Ökonomische Emotionen

In ihrem neuen Buch stellt die Soziologin Eva Illouz nicht nur wissenschaftliche Paradigmen auf den Kopf

Von Marius HulpeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marius Hulpe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wo eigentlich bleiben die Gefühle im heutigen Leben? Wo hat ein Gefühl Platz, wenn es ja doch immer nur im Sinne einer ökonomisch durchrationalisierten Gesellschaftsform ausgestellt, analysiert und zum Motor einer spätkapitalistischen Industrie wird, die das Gefühl zu ihren Zwecken zu nutzen weiß? Ist innerhalb einer solchen Gesellschaftsform etwa ein Gefühl wie die Liebe nicht zu einer schalen, sich am Fetischcharakter des Warenverhältnisses abarbeitenden Sache geworden?

So oder ähnlich könnte man fragen nach der Lektüre des neuen Buchs der israelischen Soziologin Eva Illouz mit dem deutschen Titel "Gefühle in Zeiten des Kapitalismus" (englisch: "Cold Intimacies. Emotions and Late Capitalism"). Illouz' Thesen stellen mit Sicherheit die Geistes-, möglicherweise aber auch die Naturwissenschaften vor einige Fragen.

Illouz erklärt, dass "die Bildung des Kapitalismus Hand in Hand ging mit der Bildung einer stark spezialisierten emotionalen Kultur." Wie sehr können wir uns auf unsere Gefühle verlassen, wenn wir die Art und Weise, wie sie in etwa auszusehen haben, immer schon in plakativer und marktfähiger Form von den Werbeflächen unserer Städte ablesen können?

Therapeutisches Narrativ

In ihren Adorno-Vorlesungen von 2004, die sie an der Frankfurter Goethe-Universität hielt und die soeben in schmucker Aufmachung erschienen sind, verweist Illouz beredt auf die Befangenheit unserer Gefühle innerhalb eines auf die Diskurse der Globalisierung zugeschnittenen gesellschaftlichen Kontextes: "Niemals zuvor ist das private Selbst derart öffentlich inszeniert worden, niemals zuvor ist es so sehr auf die Diskurse und Werte der ökonomischen und politischen Sphäre zugeschnitten worden." Dabei geht sie in ihrer theoretischen Fundierung weit zurück, bis an die Grundfeste der Kapitalismuskritik, der Soziologie und der Psychoanalyse, die sie in ihrem nicht immer ganz logischen Gedankennetz miteinander verknüpft.

Schon in Marx' Analyse der ökonomischen und gesellschaftlichen Prozesse sieht sie eine "Emotionalität am Werk", die aller Kritik am Kapitalismus eine emotionale Fundierung eingeschrieben habe. Illouz macht zudem eine kurze Geschichte eines "therapeutischen Narrativ[s]" sichtbar, welches "Norm und Selbstregulierung als Ziel des Selbstnarrativs" festsetze. Doch die Tatsache, dass "dem Ziel" in der Therapie "nie ein klarer/positiver Inhalt gegeben wird", erzeugt die immer vorhandene Möglichkeit, dass dieses System der Selbstregulierung mithilfe vorgegebener, doch zu vager Ziele "eine ganze Reihe nicht selbstverwirklichter und daher kranker Menschen hervorbringt."

Gerade an dieser Stelle wird besonders deutlich, was über die soziologische Analyse der Grundphänomene hinaus, die besondere Leistung von Eva Illouz Buch ausmacht: Sie trennt auf einer ganz und gar unmetaphysisch zu nennenden Ebene Normativität und Wünschbarkeit logisch und semantisch voneinander, um zeigen zu können, wie wenig die Begriffe einander decken, und daher gewaltiger Bedarf besteht, die bestehende Abwicklung des von seinen Gefühlen auf ganz natürlicher Ebene abhängigen Subjekts von neuem zu kritisieren. Für eine solche Kritik liefert sie sozusagen die Voraussetzung. Denn selbst kritisiert sie das analysierte System nur implizit, wo ihre Analyse eben auf jene Differenz trifft, die eine Infragestellung der üblichen Praxis in Wissenschaft und Wirtschaft nahe legt.

