Code is law

Bücher zur Geheimsprache der Computer

Von Matthias FrankeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Matthias Franke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Der Computer, mit dem dieser Artikel verfasst wurde, besitzt einen Arbeitsspeicher von 64 Megabyte." Was aber genau geschieht, wenn ein Satz über das Tastaturkabel in den Speicher gelangt, ist dem Schreibenden unbekannt. Als Computer noch mit Betriebssystemen wie DOS arbeiteten, war es einfacher, die technischen Zusammenhänge zu verstehen. "Wir sind von unseren Maschinen entfremdet", meint Charles Petzold in seinem Buch "Code. The Hidden Language of Computer Hardware and Software", um sich darauf auf 380 Seiten zu bemühen, diese Enfremdung zu mindern.

Petzold referiert seit inzwischen 15 Jahren in amerikanischen Fachzeitschriften über die hobe Kunst zu Programmieren. Dabei hat er einen eigenen kunstvollen Stil entwickelt: Petzold taucht zwar tief in die entlegensten Regionen der Technik ein, trotzdem bleibt sein Werk für Laien lesbar. "Wir haben heute die Vorstellung, dass Codes irgendwelche Geheimnisse enthalten. Das tun sie nicht. Man muss ihre Funktionsweise verstehen, um die Konsequenzen zu sehen, die Code-Systeme produzieren." So einfach stellt sich das Problem für Petzold dar.

Wo Petzolds Ausführungen zugunsten der Allgemeinverständlichkeit zu pauschal werden, beginnt Lawrence Lessig zu differenzieren. Sein Buch "Code and other Laws of Cyberspace" schildert die Konsequenzen aus der mangelnden Kontrolle über den Code. Als Jurist, der während des Monopolprozesses gegen Microsoft als Experte herangezogen wurde, erwarb sich Lessig einen beachtlichen Bekanntheitsgrad, auch an die Schlichtungsverhandlungen zwischen der Justiz und Microsoft ist er beteiligt. Auch wenn er darum bemüht sein mag, die juristischen Einzelheiten nachvollziehbar zu beschreiben, bleibt die Lektüre seines Buchs schwer. Unmengen von Literaturverweisen lassen vermuten, dass der Code des Juristischen ungleich komplexer ist als der von Computerprogrammen. Lessig spricht bezüglich des juristischen Codes vom "East Coast Code", bezüglich des Computercodes vom "West Coast Code"; gemeint ist die agile Softwareproduktion an der Westküste in ihren Differenzen mit einem konservativen Rechtssystem, das von der Ostküste stammt. Der Staatsrechtler Lessig will beide Systeme vereinen. Da durch das Internet der Software-Code und nicht mehr der juristische Code die Lebenswelten reglemtiert, müsse darauf geachtet werden, dass dieser Software-Code und nicht mehr nur das juristische System grundlegenden gesellschaftlichen und politischen Werten entspreche.

Seine Analyse führt Lessig, der in Harvard lehrt, allerdings zu pessimistischen Schlussfolgerungen: Die mächtige Konzerne der Computerbranche mißbrauchen den East Coast Code erfolgreich zur Sicherung ihrer Machtinteressen. Grundwerte wie die Freiheit bleiben dabei auf der Strecke. Lessig führt hier die Digital Millennium Copyright Act als Beispiel an. Demnach wird es unter Strafe stellt, Codes zu schreiben, die Copyright-Mechanismen unterlaufen: "Man hätte die Nutzer unter Strafe stellen können, die illegal kopieren. Das aber hielt man für schwierig und regulierte lieber den Code".In vielen Bereichen hat diese Machtverschiebung Folgen, so auch bezüglich DeCSS, einer Sofware, die Datenstreams einer DVD entschlüsseln kann. DeCSS eignet sich nicht zum Kopieren einer CD, seien Bedeutung beschränkt sich auf das Linux-Umfeld. Dennoch konnte die MPAA, der Verband der US-Filmindustrie, ein Verbot auf der Grund der Millennium Copyright Act durchsetzen. Schon die Möglichkeit, das DeCSS Mechanismen der Kontrolle unterlaufen könnte, führte zum Verbot. Bis zu der Entscheidung einer höheren Instanz ist es strafbar, eine legal erworbene DVD mit einem Linux-System abzuspielen.

