Manche mögen's Wilder

Billy Wilder zum 100. Geburtstag

Von Michaela NaumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michaela Naumann

Jack Lemmon und Tony Curtis in Frauenkleidern ein Gleis entlang laufend. Marilyn Monroe über einem Luftschacht mit wehendem Rock oder singend mit "I'm thru' with Love". Liselotte Pulver, Horst Buchholz und James Cagney im Nachkriegsberlin. Barbara Stanwyck und Fred Mac Murray als kaltblütiges Mörderpärchen. Gloria Swanson, wie sie eine Treppe hinabsteigt oder sagt "I am big; it's the pictures that got smaller". Marlene Dietrich als Nachtclubsängerin und Mörderin. Audrey Heburn als Chauffeurstochter Sabrina, die in den reichen Millionärssohn verliebt ist. Der geistige Vater all dieser Figuren und Filme wäre am 22. Juni 2006 100 Jahre alt geworden: Billy Wilder!

Seine Art, Süß und Sauer zu kombinieren, der Wiener Schmäh und der kühle, direkte Berliner, Zynismus und Sentimentalität - die viel zitierten Gegensätze bleiben in seinen Filmen erhalten und dienen als Brücke zurück in ein anderes Hollywoodzeitalter. Wilder, 1906 im damals österreichischen Galizien geboren, kam mit Anfang 20 nach Berlin, wo er zunächst als freier Journalist arbeitete, bevor er anfing Drehbücher zu schreiben. 1930 arbeitete er mit einigen anderen jungen Männern an einem Filmprojekt, dass als ein Spaß begann und zu einem der bedeutendsten Filme dieser Zeit wurde: Die Männer waren Curt und Robert Siodmak, Edgar G. Ulmer und Fred Zinnemann, der Film "Menschen am Sonntag". Wilder schrieb weitere Drehbücher, darunter das für Erich Kästners "Emil und die Detektive" (Gerhard Lamprecht 1931), bevor er 1933 nach dem Reichstagsbrand über Paris nach Hollywood emigrierte. Dort angekommen war er in guter Gesellschaft, gehörte zu der Gruppe immigrierter Filmregisseure, die den Hollywood-Film, speziell die Komödien, entscheidend beeinflusst haben. Durch seine europäische Herkunft war es ihm möglich, das amerikanische Lebensgefühl unbefangener und distanzierter zu beobachten und zu beurteilen als es einem amerikanischen Regisseur möglich gewesen wäre. In einer Umgebung, in der die meisten davon überzeugt waren, es sei besser, mit politischen Ansichten zurückhaltend umzugehen, bekannte sich Wilder frei heraus. Im Laufe seiner Karriere gelang es ihm, fremd genug zu bleiben, um interessant und aufmerksam zu sein und amerikanisch genug, um zu wissen, wie weit er gehen konnte.

Zu den Film-Exilanten gehörte auch Wilders erklärtes Vorbild Ernst Lubitsch. Für zwei der erfolgreichsten Drehbücher Lubitschs - "Bluebeard's Eighth Wife" (1938) und "Ninotschka" (1939) - schrieb er die Drehbücher zusammen mit einem seiner langjährigen Drehbuch-Partner Charles Brackett. Der zweite sollte I. A. L. Diamond werden. Von Lubitsch lernte er den Umgang mit Alltagsgegenständen, nebensächlichen Bildelementen, die zu Bestandteilen einer Figurenidentität werden, den gezielten Einsatz von Bildkürzeln und symbolisch konnotierten Objekten. Darüber hinaus verband sie der "Jewish Slapstick", die "Berliner Kodderschnauze" und der Drang, Unterhaltsames, Komisches zu produzieren. Nach einigen Erfahrungen mit anderen Regisseuren begriff Wilder, dass seine Drehbücher nur dann nach seinen Vorstellungen umgesetzt werden würden, wenn er selbst Regie führen würde. Die Chance dazu bekam er 1942 mit "The Major and the Minor". Nach seinem erfolgreichen Regiedebüt wurde sein Traum Realität. Mit seinem dritten Film, "Double Indemnity", für den er mit dem Schriftsteller Raymond Chandler das Drehbuch schrieb, versammelte er bereits 1944 die sozialsatirischen Elemente, die sein Werk prägen sollten - und schrieb mit einem der ersten 'Film Noir' Filmgeschichte.

