Der PC als Künstlerwerkzeug

Festschrift Frieder Nake

Von Silvia CarmelliniRSS-Newsfeed neuer Artikel von Silvia Carmellini

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Du seelenloses Automat!" gemahnt ein gequältes Gemüt in E. T. A. Hoffmanns "Sandmann". Auch die Roboterfrau in Fritz Langs "Metropolis" und Stanley Kubricks emotional verwirrter Bordcomputer HAL aus "Odyssee 2001" gehören zum Figurenrepertoire der bedrohlichen Maschinen. Von apokalyptischen Varianten (Umberto Eco) zeigt sich das 21. Jahrhundert - ganz realen Supergaus und Totalausfällen mancher Apparatur zum Trotz - allerdings weitgehend unbeeindruckt. Vielmehr rast es mit zunehmender Digitalisierung unaufhaltsam in ein Zeitalter der künstlichen Gehirne und Verkabelungen.

Dieser "Matrix"-Vision stellt sich eine wissenschaftliche und künstlerische Auseinandersetzung über die Anwendung von Computern entgegen. Wie sie operiert und welche Fragen sie stellt, vor allem aber, dass sie eine Verantwortlichkeit in Erinnerung ruft, vermittelt die von Karl-Heinz Rödiger herausgegebene Hommage an Frieder Nake, den zwischenzeitlich erimitierten Professor für Informatik der Universität Bremen. Die Beiträge verhandeln Nakes Fingerzeig recht anschaulich: Der PC dient - unter anderem - als Medium künstlerischer Reflexion und ist damit nichts weiter als ein kompliziertes Werkzeug; das Denken übernimmt jedoch auch weiterhin der Mensch.

Der Band setzt sich aus recht divergierenden Kolloquiums-Beiträgen anlässlich Frieder Nakes sechzigstem Geburtstag und weiteren Artikeln von "Freunden und Weggefährten" zusammen, offeriert aber auch eigene Schriften, Gedichte und Graphiken Nakes. Exemplarisch seien hier einige Aufsätze umrissen.

Karl-Heinz Rödiger skizziert zunächst den beruflichen Werdegang Nakes, dem vor allem "Lehre und Forschung" am Herzen lägen. Wissen solle "durch Handeln, durch Aktiv-Werden" angeeignet werden. Hierneben stellt er Nakes "Auffassung von der Informatik als [einer] Maschinisierung von Kopfarbeit" heraus. Zunächst von Karl Marx' Schriften, später von Max Bense (Zeichen und Design, 1971) und Charles S. Peirce (Phänomen und Logik der Zeichen, 1983) beeinflusst, insistiere Nake, dass sich Informatik mit "Zeichenprozessen" befasse: Die Fachdisziplin solle daher einsehen, dass sie sich nicht allein als eine Ingenieur- oder Naturwissenschaft, sondern auch als eine Sozial- und Geisteswissenschaft verstehen müsse (Die erträgliche Leichtigkeit der Zeichen. Ästhetik, Semiotik, Informatik, 1993). Von dieser Warte aus sei Nakes Forschungsansatz als eine Verflechtung von "Algorithmik, Kunst und Semiotik" zu verstehen.

Konträr zu dieser emphatischen Nachzeichnung von Nakes Denken positioniert sich der kritische Beitrag von Wolfgang Coy. Nakes Theorien zur "Maschinisierung von Kopfarbeit" kämen mit dessen Forschungsziel nicht recht überein. In seinem Beitrag "Die protestantische Ethik und der 'Geist' der Informatik" führt er die strenge Anwendung Max Webers auf die hypothetische "Kausalkette" Protestantismus-Kapitalismus-Informatik ad absurdum. Mit den missverständlichen Worten "trotz Frieder Nake" enden seine Ausführungen, wenngleich "keine eindeutige puritanisch-pietistische Herkunft" der Informatik festzuschreiben sei.