Gewinnbringende Methode

Des Weiteren bewältigt sie ein altes epistemologisches Vorurteil, dem gegenüber insbesondere die Geisteswissenschaften nach dem scientific turn ein enormes Handhabungsproblem offenbarten. Denn entgegen des wissenschaftlichen Kalküls können Emotionen und Wissenschaftlichkeit sehr wohl etwas miteinander zu tun haben. Vielleicht ist dies sogar die sensationellste Prämisse, die sich implizit durch das Werk hindurchschreibt.

Aber Illouz ist eine Soziologin mit feinem Gespür und entdeckt mehr als eine wissenschaftliche Sensation: "Die Sprache der Psychologie war enorm erfolgreich in ihrer Einflussnahme auf das unternehmerische Selbst, da es ihr gelang, die Transformationen des kapitalistischen Arbeitsplatzes zu verstehen und sie zugleich neue Formen der Konkurrenz und Hierarchisierung naturalisierte, die zwar als solche dem psychologischen Interesse äußerlich waren, aber trotzdem zunehmend seiner Kodifizierung erlagen."

Allen voran der empirische Zweig der Psychologie war es demnach, der in seinen Analysen und Verfahren die Erkenntnisse und Methoden bereitstellte, die zur Durchleuchtung und schließlich zur ökonomischen Ausnutzung der menschlichen Emotionen geführt haben. Die kulturell unreflektierte, normative Sicht auf den menschlichen Vollzug seiner Alltagsmuster hat eine hochreflektierte Zurschaustellung des privaten Ich im öffentlichen Diskurs mit sich gebracht. Der Mensch wurde nicht nur gläsern, sondern auch berechenbar, und diese Mischung war es, die ihn der spätkapitalistischen Werbewirtschaft ausgeliefert hat. Wir wurden verkauft, und nun, angesichts des lange superexponenziell expandierten, mittlerweile aber stockenden Warensystems, lässt sich die Frage stellen, ob es das wert war, und ob es der richtige Weg war. Doch für den Einzelnen ist es beinahe unmöglich, sich den materiellen gesellschaftlichen Zwangskollektivismen zu entziehen; er will zu Anerkennung gelangen, und dies funktioniert nur über Teilhabe. Hinsichtlich dieses Aspektes äußert Illouz zudem ihre "Zweifel" an der von Jürgen Habermas aufgestellten These, dass kommunikatives Handeln immer einen "verständigungsorientierten Sprachgebrauch" voraussetze, somit auch das "Zurückhalten negativer Emotionen", "Empathie und Selbstbewusstsein" nicht als die emotionalen Voraussetzungen von Anerkennung zu betrachten seien.

Fundamental

Um noch einmal auf das therapeutische Narrativ zurückzukommen: Es sei daher so "breitenwirksam", schreibt Illouz, "weil es an vielen verschiedenen sozialen Orten umgesetzt wird: in Selbsthilfegruppen und Talkshows, in Beratungsgesprächen und Rehabilitationsprogrammen, in kommerziellen Workshops und Therapiesitzungen, schließlich auch im Internet. An all diesen Orten wird das Selbst aufgeführt, inszeniert und neu justiert."

So liefert Illouz nicht nur die auf empirischen Untersuchungen basierenden Voraussetzungen einer fundamentalen philosophischen Globalisierungskritik, sie betreibt vor allem eifrig eine wissenschaftstheoretische Grundlegung des Phänomens der Emotion. Diese scheint, will man Illouz folgen, eng mit unserem analytischen Denken verknüpft, ja ohne Emotionen, so scheint es weiter, gäbe es gar keine Möglichkeit, kritisch oder analytisch zu denken. Es ist, als hätten wir es immer schon gefühlt.


Titelbild

Eva Illouz: Gefühle in Zeiten des Kapitalismus. Adorno-Vorlesungen 2004.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2006.
170 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-10: 3518584596

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