Von China bis Böhmen

Dschingis Khan und seine Erben in einem opulenten Ausstellungskatalog

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein wichtiger Mann, der Herr Temüjin. In Beli'ün Boldaq, am Ufer des Flusses Onan, wurde er geboren, sein Vater war Yisügei Ba'atur von den Borjigid, seine Mutter Hö'elün vom Clan der Olqunu'ut. Nach all diesen Zungenbrechern wird man erleichtert sein, wenn man den berühmten Sohn auch als Dschingis Khan bezeichnen kann, Herrscher über ein Weltreich, Anführer einer zerstörerischen Armee auf kleinen struppigen Pferden, der Mongolen.

Bislang dachte man, sie wären nur eine Horde von Reitern, die durch halb Europa raste und alles verwüstete, was sich ihr in den Weg stellte. Aber wer war Dschingis Khan wirklich? Die historische Figur ist nur recht mühsam aus all den überhöhten Bildern, aus den Famen und Legenden herauszuschälen. Wo die Mongolen selbst ihn natürlich immer verherrlichten, schmähten ihn seine Feinde. Für seine Untertanen und Nachfahren war sogar seine Herkunft mythisch: Seine Urahnen waren ein grauer Wolf, vom Himmel gezeugt, und eine Hirschkuh, heißt es in einem halb mythischen Geschichtsbuch, der "Geheimen Geschichte" - natürlich: nur wer vom Himmel geführt wird, kann solche Taten vollbringen. Für die persischen Geschichtsschreiber dagegen war der "Herr über Throne und Kronen" der "mächtige Schlächter" oder schlicht "furchteinflößend, blutrünstig und grausam". Aber selbst seine Gegner müssen seine Leistungen anerkennen und loben seine Führungsqualitäten, seine Kenntnisse in Stratege und Taktik, und sogar seine gerechte Herrschaft, seine Weitsichtigkeit und seine Weisheit, seine Tapferkeit, Tatkraft und seine Menschlichkeit im normalen Umgang.

Dschingis Khan wuchs als Halbwaise auf. Eigentlich stammte er aus einer einflussreichen Familie. Aber nach der Ermordung seines Vaters verarmten sie, seine Mutter zog die fünf Kinder allein auf. 1175 nahmen ihn die Tataren gefangen, er konnte aber fliehen. Durch seinen Mut gewann er schnell neue Gefolgsleute, auch den Khan der Kereyid und den wichtigen Fürsten Dschamucha. Sein Aufstieg war sensationell. Und ab jetzt zählte nicht mehr die soziale Herkunft, sondern nur noch die persönliche Leistung. Ab 1196 sammelte Dschingis Khan seine Männer um sich, kämpfte gegen die Nachbarn und schaltete alle Rivalen aus. Es war seine große Leistung, alle Mongolen zu einigen. Seine Erfolge hörten nicht nicht so schnell wieder auf: 1232 zog er in Georgien und Armenien ein, zwei Jahre später brachte er das Land der Jin-Dynastie in China unter seine Kontrolle, 1241 besiegte er in Böhmen ein großes deutsch-böhmisches Heer. Bis dahin hatte er das größte Reich der Geschichte erobert: vom Pazifischen Ozean bis Mitteleuropa. Erst sein Tod im selben Jahr unterbrach die Eroberung Europas: Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn er gesiegt hätte.

Aber diese kriegerische Geschichte ist nur ein Teil der Wahrheit. Denn die Mongolen herrschten nicht nur durch Blut, Schweiß und Tränen, sondern auch durch ein effizientes System der Verwaltung. Sie förderten den Handel, schufen ein modernes Pass- und Kurierwesen und sorgten mit der religiösen und kulturellen Toleranz dafür, dass sich viele Völker mit ihnen arrangierten: Bis ins 16. Jahrhundert hinein blühte der Handel zwischen Europa und Asien, ein umfassender zivilisatorischer Austausch fand statt, der hierzulande noch viel zu wenig bekannt ist.

Ein neues Buch zu einer großen Ausstellung, die gerade durch Deutschland tourt (seit März ist sie in Wien zu sehen), stellt das Reiter- und Steppenvolk auf umfassende und überraschende Weise neu vor. Viele unbekannte Details werden ausführlich erläutert: die Reitsättel aus Holz, mit Schafsleder überzogen und mit Hammelfett imprägniert, die Bogen und Rüstungen, die Merkmale eines guten Pferds (u. a. "dichte Augenbrauen"), die Stachelfallen und Granaten werden gezeigt und erklärt. Aber auch die friedliche Kultur mit ihrem gut funktionierenden Postwesen und dem Papiergeld, den Teeschalen und reich dekorierten Tellern, der Tuschmalerei und Seidenbearbeitung. Oder dass sich die Mongolen auch auf religiöse und kulturelle Toleranz stützten: Christ, Jude, Muslim, Schamane? Das war egal, so lange man die Herrschaft des Khans anerkannte. Die Mongolei ist eben nicht nur ein Land der sehnsüchtigen Leere, der windbestrichenen Steppe und der weinenden Kamele, es ist auch eine uralte Wiege der asiatischen Kultur. Und das ist denn doch neu.


Titelbild

Dschingis Khan und seine Erben. Das Weltreich der Mongolen. Katalogbuch zur Ausstellung in der Kunsthalle Bonn.
Hirmer Verlag, München 2005.
432 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3777425451

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