Catharina Margaretha alias Anastasius

Geschlechtertausch in der Frühen Neuzeit

Von Ruth AlbrechtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ruth Albrecht

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In manchen Teilen wirkt dieses Buch wie ein Schelmenroman - allerdings mit tragischem Ausgang. Aber nur aufgrund dieses Endes, das seinen Niederschlag in umfangreichem Aktenmaterial fand, konnte die Literaturwissenschaftlerin Angela Steidele die Spur dieses außergewöhnlichen Lebens der Catharina Margaretha Linck aufnehmen. Steidele wurde auf die Person Lincks aufmerksam, als sie einen 1891 veröffentlichten medizinischen Aufsatz über das Todesurteil aus dem Jahr 1721 fand. Nun hat sie als Abschluss ihrer Recherchen eine umsichtige Biografie einer Frau vorgelegt, die sich als Mann ausgab, inklusive einer Dokumentation der wichtigsten zeitgenössischen Quellen über Catharina Margaratha Linck. Die sorgsam ausgewählten Abbildungen tragen zum Lesevergnügen mit bei.

Das Kuriose und Faszinierende an der Lebensgeschichte Lincks besteht darin, dass sie verschiedene, zunächst getrennte gesellschaftliche Bereiche der Frühen Neuzeit verschränkt. Viele Aspekte der frühneuzeitlichen Religionsgeschichte werden hier berührt, wie z. B. die Vielfalt christlicher Gruppierungen, trotz der nominellen Dominanz der im Reich anerkannten Konfessionen. Das Bemühen der christlichen Kirchen um Konversionen kommt darin zum Ausdruck, dass Linck unter unterschiedlichen Identitäten mehrere Male getauft und auch getraut wurde. Die Militärgeschichte wird berührt, da Linck als Soldat mit Söldnerheeren zu europäischen Kriegsschauplätzen zog. Um die Sozialgeschichte des Handwerks geht es insofern, als Linck phasenweise zu denjenigen schlecht ausgebildeten Männern und Frauen in handwerklichen Berufen gehörte, die keine Arbeitsmöglichkeit fanden und zum Betteln gezwungen waren. Das frühneuzeitliche Gerichtswesen und seine Instanzen und Argumentationen kommen ins Spiel, da das "Vergehen" Lincks unterschiedlich beurteilt wurde und eine Verurteilung zum Tode nicht von vornherein feststand. Nicht zuletzt zeigen sich an den Wandlungen dieser Gestalt, die im Zuge des Gerichtsverfahrens nach Untersuchungen ihres Körpers eindeutig als Frau identifiziert wurde, die Möglichkeiten und Grenzen der frühneuzeitlichen Gender-Modelle, die sich von den bis heute nachwirkenden Festschreibungen des 19. Jahrhunderts deutlich unterscheiden.

Geboren wurde Catharina Margaretha Linck im Jahr 1687 als uneheliches Kind in einem kleinen Ort in Mitteldeutschland. Mutter und Tochter tauchten, nach vermutlich unsteten Wanderjahren in Armut, 1696 in den von August Hermann Francke gegründeten Anstalten in Halle an der Saale auf, zu denen unter anderem Schulen und Waisenhäuser gehörten. Diese Francke'schen Einrichtungen verbanden pietistische Frömmigkeit, eine Intensivierung und Zuspitzung des lutherischen Traditionsgutes unter Einfluss von mystischen sowie spiritualistischen Richtungen, mit gezielter sozialer Unterstützung. Die pädagogische Hinwendung insbesondere zu Kindern der unteren Schichten sollte diesen Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln, die sie vor Armut und Bettelei bewahrten. Gleichzeitig jedoch wurde von den Kindern die Übernahme pietistischer Anschauungen erwartet, da diese nach Überzeugung der Verantwortlichen der Francke'schen Anstalten die beste Gewähr dafür boten, ein Leben gemäß den Geboten Gottes und den Erfordernissen praktischer Alltagsbewältigung zu meistern. Linck wurde kein Musterbeispiel pietistischer Erziehung - aber sie machte sich die hier erworbenen gründlichen Bibelkenntnisse später zu Nutze.

Nach vier Jahren frommer Ausbildung verließ Linck die Schule und machte sich allmählich selbständig; um1702/03 trat sie in einer benachbarten Kleinstadt zum ersten Mal als Mann auf. Bis 1717 kehrte sie noch gelegentlich in die alten Frauenkleider und das weibliche Geschlecht zurück, seit der kirchlichen Trauung in diesem Jahr, bei der sie als Mann eine Frau heiratete, gab sie sich nur noch als Mann aus. Dazwischen lagen Jahre, in denen sie sich als männlicher Prophet einer christlich-radikalen Sondergruppe anschloss und als Soldat an Kämpfen teilnahm. In einer lebensbedrohlichen Situation ihrer militärischen Laufbahn rekurrierte sie auf ihr weibliches Geschlecht, das bis dahin verborgen geblieben war, und kehrte für kurze Zeit nach Halle zu ihrer Mutter zurück.

