Heidegger für alle

Manfred Geiers Arbeit ersetzt Walter Biemels Heidegger-Bändchen in der Reihe rororo-monographien, das Heidegger-Jahrbuch etabliert sich, und Horst Seidl versucht, das antike Denken vor Heidegger'schen Übergriffen zu retten

Von Stefan DegenkolbeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Degenkolbe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist wohl grundsätzlich nicht einfach, eine Einführung in das Leben und Werk eines Philosophen zu schreiben. Unter anderem, weil man entscheiden muss, wie man das Verhältnis vom einen zum anderen bestimmen und beschreiben will. Bei einer schillernden Figur wie Martin Heidegger potenzieren sich die Probleme. Manfred Geier hat versucht, die Aufgabe einer Einführung zu Heidegger zu meistern, indem er strikt der biografischen Linie folgt. Er beschreibt Heideggers Kindheit und Jugend in Meßkirch und Konstanz, skizziert das bäuerlich-kleinbürgerliche Milieu, in dem er aufgewachsen ist. Die katholische Herkunft und Heideggers Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben bis zu seinem Bruch mit dem "System Katholizismus" finden angemessene Beachtung. In seiner Darstellung von Heideggers Lebensweg ab dem Jahr 1919, dem Jahr seiner "Berufung" zur Philosophie, konzentriert sich Geier darauf, eine Art philosophisches Lebensbild von Heidegger zu zeichnen, indem er immer wieder Ereignisse des persönlichen und des akademischen Werdegangs mit der philosophischen Entwicklung in Verbindung bringt.

Dies gelingt ihm besonders gut in der Passage, die über Heideggers Beziehung zu Hannah Arendt berichtet. Geier deutet die Liebesbeziehung der Beiden aus deren Verständnis der augustinischen Schriften zur Liebe. Die Begegnung zu Hannah Arendt habe für Heidegger eine existenzielle Erfahrung von ganz eigener Qualität bedeutet: Arendt habe Heidegger verdeutlicht, was ihn eigentlich zum Philosophieren treibe und ihm gleichzeitig den Blick geöffnet für die Stimmung der Angst, die für Heideggers Seinsphilosophie so bedeutsam werden sollte.

Auch die Zeit des Rektorats wird in dieser Weise behandelt. Geier zeigt in einer einfachen, aber einer Einführung angemessenen Weise, wie Heidegger seine philosophischen Thesen mit der politischen Wirklichkeit in Einklang zu bringen bemüht ist. So wird kenntlich, welches politische Potential Heideggers Denken hatte, und gleichzeitig, welche Differenzen es zwischen diesem Denken und der nationalsozialistischen Politik gab. Geier interpretiert Heidegger dabei als einen Nachfolger Platons, der dem Tyrannen ein geistiger Führer sein wollte und daran scheiterte.

Obwohl Geier ein recht stimmiges Portrait Heideggers entwirft, krankt seine Arbeit an zwei Schwächen, die sich allerdings in den meisten Einführungstexten zu Heidegger finden lassen.

Zum Einen bezieht sich Geier zu stark auf Heideggers persönliche Aussagen, wenn er z. B. versucht, dessen Verhältnis zur Heimat, aber auch zur Philosophie zu beschreiben. Geier lässt außer Acht, dass Heidegger auch ein begnadeter Selbstdarsteller war. Und wenn Heidegger behauptet, dass erst, wenn der Sturm um die Ecken der Hütte pfiff, sein Denken ganz klar und hart geworden sei, ist dergleichen keine Aussage, die kommentarlos übernommen werden kann. Selbst wenn Geier die harsche Kritik Adornos oder Amérys an Heideggers Heimattümelei nicht teilen wollte, wäre es doch sinnvoll gewesen, in diesem und anderen Fällen etwas mehr Distanz zum Objekt seiner Beschreibung zu wahren.