Die Kunst des Erzählens, des Beobachtens und Wiedergebens beherrschte er bereits als Journalist in Berlin. Spielerisch die Regeln variieren? Er wechselte zwischen den Genres und vermischte sie. Wilders Filme loten stetig die Normen aus, treiben sie an ihre Grenzen oder darüber hinaus. Ein Anfang wie in "Sunset Boulevard" (1950), bei dem ein Toter die Geschichte erzählt oder ein Ende wie in "Some like it hot" (1959), wenn Jack Lemmon und Joe E. Brown in eine gemeinsame Zukunft fahren, machen den ungewöhnlichen, spielerischen Umgang mit den Konventionen in ihren Variationen deutlich.

Ungewohnte Filmstile, Themen und Sichtweisen - Billy Wilder hat sich über fünf Jahrzehnte dem Film und dem Geschichtenerzählen verschrieben. Mit seinem Blick auf die Menschen bietet er seinem Publikum die Möglichkeit neue Perspektiven auf die Welt zu erlangen. Dabei ist seine Sichtweise geprägt durch seinen Wahrheitsanspruch und seine Beobachtung der Menschen, gerade als Fremder in einem Land, das im Laufe der Jahre zu seiner Heimat wird. Mit seiner Themenwahl war er seiner Zeit weit voraus. Mit "Stalag 17" (1953) nahm er Filme wie "M*A*S*H" (Robert Altman, 1970) und mit "Some like it hot" Filme wie "Tootsie" (Sidney Pollack, 1982) oder "To Wong Foo" (Beeban Kidron, 1996) vorweg.

Sein Anliegen war es zu unterhalten und bloß "nicht zu langweilen". Durch seine große narrative Gabe schaffte er großartige Filme voller unvergesslicher Bonmots und Szenen, die bis heute präsent sind. Das ist es, was bleibt - seine Filme. Auch wenn im Laufe der Dekaden Wilders Filme immer weniger wirken. Werte, Ansichten und Tabuthemen verschieben sich, Action und Blockbuster sind gefragt. Zu schockieren und zu begeistern wissen immer mehr andere, Wilder immer weniger.

Heute verkörpern seine Filme das Ideal des klassischen Hollywood-Kinos voller Eleganz, Esprit und Leichtigkeit. Auch wenn er zu begeistern und zu beeindrucken vermochte, auch mit kritischem Blick, galt er wenigen als Filmkünstler, mehr als Entertainer. Die Anerkennung als großer Filmemacher kam, trotz seiner 21 Academy Award-Nominierungen, seiner sechs Oscars und zahlreichen weiteren Auszeichnungen, erst sehr spät.

Als er 2002 starb, häuften sich die Lobeshymnen, man trug den "letzten Großen einer Ära" zu Grabe, man hatte "einen Meister der Satire" verloren, einen komplexen und widersprüchlichen Künstler, einen Menschenkenner und -liebhaber, einen Zyniker und romantischen Realisten. Es grenzt an Ironie, dass Wilder die Ehrungen und Retrospektiven erst dann zu Teil wurden, als Amerika ihn als einen älteren, respektablen Bürger ansehen konnte und sich seines Film-Erbes bewusst wurde. Zu oft hat er an der Oberfläche gekratzt, seine Finger in Wunden gelegt und beständig bestehende Wertvorstellungen, den amerikanische Traum angegriffen. Seine Filme waren bissig und die Themen für die Zuschauer oftmals an der Grenze zum guten Geschmack angesiedelt. Die Themenwahl und deren Umsetzung widersprachen der Auffassung, das Publikum gehe ins Kino um den Alltag zu vergessen. Wilder kredenzte Wahrheiten, die vielen Zuschauern zu direkt waren.

