Abbilder der Seele - Ein Sammelband zu Figuren der Autorschaft in der Briefkultur

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Die leichte Möglichkeit des Briefeschreibens muß - bloß theoretisch angesehn - eine schreckliche Zerrüttung der Seelen in die Welt gebracht haben. Es ist ja ein Verkehr mit Gespenstern und zwar nicht nur mit dem Gespenst des Adressaten, sondern auch mit dem eigenen Gespenst, das sich einem unter der Hand in dem Brief, den man schreibt, entwickelt oder gar in einer Folge von Briefen, wo ein Brief den andern erhärtet und sich auf ihn als Zeugen berufen kann. Wie kam man nur auf den Gedanken, daß Menschen durch Briefe mit einander verkehren können!"

Obgleich Franz Kafka hier, in einem seiner Briefe an Milena Jesenská, als Medienkritiker auftritt, sind für ihn Korrespondenz und Literatur nicht zu trennen, gehen noch einmal Briefschreiber und Autor eine ausgesprochen produktive Allianz ein. Seitdem sich im 18. Jahrhundert der Privatbrief für literarische Schreibweisen geöffnet hatte und es für Schriftsteller beinahe zur Verpflichtung wurde, Briefe als mitunter gleichwertige Variante oder als Kommentar des 'Werks' zu verfassen, entwarfen und verwarfen literarische Briefschreiber, ihre Korrespondenzpartner, Nachlassverwalter und Editoren immer wieder Figuren der Autorschaft im Brief. 15 Beiträge zu Autoren wie Gellert, Goethe, Schiller, Stifter, Nietzsche, Kafka, Thomas Mann, Benn oder den Brüdern Jünger leuchten das Spektrum der je zeittypischen Möglichkeiten der Konstitution von Autorschaft in der Briefkommunikation aus. Dem Leser des Email- und SMS-Zeitalters wird damit ein repräsentativer Überblick über die zwei Jahrhunderte einer Briefkultur geboten, die der Ordnung des Archivs und den Schreibweisen der Literatur verpflichtet war.

J. S.

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Jochen Strobel (Hg.): Vom Verkehr mit Dichtern und Gespenstern. Figuren der Autorschaft in der Briefkultur.
Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2006.
365 Seiten, 49,00 EUR.
ISBN-10: 3825351599

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