Um als Mann gelten zu können, staffierte sich Linck mit Utensilien aus, die männliche Geschlechtsteile imitierten. Sie lebte an den verschiedenen Orten unter wechselnden männlichen Pseudonymen, am längsten benutzte sie die Namensform Anastasius Lagrantinus Rosenstengel. Bei ihren späteren Vernehmungen gab sie an, das Auftreten als Mann gewählt zu haben, um auf diese Weise gefahrlos mit Frauen sexuelle Kontakte herstellen zu können. Die Frau, die sich 1717 mit Linck/Rosenstengel in Halberstadt trauen ließ, versuchte bei den gerichtlichen Befragungen den Eindruck zu erwecken, als ob sie nicht gemerkt habe, dass sie mit einer Frau zusammengelebt habe. Auch wenn ihr vom Gericht die Rolle des verführten Opfers zugestanden wurde, erwies sich diese Verteidigungsstrategie als unglaubwürdig.

Zu dem Verfahren gegen Linck/Rosenstengel kam es, weil die Schwiegermutter Verdacht bezüglich der geschlechtlichen Identität des Partners ihrer Tochter geschöpft hatte. Der Konflikt hatte sich u. a. deswegen im Verlauf der Ehejahre zugespitzt, weil es dem Ehemann nicht gelang, durch eigene Arbeit die finanzielle Versorgung sicherzustellen. Nach Aufbrüchen an verschiedene Orte wie nach München zu den Jesuiten und den Benediktinern in Hildesheim, war das Paar immer wieder nach Halberstadt zurückgekehrt. Nach einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen Schwiegermutter und Schwiegersohn gelang es ersterer, den künstlichen Lederpenis an sich zu bringen. Mit Hilfe dieses Beweisstückes wurde im Mai 1720 Anklage gegen Linck/Rosenstengel und ihre/ seine Ehefrau erhoben, wonach beide umgehend inhaftiert wurden. Das Verfahren, das sich über ein Jahr hinzog, stellte umfangreiches Beweismaterial über den abenteuerlichen Lebensweg Lincks zusammen. Das Faktum des gleichgeschlechtlichen Sexualkontaktes wog als schwerster der Anklagepunkte, im zeitgenössischen Sprachduktus galt dies als Verbrechen der Sodomie. Der preußische König Friedrich Wilhelm I. setzte als letzte Instanz das Strafmaß fest: Catharina M. Linck wurde enthauptet, die mit ihr getraute Frau zu mehrjähriger Zuchthausstrafe verurteilt. Im November 1721 endete in Halberstadt das Leben der Frau, die Prophet und Ehemann gewesen war, mehrere Taufen und Konversionen vollzogen hatte und bis zum Schluss davon überzeugt war, dass sie zwar den Tod verdient habe, ihre Lebensweise aber vor Gott rechtfertigen könne.

Mit ihrem Buch hat Angela Steidele auf ein vielschichtiges Phänomen der Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit aufmerksam gemacht, das es verdient, noch weiter entschlüsselt zu werden. Die Verfasserin gibt viele Hinweise auf die religiösen Elemente, die in der Biografie Lincks hervorstechen. Eine genauere Analyse der einzelnen Motive könnte vielleicht die Konturen noch etwas schärfen, wenn z. B. die Verbindung von Religiosität und Körperlichkeit etwa im Vergleich mit den Aussagen der Gruppe um Eva von Buttlar näher betrachtet wird.

Erst nach Abschluss von Steideles Arbeit erschien die Studie von Isabelle Noth, die ebenfalls weitere Motivkomplexe im religiösen Umfeld Lincks erhellen könnte (Isabelle Noth: Ekstatischer Pietismus. Die Inspirationsgemeinden und ihre Prophetin Ursula Meyer (1682-1743), Göttingen 2005). Angela Steidele setzt ihre Schwerpunkte in der Geschichte der Frauenliebe. Sie beschreibt Linck zwar als "lesbisch begehrende Frau", erliegt jedoch dabei nicht der Versuchung, diese Zuschreibung unhistorisch überzustrapazieren: "Eine Lesbe in einem identitätsstiftenden Sinn war Catharina Lincke nicht. Sie lebte in der Spätphase der Frühen Neuzeit, einer Zeit, in der die Identität eines Menschen immer noch wesentlich von seinem Stand und nicht von seinem sexuellen Begehren bestimmt wurde. Ihre Herkunft aus ärmlichsten Verhältnissen, ihre uneheliche Geburt, dies waren die Faktoren, die ihr Selbstverständnis wesentlich prägten. Doch kann sie nicht gerade als typische Vertreterin ihres Stands und ihrer Zeit betrachtet werden; und es sind gerade diese vielfältigen Abweichungen, die als Vorgeschichte späterer lesbischer Lebenskonzepte verstanden werden können."

Als Hoffnung deutet Steidele am Schluss an, dass es eines Tages möglich sein wird, "ein Stück deutsche Sozial-, Geschlechter- und Sexualgeschichte zu schreiben, das bis vor kurzem noch als nicht existent erklärt worden ist. In dieser Geschichte wird die Abenteuerin Catharina Margeretha Linck alias Anastasius Lagrantinus Rosenstengel ihren würdigen Platz finden."


Titelbild

Angela Steidele: In Männerkleidern. Das verwegene Leben der Catharina Margaretha Linck alias Anastasius Lagrantinus Rosenstengel, hingerichtet 1721. Biographie und Dokumentation.
Böhlau Verlag, Köln 2005.
246 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-10: 3412167037

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