So ereilte den Skeptiker schnell der Ruf des Zynikers. Wilder inszenierte ein Massaker am Valentinstag ("Some like it hot") und zeigte geldgierige, gerissene Kriegsgefangene ("Stalag 17"). "The Lost Weekend" (1945) setzte sich zum ersten Mal ernsthaft mit dem ebenso weit verbreiteten wie verpönten und verleugneten Thema des Alkoholismus auseinander. "Sunset Boulevard" war ein Angriff auf den eigenen Arbeitgeber - die Traumfabrik Hollywoods und die Geschehnisse hinter der Glitzerfassade. Mit "Ace in the Hole" (1951) und "The Front Page" (1974) geriet die Sensationsgier der Presse und deren Methoden ins Visier, in "A Foreign Affair" (1948) der US-Kongress. "The Seven Year Itch" (1955), "The Apartment" (1960), "One, Two, Three" (1961) oder "Kiss me, Stupid" (1964) nahmen nicht nur das Streben nach Erfolg um jeden Preis unter Beschuss, sondern thematisierten auch die Schein- bzw. Doppelmoral hinter der sakrosankten Ehe. Moralisten und religiöse Vertreter stießen sich regelmäßig an seinen Filmen, zumal Wilder auch sexuelle Themen taxierte: Pädophilie ("The Major and the Minor"), Travestie, Homosexualität und Impotenz ("Some like it hot"), Partnertausch ("Kiss me, Stupid"), Kuppelei ("The Apartment") und Prostitution ("Irma la Douce", 1963). Er setzte Beziehungen zwischen einer alternden Diva und einem jungen Mann ("Sunset Boulevard") ebenso filmisch um wie zwischen einem alternden Gigolo und einem jungen Mädchen ("Ariane - Love in the Afternoon", 1957).

Zur bereits durch die Themenwahl ausgelösten Verwirrung kam das Einsetzen beliebter Stars in Rollen hinzu, die auf das damalige Publikum schockierend wirken mussten. Er verwendete die Rollen- bzw. Lebensgeschichte der Schauspieler als Projektionsfläche, die er spielerisch einsetzte. Seine Figuren waren mehrdimensional angelegt, um so überraschende Wendungen zu kreieren und die Erwartungshaltung des Publikums bezüglich der Schauspieler für seine Absichten zu nutzen. Mit Hilfe der von ihm gewählten Darsteller gelang es ihm, neuen Themen den Weg in das Familienkino Hollywoods zu ebnen. Ginger Rogers wurde zu einer (vorweggenommenen) Lolita ("The Major and the Minor"), Fred Mac Murray zum eiskalten Mörder ("Double Indemnity") und William Holden zum Gigolo ("Sunset Boulevard"). Wilder spielte mit dem Ruf seiner Stars, Dean Martin gab den Säufer und Frauenheld ("Kiss me Stupid"). Leinwand-Ikone Gloria Swanson spielte den vergessenen Stummfilmstar Norma Desmond ("Sunset Boulevard"), Marilyn Monroe die naive Nachbarin von Tom Ewell ("The Seven Year Itch") und Marlene Dietrich die deutsche Nachtclubsängerin ("A foreign Affair", "Witness for the Prosecution", 1958).

In Anbetracht der damaligen Zeit verwundert es nicht, dass die Thematik in den Wilder'schen Filmen und die darin vorkommenden Protagonisten immer wieder die Kritik der Presse auf sich zogen und Rufe, Wilder sei ein abgebrühter Zyniker, immer wieder laut wurden. Aus retrospektiver Sicht verstärkt sich jedoch der Eindruck einer ungeschönten, realistischen Sichtweise auf das menschliche Verhalten. Weniger Kalkül und Zynismus als die Leidenschaft für das genaue Erforschen menschlichen Verhaltens machen seine Filme so treffsicher. Nicht zuletzt sollte man bei der Betrachtung des Wilder'schen Kosmos dessen sentimentale Seite nicht vergessen.

"Ariane - Love in the Afternoon", Sabrina (1954) oder ein Schluss wie in "Avanti!" (1972) zeugen von der romantisch-sentimentalen Seite des Regisseurs. Häufig gehen Zynismus und Sentimentalität in seinen Filmen eine Wechselbeziehung ein, schützen sich so gegenseitig vor einer zu heftigen Einseitigkeit und stellen das nötige Gleichgewicht her, gefiltert und in die richtigen Bahnen gelenkt durch überraschende ironische Elemente, plötzliche Handlungswendungen und einer Liebe zum Paradoxen. Seine Themenwahl und die Art der Umsetzung dienen komischen und schockierenden Momenten zugleich. Nur weil die Komödien auch ihre düsteren Seiten haben und die tragischen Momente komischen weichen, funktionieren sie. Es sind diese zwei Seiten, die seine Filme so spannungsreich machen. Oder wie Shirley MacLaine bemerkte: "The Wilder touch goes beyond cynicism. I think what he's been giving us all these years is reality - underlined with the best punch lines in the business".