Zum Anderen hat Geier Schwierigkeiten, mit der philosophischen Begrifflichkeit Heideggers umzugehen. Heidegger hat die meisten seiner Begriffe auf relativ einfache Weise aus der Alltagssprache entwickelt, diese aber dabei in ihrer Bedeutung so stark verfremdet, dass sie nicht mehr ohne weiteres verständlich sind. Wenn Heidegger vom "Sein" oder vom "Dasein" spricht, so meint er damit nichts, das dem, was man gemeinhin darunter verstehen mag, auch nur ähnlich ist. Der Leser erfährt also, dass Heideggers Denken von der Frage nach dem Sein geprägt ist, doch er erfährt nicht, was es damit auf sich haben könnte. Erst wenn Geier auf die Auseinandersetzung zwischen Heidegger und Carnap eingeht, erhält man eine Ahnung von dem Gehalt der Streitpunkte. Und dies zuallererst deshalb, weil die Argumente Carnaps gegen Heidegger dazu zwingen, sich der Frage nach der Sachhaltigkeit der Heidegger'schen Philosophie zu stellen.

Insgesamt ist es Geier gelungen, in einer gewissen Weise an Heidegger heranzuführen, vielleicht sogar neugierig zu machen auf diesen eigenwilligen Denker. Für die eingehende Beschäftigung mit dessen Philosophie bietet Geiers Buch allerdings wenig Hilfe; vielleicht könnte es denen eine interessante Lektüre sein, die sich noch gar nicht mit Heidegger befasst haben und sich ein erstes Bild von diesem Philosophen machen wollen.

Das nun im zweiten Jahrgang erschienene Heidegger-Jahrbuch richtet sich dagegen an ein ausgewiesenes Fachpublikum. Das Thema des diesjährigen Bands ist die fast lebenslange Auseinandersetzung Heideggers mit Nietzsche. Wie der vorangegangene ist auch dieser Band in drei Teile gegliedert: Dokumentationsteil, Interpretationen und Forschungsberichte. Im Dokumentationsteil finden sich bislang unveröffentlichte Notizen Heideggers zu den Nietzsche-Vorlesungen von 1936/37. Die Herausgeber geben selbstverständlich den genauen Fundort im Marbacher Archiv an, leider lässt sich aber nicht erkennen, auf welche Teile der Vorlesung sich die Notizen beziehen; auch, ob diese Notizen während der Vorbereitung zur Vorlesung, während der Überarbeitung der Vorlesung zu Heideggers Nietzschemonografie oder zu einem anderen Zeitpunkt entstanden sind, wird nicht erwähnt.

Außerdem enthält der Dokumentationsteil Briefwechsel zwischen Heidegger und Karl Schlechta, in Zusammenhang mit dessen Nietzsche-Ausgabe, sowie Briefwechsel zwischen Heidegger und seinem Verleger Günther Neske, in denen Details der Nietzschemonografie von 1961 besprochen werden. Der für die Heideggerforschung interessanteste Teil ist wahrscheinlich die von Stephan Günzel sehr sorgfältig bearbeitete Konkordanz zu Heideggers Werken. Dort werden alle Erwähnungen Nietzsches in Heideggers Texten mit genauen bibliografischen Angaben zitiert und auch alle Nietzsche-Zitate verzeichnet, einschließlich der von Heidegger verwendeten Ausgabe bzw. ihrer Stelle in der Montinari-Ausgabe. Manch ein Wissenschaftler wird Günzel für diese Arbeit dankbar sein.

Der Interpretationsteil ist klar strukturiert. Vorangestellt sind Aufsätze von eher philologischer Natur, die die Entwicklung von Heideggers Nietzsche-Interpretation verfolgen, ihre Bedeutung für Heideggers Denkweg untersuchen und die Differenzen zwischen früheren und späteren Auseinandersetzungen Heideggers mit Nietzsche analysieren. Der Schwerpunkt der "philosophischeren" Aufsätze liegt in der Bestimmung der Bedeutung von Nietzsches Ästhetik für Heidegger. Marion Heinz untersucht z. B. die Bedeutung des "Schaffens" für sein Denken; Heidegger hat diesen Begriff von Nietzsche entlehnt und auf ihm seine eigene Auffassung von Kunst aufgebaut. Eine ähnliche Strategie verfolgt John Sallis, wenn er Heideggers Umgang mit Nietzsches Problem von "männlicher" und "weiblicher" Ästhetik betrachtet. Heidegger kritisiere Nietzsches Überbetonung des Künstlers und versuche die Betrachtung der Kunst wieder zum Werk zurückzuführen.

