Alles hat er erfunden

Ein Band präsentiert Leonardo da Vinci dreidimensional

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das erste Flugzeug, der erste Fallschirm, die erste Stalin-Orgel, das erste U-Boot, der erste Panzerwagen - wie muss ein Gehirn beschaffen sein, um all diese Maschinen zu erfinden, in einer Zeit, in der es fast noch keine technischen Grundlagen für sie gab?

Um 1500 herum hat Leonardo da Vinci nicht nur diese Geräte, sondern noch viel mehr erfunden: Taucheranzüge, Schwimmringe, eine zerlegbare Kanone, eine Kanalbaumaschine, ein Automobil, einen Sichelwagen, Katapulte, Mörser, eine mechanische Säge, ein Schaufelradboot, eine Drehbrücke, einen Schwimmbagger, einen Hubschrauber, eine Druckerpresse und eine Schleifmaschine für Hohlspiegel. Ach ja: Nebenbei hat Leonardo auch noch ein paar Bilder gemalt, die zu den schönsten gehören, die die Renaissance hervorgebracht hat. Nur zwölf Gemälde von ihm sind gesichert: das Abendmahl, die Mona Lisa, die Dame mit dem Hermelin, Anna selbdritt...

Vor allem hat er studiert, Skizzen gemacht, notiert, geplant, überlegt, im Hirn getüftelt. Eine Denkmaschine, ein Computer auf zwei Beinen, mit wahnsinnig viel Input und nur recht wenig Output. In seinen Notizbüchern hat er vierzig Jahre lang alles notiert, was ihm unter die Augen kam. Viele Entwürfe sind bekannt von Werken, die er nie ausgeführt hat, viele künstlerische, wundervolle Illustrationen zu biologischen, anatomischen, technischen, waffentechnischen und architektonischen Themen. Besonders beeindruckend sind seine außergewöhnlich exakten anatomischen und naturwissenschaftlichen Zeichnungen mit Längs- und Querschnitten und Draufsichten.

Seine Notizbücher, Zeichnungen und Skizzen bestehen aus ca. 6000 Blättern, die erst seit dem 19. Jahrhundert systematisch gesammelt und ausgewertet werden. In neuester Zeit wird auch versucht, seine technischen Zeichnungen umzusetzen: Man will einfach wissen, ob diese genialen Entwürfe auch realisierbar wären, ob sie funktionieren. Im Schloss Clos Lucé bei Blois, wo Leonardo die letzten Jahre seines Lebens verbrachte, ist eine schöne kleine Ausstellung zu diesem Thema zu sehen. In Oslo wurde jüngst eine Brücke nach seinen Entwürfen gebaut. Und ein Bild-Text-Band begibt sich mit Computergrafik auf die "Spur des genialen Erfinders".

"Leonardo dreidimensional." ist ein schön gemachtes, gut lesbares Buch, das in allen Einzelheiten alle technischen Details ausbreitet, sie präzise und begreifbar erläutert. Immer ist die Seite aus Leonardos Notizbüchern faksimiliert abgebildet und aufgeschlüsselt, das dreidimensionale Modell erklärt, die Entstehung und Überlieferung genau festgehalten. Der Motor des Autos wird exakt auseinandergenommen: die Hemmung, das Stockgetriebe und die Bremse, Nocken, Zahnrad, Springfeder und Trommeln beim "Wagen mit Eigenantrieb" erläutert. Auch die Technik einer Flugmaschine oder der mechanischen Flügel werden penibel erklärt und für jeden, auch für technische Laien, sofort sichtbar.

So deutlich hat man da Vincis Erfindungen noch nie nachvollziehen können, so einfach und zugleich präzise wurden sie noch nie erklärt. Dem Renaissance-Meister fehlten damals nur ein paar mathematische Kenntnisse (die erst die nächsten vier Jahrhunderte erbrachten) und vor allem das Geld, um seine Ideen umsetzen zu können. Erst viele Jahre später kam es dazu. Und auch das ist ein Wunder der Geschichte: Wie solche Erfindungen einfach in Vergessenheit geraten konnten.

Nur eines wird immer klarer: Je mehr wir von Leonardo erfahren, umso erstaunlicher ist diese grandiose Leistung eines der größten Menschen der Welt- und Kunstgeschichte.


Titelbild

Domenico Laurenza / Mario Taddei / Edoardo Zanon: Leonardo dreidimensional. Mit Computergrafik auf der Spur des genialen Erfinders.
Übersetzt aus dem Englischen von Erwin Tivig.
Belser Verlag, Stuttgart 2006.
350 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-10: 3763022694

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