Neues von den jungen Briten

Der Sammelband "Cool Britannia" verdient alles andere als Nichtbeachtung

Von Susanne BlümleinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Susanne Blümlein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Gattung der Kurzgeschichte ist uns allen hinlänglich aus dem Schulunterricht bekannt. Dort haben wir sie begutachtet, abgeklopft und unter den kritischen Augen der Lehrer seziert, immer nach der richtigen (von anderen vorgedachten) Interpretation geschielt. Womöglich ist dieser Abstieg in die Niederungen der Schulliteratur der Grund, dass sich ein festes Denkschema bei uns eingebürgert hat: Die Königsdisziplin ist der Roman. Die Kurzgeschichte zählen wir allenfalls als Aufwärmtraining davor. Zwar haben Autoren immer wieder versucht, eine Bresche für die Kurzgeschichte zu schlagen, doch im Vergleich zu den Massen an Romanen, die jedes Jahr veröffentlicht werden, bilden die Sammlungen von Kurzgeschichten nur einen verschwindend geringen Prozentsatz.

Auch die britische Autorin A. L. Kennedy ist bekennender Kurzgeschichten-Fan. Neben eigenen veröffentlichten Bänden mit "short-storys" ist sie nun Herausgeberin des Sammelbandes "Cool Britannia". Kennedy hat darin Geschichten junger britischer Autoren versammelt - und in der literaturliebenden Welt bedeutet "jung", dass die Autoren das Rentenalter noch nicht erreicht haben. Vom englisch klingenden Titel darf man sich nicht täuschen lassen. Das Buch ist eine deutsche Erstveröffentlichung. Die Übersetzungen haben zum Großteil die Studenten des Aufbaustudiengangs "Literarische Übersetzung aus dem Englischen" der Universität München verfertigt und dabei sehr gute Arbeit geleistet. Die Geschichten lassen sich nicht nur flüssig lesen, sondern bringen auch den jeweiligen Stil des Autors zur Geltung.

Vor allem dieser Aspekt ist es, demzufolge wir die Kurzgeschichte in unserer Wertschätzung eigentlich höher einstufen sollten. Sprachliche Holperer verzeiht man in einem Roman gerne mal. Sie werden zugunsten der Geschichte überlesen. Doch Kurzgeschichten sind gegenüber ihren Autoren gnadenlos. Ein sprachlicher Schnitzer, eine Wendung, die der Logik der Geschichte widerspricht und der Leser steigt aus und hat sich seine Meinung über diese Niete von Autor gebildet.

Diese Gefahr ist bei den abgedruckten Geschichten jedoch nicht gegeben. Alle Autoren präsentieren sich von ihrer besten Seite. Und so unterschiedlich sie und ihre Themen auch sind, fällt bei den Geschichten doch ein gemeinsamer Nenner auf: Sie spielen meistens in einem Milieu, das man das kleinbürgerliche nennt.

Die Autoren haben Menschen gezeichnet, die versuchen, sich einfach in dieser Welt durchzuschlagen - immer im Glauben, dass da doch etwas Besseres kommen muss.

Sei es der tschechische Drehbuchautor in "Roadmovie" von Henry Shukman, der quer durch die USA vor seiner Ausweisung flieht oder Tessa Hadleys Protagonistin Carla, die in ihre eigenen Tagträume flüchtet. Alle versuchen sie aus der sie umgebenden Enge davonzulaufen und nehmen doch ihre Vergangenheit und ihr "Kleinbürgertum" in ihrem Denken immer wieder mit.

Trotzdem sind wir als Leser fasziniert von ihrem Kampfesmut, und ihrer Bereitschaft, Risiken einzugehen, auch wenn man am Ende (vielleicht) verliert. Schon nach wenigen Seiten sind uns die Figuren ans Herz gewachsen. Und vielleicht ist das auch der Grund, warum wir Leser die Kurzgeschichte so meiden: Da wird man nun angelockt, darf kosten und nach wenigen Seiten ist alles schon wieder vorbei, obwohl man doch von der Geschichte und den Figuren gerne soviel mehr erfahren hätte. Da fühlt man sich schon fast verführt und um den Schatz betrogen und straft das Werk mit Nichtachtung. Obwohl die Geschichten ja gar nichts dafür können, dass sie so gut geschrieben wurden.


Titelbild

A. L. Kennedy (Hg.): Cool Britannia. Junge Literatur aus Großbritannien.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2006.
158 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3803125332

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