Einer der spannendsten Beiträge zum Jahrbuch stammt von Dieter Thomä. Er untersucht, ausgehend von Nietzsches und Heideggers Amerikabild, das deutliche Parallelen aber auch gravierende Unterschiede aufweist, Heideggers Nietzsche-Interpretation. Dadurch, dass Thomä Nietzsches Denken in eine Reihe stellt mit dem Emersons, Musils und Cavells, zeigt er, wie verzerrt Heideggers Nietzsche ist. Thomä entwickelt eine Position, aus der heraus mit einem von Heidegger befreiten Nietzsche eine Philosophie des Lebens der Heidegger'schen Geschichte der Metaphysik entgegengestellt werden kann.

Der dritte Teil des Jahrbuchs enthält Forschungsberichte, die sich mit der Rezeption von Heideggers Nietzsche-Interpretationen befassen. Nach Ländern geordnet lassen sich so verschiedene Reaktionen auf Heideggers Denken beobachten.

Insgesamt ist den Herausgebern des Heidegger-Jahrbuchs ein wichtiger Beitrag zur Forschung gelungen. Wie schon der erste Band, so ist auch dieser thematisch sinnvoll geordnet und in den Beiträgen so vielfältig, dass er zumindest eine momentane Übersicht über den Forschungsstand ermöglicht. Für die folgenden Ausgaben - der nächste Band ist Heidegger und Aristoteles gewidmet - wäre es wünschenswert, wenn ihm die Herausgeber ein Vorwort voranstellten, in dem sie kurz die Konzeption der jeweiligen Sammlung vorstellen und die Auswahlkriterien für den Dokumentationsteil kenntlich machten.

Dass Heideggers Philosophie umstritten ist und wohl auch bleiben wird, zeigt eine Monographie aus dem jungen katholischen Verlag "Nova & Vetera" mit dem Titel "Heideggers Fehlinterpretation antiker Texte" von Horst Seidl. Der Autor ist Professor an der Lateran-Universität in Rom, und so hätte man vielleicht eine spannende Kritik an Heidegger aus zeitgenössischer katholischer Perspektive erwarten können. Allerdings erklärt Seidl schon im Vorwort, dass es ihm gar nicht zuerst um eine Interpretation Heideggers gehe, sondern um eine Verteidigung der traditionellen Interpretation antiker Philosophie gegen Heideggers oder von seinem Denken geprägte Methoden.

Dass Heidegger einen mehr als eigenwilligen Umgang mit der antiken Philosophie hat, ist hinreichend bekannt. Seine Übersetzungen weichen nicht nur dramatisch von den herkömmlichen ab, sondern sind häufig nicht einmal als Übersetzung des gleichen Textes zu erkennen. Hier böte sich viel Raum für philologische und philosophische Kritik. Seidl hingegen stellt seiner Arbeit seine sehr schlicht gehaltene Positionsbestimmung voran, um dann verschiedene Texte Heideggers auf Zitate, insbesondere von Platon, hin zu durchsuchen, diese "traditionell" zu interpretieren und dem Ganzen dann Heideggers "falsche" Interpretation gegenüberzustellen. Dem Leser bleibt die Feststellung, dass Seidls und Heideggers Auslegungen sich radikal unterscheiden; unklar bleibt, inwiefern die traditionelle Interpretation, die Seidl vertritt, "richtiger" oder zumindest stärker als die Heideggers sein soll. Immerhin hätte es interessant sein können, wenn ein offenkundiger Gegner Heideggers seine Position gegen ihn grade am Umgang mit den Griechen festmachte. So aber bleibt ein Text, der kategorisch eine "richtige" gegen eine "falsche" Position stellt, mehr nicht. Vielleicht wäre es sinnvoll gewesen, Seidl hätte, statt eines schmalen Bändchens mit dem Charme von Vorlesungsnotizen, sich Zeit für eine umfassende Auseinandersetzung mit Heidegger genommen. Dies hätte auch für seine eigentliche Absicht, der Verteidigung einer traditionellen Auffassung von Philosophie gegen eine von Heidegger geprägten Postmoderne, förderlicher sein können.


Titelbild

Heidegger und Nietzsche. Heidegger-Jahrbuch. Band 2.
Herausgegeben von Alfred Denker u. a.
Verlag Karl Alber, Freiburg 2005.
393 Seiten, 48,00 EUR.
ISBN-10: 349545702X

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Horst Seidl: Heideggers Fehlinterpretation antiker Texte.
Nova & Vetera, Bonn 2005.
180 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-10: 3936741360

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Titelbild

Manfred Geier: Martin Heidegger.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2005.
160 Seiten, 8,50 EUR.
ISBN-10: 3499506653

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