Das Betriebssystem Linux wird mit dem offenen Code geliefert. Jeder Benutzer darf den Code lesen und modifizieren. Die Funktionsweise von Linux bleibt also kein Geheimnis; das Betriebsystem ist vielmehr ein Lehrbuch, wie auch der Windows-Programmierer Petzold einräumen muß. Linux spielt damit für die Ausbildung von Informatikern eine entscheidende Rolle. So waren es auch Studenten, die im Rechtsstreit mit der MPAA verlangten, die Verschlüsselungsfunktionen von DVD-Medien simulieren zu dürfen. Bezüglich des von ihnen geschriebenen Codes pochten sie auf die Freiheit des Wortes der Forschung gemäß der sonst so vehement verteidigten amerikanischen Verfassung.

Doch weder die Meinungsfreiheit noch die Freiheit der Forschung galten dem Gericht als hinreichende Gründe für eine Genehmigung des Projekts. Die MPAA zogen den Präzedenzfall des Urteils gegen die Zeitschrift "Progressive" heran, welche unter Berufung auf die Freiheit der Rede Bauanleitungen für eine Wasserstoffbombe veröffentlicht hatte. Die Entscheidung in der DeCSS-Verhandlung setzte die Programmierer den Bombenbastlern gleich. Lessig wertet das als Indiz für die Instrumentalisierung des juristischen East Coast Code durch die Interessen der Software-Unternehmen von der West Coast: "Die Eigentumsverhältnisse der neuen (Software-)Architektur sind in dem Code eingebettet, den Programmierer heute schreiben. [...] Die politischen und ökonomischen Kräfte werden alles versuchen, diesen neuen Code auf den alten Code zu lagern, der die Kontrolle von Transaktionen und die Überwachung von Identitäten gestattet."

Zu den fleißigsten Lobbyisten der MPAA zählt ihr Präsident Jack Valenti. Er kündigt zuweilen gar den Untergang der abendländischen Kultur an, wollte Software wie DeCSS legalisieren. Mit einer derartigen Argumentation trat Valenti ersmals in den achtziger Jahren auf, als er die Betamax-Technologie der damals neuen Heim-Videorecorder bekämpfte. Die Verbreitung des Betamax-Standards konnte er verhindern - heute arbeiten Videorecorder mit dem minderwertigen VHS. Mit VHS-Videoproduktionen erreicht die Filmindustrie mittlerweile Milliardenumsätze; selbst die Vertreiberketten sind nach solch erfolgreicher Lobby-Arbeit Mitglied der MPAA geworden.

Trotz solcher Entwicklungen hoffnungsvoll zu bleiben, gelingt wohl nur Andrew Shapiro. Shapiro glaubt an die Macht der Anwender, die im Internet kooperieren können, um ihre Interessen gegen die Lobbyisten und Institutionen durchzusetzen. Das Buch "The Control Revolution" des an der Columbia Law School lehrende Shapiro nimmt damit die Gegenposition zu Lawrence Lessigs ein. Shapiro geht davon aus, dass Organisationen wie der Electronic Frontier Foundation (EFF) langfristig Änderungen der Politik erreichen werden (die EFF gewährt im DeCSS-Prozess juristische Hilfe). Die Zukunft wird zeigen, ob diese Hoffnung berechtigt ist.

Titelbild

Charles Petzold: Code. The Hidden Language of Computer Hardware and Software.
Microsoft Press, Redmond 1999.
400 Seiten, 28,70 EUR.
ISBN-10: 073560505X

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Lawrence Lessig: Code and other laws of Cyberspace.
Basic Books, New York 1999.
230 Seiten, 30,80 EUR.
ISBN-10: 046503912X

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Andrew L. Shapiro: The Control Revolution.
Public Affairs, New York 1999.
286 Seiten, 25,70 EUR.
ISBN-10: 1891620193

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