Einblicke in Thomas Manns "Bilden und Bauen"

Volker Mertens versammelt Beiträge einer Radiosenderreihe zum Thema "Thomas Mann und Musik"

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zum 50. Geburtstag seines Freunds Bruno Walter, dem Dirigenten, schrieb Thomas Mann: "Groß ist das Geheimnis der Musik - sie ist ohne Zweifel die tiefsinnigste, philosophisch alarmierendste, durch ihre sinnlich-übersinnliche Natur, durch die erstaunliche Verbindung, die Strenge und Traum, Sittlichkeit und Zauber, Vernunft und Gefühl, Tag und Nacht in ihr eingehen die faszinierendste Erscheinung der Kultur und Humanität."

Und infolgedessen spielt die Musik in Thomas Manns Leben und Werk eine besondere Rolle. Selber spielte er Geige, immerhin so 'gut', dass es zu gemeinsamer Kammermusik mit Freunden reichte. Bedeutsamer war jedoch der Genuss von Musik. Die Tagebücher geben Auskunft über den "aktiven Musikhörer", in der Oper, im Konzert, vor dem Radio oder dem Schallplattenspieler. Entscheidend aber war die Musik als Impuls für den Schriftsteller: "Von jung auf", erläuterte er zu Bruno Walters Geburtstag, "habe ich dem Rätsel ihres Wesens nachgehangen, sie belauscht, sie zu ergründen gesucht, bin als Schriftsteller ihren Spuren gefolgt, habe unwillkürlich ihrer Wirkungsart Einfluß auf mein eigenes Bilden und Bauen gewährt."

Musikbeschreibungen finden sich in Fülle im Mann'schen Werk, "sie bilden Sinnzentren", erläutert der Autor des vorliegenden Bands. Zudem bestimmen musikalische Strukturen sein Erzählwerk. Sprachliche Leitmotive tauchen auf wie musikalische Motive, der "Josephroman" ist als "Großform" strukturiert "analog zur Ring-Tetralogie Wagners. Die Schönbergsche Reihentechnik wird im 'Doktor Faustus' nicht nur beschrieben, sondern als Strukturprinzip eingesetzt, Montagetechniken benutzt der Autor ähnlich wie Igor Strawinsky oder der späte Richard Strauss."

Schon diese knappen Andeutungen lassen erkennen, welch komplexe Tiefe es auszuloten gilt, nähert man sich der Thematik "Thomas Mann und die Musik". So geschah es 2005 in einer Radiosenderreihe des Rundfunks Berlin Brandenburg und des Mitteldeutschen Rundfunks. Das vorliegende Buch ist ein spätes Produkt der 26 Folgen dieser Sendereihe. Es ist dabei keine einheitlich systematische Untersuchung zum Thema entstanden, sondern eine Zusammenstellung der in den einzelnen Folgen, die im Buch als eigenständige Kapitel wieder auftauchen, eingenommen Perspektiven und Themenschwerpunkten. Man kann deshalb das Buch kapitelweise lesen, ohne auf Vorheriges zurückgreifen zu müssen. Der Nachteil dieser Lesefreiheit sind freilich Wiederholungen - sowohl der gebotenen Informationen wie auch der vielen Zitate Thomas Manns.

Der Schriftsteller kommt ausgiebig zu Wort. Das Buch versammelt alle relevanten "Stellen" aus Thomas Manns Werk in Sachen Musik. Das kann eine reizvolle Ergänzung der eigenen Thomas-Mann-Lektüre sein, wenn beispielsweise im Kapitel ",Fülle des Wohllauts' - Musik auf dem Zauberberg" des Helden Hans Castorps intensive Musikerlebnisse vor dem hauseigenen Grammofon abgehandelt werden. Hier nun erweist sich auch die mitgelieferte CD als aufschlussreich. Denn auf ihr sind einige der Musikstücke, die Hans Castorp zu hören beliebte, in jenen Aufnahmen verfügbar, die Thomas Mann selbst als 'Material' nutzte. So klärt sich denn auf, dass zum Beispiel der "italienische Bariton berühmten Namens", dessen "Opernbravourarie" aus Rossinis "Il Barbiere di Siviglia" die Zauberberg-Zuhörer vor dem Grammofon so begeisterte, "daß man in gezogene Bravorufe ausbrach", Titta Ruffor war - zu hören in einer Aufnahme aus dem Jahre 1920. Eine andere von Hans Castorps Lieblingsplatten ist das Stück "Da ich nun verlassen soll" aus Gounods Faust. "Es handelt sich höchstwahrscheinlich um die Aufnahme mit dem 1926 verstorbenen Joseph Schwarz", aus dem Jahre 1919, teilt der Autor uns mit. Schließlich rührte Hans Castorp ein romantisches Lied, der "Lindenbaum" von Franz Schubert. "Der Tenor 'von Takt und Geschmack' war Richard Tauber" in einer Aufnahme aus dem Jahre 1923.

Eine besondere Bedeutung für Thomas Mann hatte die Musik Richard Wagners. Zeit seines Lebens rührten ihn 'schöne Stellen' aus dem Wagner'schen Opus, das "Lohengrin"-Vorspiel war eins seiner Lieblingsstücke. Hier war jener "Seelenzauber" zu finden, zu der sich die Musik als Ausdruck deutscher Innerlichkeit zu veredeln wusste. Es ist eine aus der Romantik herrührende Verbindung von "Psychologie, Symbol und Mythik", die auf den Schriftsteller Thomas Mann ihren anregenden Reiz ausübte.

Mit feinsinnig-ironisch ausgeführten Interpretationen wandte sich Thomas Mann gegen eine "Versimpelung", die die Musik Richard Wagners als deutsche Kunst zu vereinnahmen suchte. So hatte er in seinem berühmten Vortrag "Leiden und Größe Richard Wagners" noch am 10. Februar 1933 vor einem begeisterten Publikum im Auditorium Maximum der Universität München den "Haßgeliebten" gewürdigt - und damit Empörung der nationalistischen Wagnerei hervorgerufen. Man sah den Meister geschändet durch "ästhetisierenden Snobismus" und formulierte einen bösen denunziatorischen "Protest", "um das Andenken an den großen deutschen Meister Richard Wagner vor Verunglimpfung zu schützen".

"Die Musiker", so meint Volker Mertens den "Protest" interpretieren zu können, "empörten sich nicht ganz zu Unrecht gegen Thomas Manns laienhafte Auffassung von Wagners Kunst", hatte er doch "als musikliebender Laie" argumentiert, "weniger vom Kompositorischen" her. Eine überflüssige Interpretation, denn natürlich war allen Unterzeichnern des "Protests der Richard-Wagner-Stadt-München" klar, dass es nicht um eine Bewertung kompositorischer Fachfragen ging - sie dienten bestenfalls als Vorwand zur Beruhigung des eigenen Gewissens. In Wirklichkeit ging es um einen unmittelbaren Angriff auf Thomas Mann. Und genau in diesem Sinne hatte der "Protest" Folgen: Thomas Mann erfuhr von ihm während einer Vortragsreise im Ausland und kehrte nicht mehr nach München zurück. Es begann die Exilzeit.


Titelbild

Volker Mertens: Groß ist das Geheimnis. Thomas Mann und die Musik. 1 CD.
Militzke Verlag, Leipzig 2006.
272 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-10: 3861897474

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