Habe keine Sensationen zu bieten

Zum 70. Geburtstag des Schriftstellers Lars Gustafsson

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Er hat mehr als 60 Bücher veröffentlicht (Romane, Gedichte, Essays, Theaterstücke und wissenschaftliche Aufsätze), lehrte mehr als zwanzig Jahre Philosophie an der Universität Austin und gilt als einer der bedeutendsten europäischen Gegenwartsschriftsteller. Doch der Schwede Lars Gustafsson übt sich dennoch in vornehmer Bescheidenheit. In seinem 1996 erschienenen autobiografischen Band "Palast der Erinnerung" notierte er: "Ich fürchte, verglichen mit anderen Schriftstellern meiner Generation, keine Sensationen bieten zu können."

Dabei ist Lars Gustafsson, der Philosophie, Ästhetik, Soziologie, Mathematik und Literaturgeschichte in Uppsala und Oxford studierte, einer der letzten großen Universalgelehrten unter den zeitgenössischen Autoren. In seiner Heimat hat er es als Schriftsteller zunächst nicht einfach gehabt, weil er sich in seinen Romanen der 70er Jahre äußerst kritisch mit der schwedischen Sozialdemokratie auseinander gesetzt hat. Fünf Romane aus dieser Zeit hat der Hanser Verlag nun in einem opulenten Sammelband unter dem Titel "Risse in der Mauer" neu aufgelegt.

Lars Gustafsson, der vor 70 Jahren im mittelschwedischen Västeras als Sohn eines Vertreters für Nähmaschinen und Staubsauger geboren wurde, bekennt heute im Rückblick, eine trostlose Kindheit verbracht zu haben und beklagt im gleichen Atemzug, die grassierende literarische Unsitte der autobiografischen Verklärung von Kindheit und Jugend.

Gustafsson, der sich selbst gern als "Reisender" bezeichnete, genoss nach einer längeren Zwischenstation in Berlin seine Jahre als Philosophiedozent in Texas: "Ich fühlte mich immer wie unter Gleichaltrigen. Ich genieße die Nähe zu jungen Leuten, sie inspirieren mich, geben mir Kraft." Möglicherweise entwickelte sich aus dieser Affinität zur Jugend auch sein eigener, unverwechselbarer Tonfall: die Gabe, schwergewichtige philosophische Fragestellungen in einen federleichten Erzählrahmen zu kleiden. Anders als eines seiner großen Vorbilder, der Franzose Albert Camus, den Gustafsson 1960 als junger Mann am Rande der Nobelpreisverleihung kennen- und schätzen gelernt hat. Franz Kafka und Ludwig Wittgenstein bilden weitere wichtige Orientierungspole in der literarisch-philosophischen Entwicklung des Schweden.

Doch dieses prominente Trio hat Gustafsson in mancherlei Hinsicht auch überwunden. Er hat, was er in einem ironischen Anflug einmal bedauerte, vielleicht zu viel veröffentlicht und seine Ideen "wie mit einem Kaffeelöffel verteilt". Mehr als drei Bücher geschrieben zu haben, gelte in Cambridge schon als vulgär. Und in diesen nicht immer ganz ernst zu nehmenden Gedanken taucht der hintersinnige Humorist Gustafsson auf.

Er hat ein gigantisches Œuvre vorgelegt, das von "Herr Gustafsson persönlich" (1972) über so exzellente Romane wie "Der Tennisspieler" und "Nachmittag eines Fliesenlegers" bis hin zum Schlussband seiner Amerika-Trilogie, "Der Dekan" (2004), reicht. Häufig tauchen darin Figuren auf, die Lars heißen und 1936 geboren sind: "Ich fände es langweilig, nur eine Figur zu sein." Nach mehr als einem Vierteljahrhundert Abwesenheit hat der passionierte Tennisspieler Gustafsson seinen Lebensmittelpunkt wieder nach Schweden verlegt, und es bleibt zu wünschen, dass die schwedische Öffentlichkeit und auch die Stockholmer Nobelpreisakademie Frieden schließen mit dem bedeutendsten Schriftsteller ihres Landes.