Der Porno-Patt

Das Zwanzigste Jahrbuch der Erotik: "Mein heimliches Auge" krankt am Stigma der Gebrauchsliteratur

Von Martin RichlingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Richling

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Porno ist hip. Längst führt die Pornografie kein Schattendasein mehr in schmuddeligen Videotheken oder billigen Heftchen. Seit Beginn des Internetzeitalters ist Pornografie allgemein zugängliche Ware im Internet geworden. Und wenn sie auch nicht immer aus rechtlichen Gründen darstellbar ist, so ist sie zum zumindest omnipräsenten Thema in Magazinen, Universitätsseminaren, im europäischen Autorenfilm oder (Kultur-)TV-Sendungen avanciert.

Der Konkursbuchverlag bringt dagegen schon seit über zwanzig Jahren ein Jahrbuch der Erotik heraus - und dies nimmt nicht nur deshalb in deutschen Landen eine Sonderstellung ein. Ähnlich wie in den Jahren zuvor setzt sich auch in diesem Jahrbuch kaleidoskopartig ein Bild deutscher erotischer, pornografischer Fantasien zusammen - jenseits aller Grenzen von sexueller Orientierung, Vorlieben, Text- und Bildgattungen und leider auch oft jenseits künstlerischer Qualität und Kreativität.

Wer sich fragt, warum die ehrwürdige deutsche Institution "Pro Familia""Mein heimliches Auge" vertrieben hat - zumindest bis 1996, als die katholische Kirche sie deswegen verklagte - bekommt auch in diesem Band eine Antwort geliefert: Durch den hohen Anteil weiblicher Autoren widersetzt sich das Buch der Vorherrschaft eines rein männlichen Blicks und angegangene Tabus wie den Alterssex. Sie tangieren nicht das Strafgesetz, sondern tatsächlich einen der letzten Bereiche, über die man vielleicht mehr sprechen könnte. Sicherlich ist auch die nichtkommerzielle Atmosphäre des Buchs, die sich dem Umstand verdankt, dass wohl die Mehrzahl der hier vertretenen Künstler Amateure sind, ein weiterer Grund für die Akzeptanz des "heimlichen Auges" auch bei offiziellen Stellen.

Aus diesem Umstand ergibt sich aber auch, dass man auf viele Splitter dieses Kaleidoskop gerne hätte verzichten können. Gerade in den Gedichten wird allzu schnell die Peinlichkeitsschwelle übertreten. Die hier zu bestaunende Betätigungswut des Amateurs ist eben nicht nur sympathisch. Für den Großteil der vertretenen (Hobby-)Autoren entsprang die Motivation für die Textproduktion wohl eher einer dumpfen Brünstigkeit, so dass sich vieles so schwül und schaurig liest, dass man die Herausgeber Claudia Gehrke und Uve Schmidt unwillkürlich bedauern muss, wenn man bedenkt, was sie bei den Einsendungen alles aussortiert haben müssen. Nur am Rande findet man hin und wieder in einem Foto oder in einer Textpassage so etwas wie ein privates Moment, einen naiven Blick auf den Körper und die Lust, der sich angenehm von den sterilen, industrialisiert-konformen Darstellungen von Erotik und Sex abhebt.

Worin liegt nur der Porno-Patt begründet? Warum kann selbst ambitionierte Pornografie so schwer gelingen? Ein Grund mag vielleicht darin liegen, dass es in unserer aufgeklärten, von sexuellen Motiven überschwemmten Welt von vorneherein schwer ist, der offen liegenden Körperwelt etwas Neues abzuschauen. Zudem besitzen eben die meisten Autoren weder den Esprit und Humor eines Henry Miller, noch die Gabe, ihre Themen so homogen wie Miller mit einer allgemeinen Weltsicht zu koppeln. Bei Miller ist das Pornografische durch die allumfassende manische Lebensgier ein natürliches Element, das ebenso authentisch wie humoristisch funktionieren kann. In den meisten hier zu findenden Kurzgeschichten haftet an dem Pornografischem jedoch eine biedere Tagträumerei und durch die thematische Ausschließlichkeit auch etwas von dem Stigma von Gebrauchsliteratur.


Titelbild

Claudia Gehrke / Uve Schmidt (Hg.): Mein heimliches Auge. Das Jahrbuch der Erotik XX.
Konkursbuchverlag, Tübingen 2005.
296 Seiten,
ISBN-10: 3887692004

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