Spröde Liebschaft, flirrende Großstadt

Michael Wallners Roman "April in Paris" erzählt vom Erwachsenwerden eines unentschlossenen Wehrmachtssoldaten

Von Christine ScheiterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christine Scheiter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Von seiner Versetzung in die Rue de Saussaies bis zu seiner Verhaftung durch SS-Männer verbringt Roth, Obergefreiter der Wehrmacht, den Krieg in Paris. Zwei Jahre dient er als Übersetzer in brutalen Verhören der SS. Blut, Speichel, Urin - Alltäglichkeiten in den Räumen des einstigen Diplomatengebäudes. Skupellose Methoden lassen den regen Informationsfluss französischer Delinquenten nicht versiegen. Innerlich widerstrebend, doch tatenlos zusehend steht der junge Mann den Grausamkeiten gegenüber.

Einerseits zutiefst abgeschreckt von den endlosen menschenverachtenden Szenarien, andererseits wohl gebettet in materiellen Vorzügen, befindet er sich in einem zehrenden Spannungsfeld aus kindlichem Verdrängungsdrang und schlechtem Gewissen. Als Muse des Hauptsturmführers und Lustobjekt einer kühl-dominanten deutschen Schreibkraft gerät er zwischen reibende Fronten, wo eigene Entscheidungen nicht zählen.

Die Ostfront kocht, während Roth und Konsorten im Luxus schwelgen. Trotzdem bleiben die Schreie, Qualen, Bestialitäten alltägliche Realität, denen der junge Mann sich nur noch durch Flucht zu entziehen vermag. Er verwandelt sich in Antoine. Die einzige Möglichkeit, den Deutschen abzustreifen, dessen Wahrheit er nicht mehr ertragen kann. Im kleinkarierten Anzug, mit Blume oder Buch in der Hand, flaniert Antoine durch das lärmend lebendige Paris. Unauffällig taucht er ein in frühlingshaftes Treiben, in murmelndes, abschirmendes Stimmengewirr. Leise bewegt er sich im Kreise der Pariser, deren Sprache er akzentfrei beherrscht. Jugendlichem Leichtsinn, kindlicher Unentschlossenheit und dem bevorstehenden Sommer sich hingebend, lässt er den Dingen freien Lauf. Für französische Widerständler des Bezirks ist er allerdings ein fragwürdiger Zeitgenosse in Tagen, in denen der Untergrund brodelt. Auch die schöne Chantal, für die Antoine eine verhängnisvolle Leidenschaft entwickelt, kennt die dunklen Keller nahe der Rue de Saussaies. Geheimgänge, Vervielfältigungsmaschinen, Flugblätter lagern hier hinter unauffälligen Verschlägen. Chantal gehört zur Resistance.

"April in Paris" beschreibt aber nicht nur die Geschichte eines Liebenden. Es geht auch um das Paris der deutschen Besatzer in der Zeit vor der Invasion, um Irrungen und Wirrungen, Spekulationen, Spannungen und Gefahren, denen sich die Menschen in der besetzten Stadt ausgesetzt sahen. Und zu all dem webt Wallner aus seinem Spiel um Maskerade und Hingabe, Vertrauen und Verrat die Geschichte vom Erwachsenwerden eines jungen Soldaten hinzu.

Die Leidenschaft des Autors hingegen scheint nicht der Figur des Wehrmachtssoldaten oder seiner Liebelei zu gehören, sondern Szenerien, Stimmungen, Situationen, die er in wuchtig bildhafter Sprache lebendig werden lässt. Sie entführt den Leser ein mal in dunkelste Winkel, ein anderes mal versetzt sie ihn auf sommerlich flirrende Straßenzüge. Kraftlos, grau und spröde hingegen heben sich Wallners Charaktere von den beschworenen Atmosphären ab. Hintergründige Motive, menschliche Entwicklungen, Wandlungen und Einsichten verblassen im raschen Lauf der Handlung und sind nur schwer greifbar. Nicht die Liebeserzählung vermag zu fesseln, dafür jedoch ein frühlingshaftes Paris, dessen politischer Untergrund beschrieben wird.


Titelbild

Michael Wallner: April in Paris. Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2006.
238 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-10: 3630872212

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