Der nicht wenig prägnante Beitrag von Heinz Buddemeier fragt hingegen nach der medialen Verwendbarkeit von Computern. Er deutet auf die Diskrepanz zwischen den hohen Erwartungen der Gesellschaft einerseits und einer unsachgemäßen "Mystifizierung des Computers" andererseits. Als bedenklich stellt er heraus, dass der bisherige Trend "zu einer Angleichung von Mensch und Computer" führe. Damit werde fortan in Frage gestellt, ob "man im Denken, Schreiben, Lesen, Rechnen und im Sicherinnern" noch "besondere Leistungen" sehen könne, zumal Maschinen diese Fähigkeiten ersetzten. Fantasie solle jedoch nicht mit Realität verwechselt werden. Bezogen auf die von Frieder Nake begleitete Debatte (Delphi-Studie) um die Medialität von Computern führt Buddemeier schließlich den Vortrag Rudolf Steiners zum Gutenbergjubiläum als Vergleich an. Hiernach trüge der Computer zur Entstehung einer neuen Öffentlichkeit bei. Unverständnis darf dann auch seiner schlussfolgernden Aussage entgegengebracht werden, die von Steiner beschriebene historische Situation wirke "bis heute fort". Eine Antwort nach dem Wie und dem Urheber von Medialität - denn der Computer steht ebenso wenig wie die Druckerpresse Gutenbergs in einem luftleerem Raum - bleibt Buddemeier schuldig. Auch scheint ihm die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der menschlichen Wahrnehmung suspekt zu sein. Seine paradoxe Definition dessen, was ein Computer-Medium eigentlich ausmache, trägt nur folgerichtig esoterisch-vermenschlichende Züge.

Dieser eingeschränkten Sichtweise tritt der Aufsatz von Frieder Nake entgegen, denn - so Nake - das Verhältnis zum Computer ist durch Wechselwirkungen bestimmt, die auf die mit ihm arbeitende Person und deren Umfeld einwirken. Er stellt die Verknüpfung von Signal- und Zeichenprozessen zu einer "Benutzeroberfläche", als einen Vorgang heraus, der als "ein technischer, aber kulturell eingebetteter Prozess" zu verstehen sei.

In ihren interreferenziellen Auseinandersetzungen schneiden die Autoren gesellschaftspolitische wie humanistische Diskurse an. Unterschwellig erklingt gar der Ruf nach einer "Theorie der Informatik". In diesem Band kann sie allerdings nicht ernsthaft geboten werden. Die Aufsatzsammlung zeichnet sich durch ein für Festschriften typisches Auseinanderfallen der Einzelbeiträge aus. Zudem erhält die Debatte durch Rede und Gegenrede von Weggefährten und Schülern den Ruch des Zirkulären: Außenstehende, Fachfremde oder nicht 'Eingeweihte' werden sich hier nur selten zurechtfinden. Literaturhinweise schaffen jedoch eine erste Orientierungshilfe. Als nützlich erweisen sich außerdem eine Liste ausgewählter Publikationen Frieder Nakes und ein Autorenverzeichnis; während die beigegebenen graphischen Arbeiten Nakes besonderen Anklang finden dürften.

Wen weniger die theoretische Implikation als vielmehr die spannende Begegnung mit früher Computerkunst reizt, der sei auf die aktuelle Ausstellungsreihe in der Kunsthalle Bremen hingewiesen, die Frieder Nakes Werk in den Kontext zu anderen Pionieren - wie etwa Vera Molnar - stellt (Archäologie des digitalen Bildes. Frühe Computerkunst in der Kunsthalle Bremen 10. Juni 2006 - 29. Juli 2007).


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Karl-Heinz Rödiger (Hg.): Algorithmik - Kunst - Semiotik. Hommage für Frieder Nake.
Synchron Wissenschaftsverlag der Autoren, Heidelberg 2003.
280 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-10: 3935025602

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