. Der hat, wie er bekennt, mit einem Messer auf seine Frau "eingestochen". "Sie hat die Stiche überlebt, jetzt schürt sie den Hass auf mich", klagt er sie an. Und: "Hätte sie bloß nicht die Tür aufgemacht", womit er klar stellt, dass nicht etwa er schuld ist, sondern sie selbst. Schließlich hätte sie ihn ja nicht ins Haus lassen müssen. Überhaupt liegen die Fehler immer nur bei den anderen. So hätten "alle" verhindern wollen, dass sein Sohn "Verantwortung für sich selbst übernimmt" und seiner Frau wirft er in paradoxer Formulierung vor, sie habe von Anfang an "die Selbstständigkeit, die ich von ihr verlangte", als "Zumutung" empfunden. Als Kelek ihn schließlich fragt, ob er irgend etwas in seinem Leben bereut, sieht er sie verständnislos an und erklärt: "Ich verstehe ihre Frage nicht. Ich habe immer alles getan, was man von mir erwartet hat." Wie Kelek nach diesen und zahlreichen ähnlichen Bemerkungen Adams zu der Auffassung gelangen kann, er habe sich (als einziger der interviewten Gefangenen) "zu seiner Schuld bekannt" ist nicht nachvollziehbar. Auch steht dieses selbstzufriedene Bekenntnis, doch immer getan zu haben, was von ihm verlangt wurde, in merkwürdigem Widerspruch zu seinem - angeblichen? - Wunsch, Sohn und Frau mögen selbständig werden.

Den hohen Anteil türkischer Männern unter den Gefängnisinsassen erklärt Kelek wohl nicht zu Unrecht damit, dass sie nach dem Gebot der Unterwerfung unter das Familienoberhaupt leben, und unfähig blieben "eigene Schuld und damit auch die eigene Verantwortung zu erkennen". Da sie nie individuelle Freiheit kennengerlernt hätten, sei das Gefängnis für sie auch keine Strafe. Tatsächlich bestätigen einzelne Aussagen, dass sich die türkisch-muslimischen Männer in Gefangenschaft geborgener und wohler zu fühlen scheinen als in der ungewissen und anstrengenden Freiheit draußen. Im Knast gehe es einem doch "besser als draußen", erklärt einer von ihnen, denn Gefängnis sei keine Strafe sondern "Disziplinierung".

"Wir dürfen die Migranten, ihr Verhältnis zu ihren Söhnen und Töchtern, ihre Einstellung zu Glauben und Religion, zu Rechtstaatlichkeit und Demokratie nicht länger unter Naturschutz stellen", fasst Kelek ihr - wie der Untertitel des Buches lautet - "Plädoyer für die Befreiung des türkisch-muslimischen Mannes" zusammen. Migranten seien nicht "per se 'Opfer'". Mit ihnen "auf gleicher Augenhöhe zu verkehren" heiße, sich überall dort einzumischen, "wo sie den 'Geist der Gesetze' dieser Republik verletzen, aber auch jede vormundschaftliche Politik aufzugeben, die sie zu Mündel degradiert". Daher dürften Gewalt, Rassismus und diskriminierendes Verhalten nicht geduldet werden, "weder gegen Migranten noch von ihnen".

Dem ist nur beizupflichten. Aber genau hier macht sich in Keleks ansonsten recht verdienstvollem Buch ein ziemlich blinder Fleck bemerkbar, und zwar dem rassistisch-sexistischen Verhalten vieler türkisch-muslimischer Jugendlicher und Männer deutschen Mädchen und Frauen gegenüber. Zwar thematisiert und kritisiert Kelek die Unterdrückung der türkisch-muslimischen Frauen durch ihre Männer. Deutsche Mädchen und Frauen aber sind als doppelte Hassobjekte solcher Jugendlicher (und auch Erwachsener) sicher nicht viel besser dran; zumindest in Stadtteilen, die schon seit längerem von der türkisch-muslimischen Parallelgesellschaft erobert wurden. Als Frauen trifft sie der Sexismus türkisch-muslimischer Männer und Jungendlicher und als Deutsche deren Rassismus. In Schulen und Stadtteilen, wo integrationsunwillige Ausländer in der Überzahl sind, toben sich beide besonders hemmungslos aus. Schon vor einigen Jahren beklagten Natalie Immel und Sue Hermenau die Tabuisierung der tagtäglichen sexuellen Belästigung deutscher Mädchen durch ihre türkisch(stämmig)en Mitschüler. Als sie von einem Vertrauenslehrer nach dem Zusammenbruch einer deutschen Schülerin doch einmal zu Sprache gebracht wurden, musste er sich von einer muslimischen Schülerin sagen lassen: "Ihr müsst unsere Moral verstehen. Türkische Mädchen müssen bis zur Heirat Jungfrau bleiben. Für türkische Jungs sind alle Frauen, die vor der Ehe Geschlechtsverkehr haben, nichts anderes als Schlampen. Deshalb verhalten sie sich so gegenüber deutschen Mädchen. Sie werden nur zum Üben benutzt."

Üben, das heißt dann auch schon mal, dass ein brutale Horde türkisch-muslimischer (und in diesem Fall auch arabischer) Jugendlicher ein völlig verängstigtes Mädchen über ein Jahr hinweg auf der Schultoilette immer wieder gemeinsam vergewaltigt: So geschehen im Jahre 2003 an der Carlo-Schmidt-Oberschule in Berlin-Spandau. Nachdem die Sache ruchbar wurde, wurden der Bandenchef und seine Mittäter nicht etwa ins Gefängnis gesteckt oder zumindest der Schule verwiesen, vielmehr durften sie ihrem Opfer auf dem Schulhof weiterhin frech ins Gesicht grinsen.

Vielleicht handelt Keleks nächstes Buch ja auch davon, vom unter türkisch-muslimischen Männern weit verbreiteten Rassismus und Sexismus gegenüber deutschen Frauen.


Titelbild

Necla Kelek: Die verlorenen Söhne. Plädoyer für die Befreiung des türkisch-muslimischen Mannes.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006.
218 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3462036866

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