Beeindruckende Sprachbilder

Rainer Braunes Roman "Die Drachenwerft"

Von Clemens SökefeldRSS-Newsfeed neuer Artikel von Clemens Sökefeld

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Buch, das mit folgendem Satz beginnt: "Früher war ich unsterblich", lässt den Leser erschrecken. Entweder es ist ein furchtbarer Flop, oder dahinter verbirgt sich die literarische Erfüllung. Eine andere Wirkung als eine extreme Konsequenz scheint unausweichlich. Zum Glück ist Rainer Braune in seinem zweiten Roman das anscheinend Unmögliche gelungen: Er hat ein wunderschönes Buch geschrieben, ohne eines der Extreme zu bemühen.

Ein Kind wächst in einem Örtchen am See in einer vermeintlichen Dorfidylle auf, die geprägt ist von der tumben Engstirnigkeit der Schulkameraden, Eltern und Lehrer. Dieser Welt muss etwas entgegengesetzt werden: die märchenhafte Schöpfung der Phantasie.

Die Vorstellung von der Unsterblichkeit bewahrheitet sich zunächst, denn die vielleicht vergifteten Naschereien von der alten, vermeintlichen Kindermörderin können dem Bub nichts anhaben. Er überlebt die selbst ausgedachten Attacken schadlos.

Doch in Wirklichkeit ist der Tod allmächtig. Er erwischt sowohl die schrullige Alte als auch seine erste und einzige Kinderfreundin. Ansonsten bleibt er allein, die dümmlichen Mitschüler können keine Bindung zu dem außergewöhnlichen Altersgenossen finden.

Die einzige kulturelle Betätigungsmöglichkeit in dem kleinen Nest ist die Dorfkapelle. So ist es das erste Ziel des Jungen, dort mitspielen zu dürfen, um sich vor den anderen beweisen zu können. Die Eltern sind arm und der Metzger schenkt ihm eine Geige, da sein Sohn keinerlei Begabung zum Musizieren hat. Der Junge legt schnell eine begeisternde Virtuosität an den Tag, doch seine Art, die Geige zu halten bleibt einzigartig. Der Kapellmeister, der ihm das Geigenspiel beibringen sollte, hat nur ein Übungsbuch für die Querflöte, so dass der Junge die Geige wie eben ein Blasinstrument hält und daher den Bogen gar ungelenk führt.

Dennoch ist es die Musik, die ihm die notwendige Flucht aus der für ihn zu kleinen Welt ermöglicht. Er beginnt eine Ausbildung auf einem Konservatorium in der Großstadt.

Bald muss er seinen Musiklehrer beerdigen. Sie reisen zur Inszenierung seines Sterbens nach Frankreich. Anschließend lernt er am Strand die erste große Liebe kennen, die sich kurz darauf das Leben nimmt, als Pfleger kommen, um sie zurück in die Irrenanstalt zu bringen.

So zieht sich ein roter Faden durch das Leben dessen, der sich für unsterblich hielt: Die, die er liebt, sterben. So windet sich der furchtbare Drache "Tod" durch sein Leben, und er selbst überlebt.

In fantastischen Bildern schildert Braune das Leben eines Mannes der die Liebe sucht und dem sie immer gleich genommen wird. Zwischen Ironie und Sarkasmus, mal brüllend komisch und mal zu Tränen rührend lässt Braune seinen Antihelden durch traumhafte wie dämonische Szenerien wandeln, ständig auf dem Weg und doch immer weit weg von einem Ziel.

Während man sich von dieser Welt gerne gefangen nehmen lässt und sich mit auf die Reise durch das Leben des jungen Musikus begibt, liegt hierin die einzige bemerkbare Schwäche des Buches. Wenn doch der Protagonist sein Ziel nie findet, wie kann seine Geschichte dann enden? Und so bleibt der Leser ein wenig zurück wie ein Kind, dass sich die Süßigkeitsauslagen angucken, aber nicht zufassen darf.


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Rainer Braune: Die Drachenwerft. Roman.
Gustav Kiepenheuer Verlag, Berlin 2006.
283 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3378006714

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