Ein Reisender in grünen Schuhen

Weit weg vom Rest der Welt - Andreas Altmanns Bericht einer Niederlage

Von Alexander SupadyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexander Supady

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Afrika. Der verlorene Kontinent, das Herz der Finsternis. Kriege und Gewalt, Armut und Korruption, endlose Wüsten, umherirrende Flüchtlinge. Einerseits prägt Hoffnungslosigkeit unser Bild des unbekannten Kontinents, andererseits romantischer Kitsch - das Fremde als Projektionsfläche unbefriedigter Sehnsüchte. Wir pflegen naive Vorstellungen über das "natürliche" Leben alter Kulturen mit überlieferten Weisheiten, wir träumen von märchenhaften Städten, von eindrucksvollen Naturdenkmälern.

Der "Reisende" Andreas Altmann hat einen langen Weg zurückgelegt. Quer durch Afrika. Er hat sich durch 13 afrikanische Länder gekämpft, durch einige der ärmsten, der am wenigsten bekannten, der am meisten vergessenen. Länder sind darunter, so bedeutungslos, dass uns ihre Namen nicht einmal im Zusammenhang wiederholter Schreckensmeldungen untergekommen sind. Zu arm, um am weltweiten Spiel der Globalisierung teilzunehmen, nicht arm genug, um spannenden Stoff für reißerische oder rührselige Geschichten über das Elend schlechthin zu liefern.

Im marokkanischen Tanger beginnt er seine Reise, die ihn in 90 Tagen auf dem Landweg ins südafrikanische Johannesburg führen soll - das jedenfalls suggeriert der vollmundige Untertitel des Buches "In 90 Tagen von Tanger nach Johannesburg". Etwa 7000 Kilometer wird er zurücklegen müssen. Über Rabat und Dakhla gelangt er nach Nouakchott, der Hauptstadt Mauretaniens, von dort nach Bamako (Mali), ein kurzer Abstecher führt ihn ins sagenumwobene Timbuktu. Danach geht es weiter nach Ouagadougou (Burkina Faso) und Abidjan (Côte d`Ivoire), von dort mit dem Flugzeug nach Monrovia im bürgerkriegsgebeutelten Liberia. In rascher Abfolge erreicht er nun Accra (Ghana), Lomé (Togo), Cotonou (Benin) und schließlich Lagos, die Hauptstadt Nigerias.

Altmann schreibt intelligent, seine Sprache ist leicht und wird getragen von lockerem Witz und liebevollem Humor. Die große Leistung dieses schmalen Büchleins aber liegt in den Beobachtungen. Altmann ist ein genauer Betrachter, der seinen Blick gerade auf die Besonderheit im Alltäglichen, auf die bedeutungsvollen Kleinigkeiten lenkt. So gelingen ihm treffliche Beschreibungen typischer Begebenheiten: "[...] die hilfsbereiten Mauretanier nach dem Weg fragen und dabei etwas über Afrika lernen. Weil nie einer sagt: 'Tut mir leid, ich weiß es nicht.' Weil jeder in irgendeine Richtung zeigt und dabei wortreich erklärt, wo es langgeht. Und hätte er nicht den blassesten Schimmer. Aber sein Tun verrät Anteilnahme. Er will mich nicht mit dem grausamen Gefühl stehen lassen, allein zu sein. Ohne Auskunft, ohne Orientierung, ohne die Wärme einer Gewissheit. Daß man drei Ecken weiter wieder von vorne anfangen muß, da hoffnungsloser denn je von der Stelle entfernt, die man suchte, das soll ihn nicht kümmern. Der Augenblick zählt, die Tatsache, daß einer nicht einsam ist."

Jeder, der einmal in Afrika gereist ist, kennt diese Momente, kennt den Frust, den Ärger, die aus solchen Situationen erwachsen. Altmann aber gelingt es nicht nur hier, sondern immer wieder, sich aus einer solchen eindimensionalen, subjektiven Perspektive zu lösen und sich den Situationen und Herausforderungen, denen er gegenübertritt, mit Mitgefühl, Verständnis und Respekt zu stellen, ohne je der Gefahr zu erliegen, sich in dümmlich träumerischer Schwelgerei zu ergehen.

Altmann schreibt aufrichtig ("In diesen Stunden gandenloser Stille werde ich mir wieder bewusst, was für ein zivilisationsgeschädigter Mensch ich bin. Daß ich von Aufregungen in Büchern, Zeitungen, Kinos, Kaffeehäusern und dem Lärm der Städte abhängig bin. Am Ende der Welt verfügt man über nichts, um die Schrecken der Einsamkeit zu ertragen."), zuweilen auch bissig ("Als wir endlich starten, phantasiere ich vom weißen Mercedes und schwarzen Chauffeur des deutschen Botschafters.") und er scheut nicht davor zurück, auch bittere Wahrheiten zu benennen ("Hier verwittert alles. Die Kraft der Männer, die Neugierde der Kinder, die Schönheit der Frauen. Siebzehnjährige mit der Haut einer Alten. Alles verfällt. Nichts scheint wert, bewahrt zu werden. Ich habe kein Recht so zu reden. Wie ich das weiß. Und wie dieses Wissen nichts ändert. Weil eine Reise durch Afrika nicht als moralische Veranstaltung funktioniert. Ich komme an Grenzen. Und dahinter...Dahinter liegt meine Intoleranz.").

So zeichnet er ein verständnisvolles und warmherziges, zuweilen bedrückendes Porträt der verschiedenen Stationen seiner Reise und widersteht dabei mit bewundernswerter Sicherheit jeder Gefahr unzulässiger Verallgemeinerungen. Ebenso souverän verfährt er in der Beschreibung zahlloser Charaktere. Durch treffsicheres Hervorheben charakteristischer Wesenszüge - oft in beißender Schärfe bis hin zu mildem Sarkasmus, jedoch ohne sich je zu abfälligen oder verletzenden Äußerungen hinreißen zu lassen - lässt er sie in nur wenigen Worten bildhaft werden.

Und doch muss er schließlich sein Scheitern eingestehen. In Lagos angekommen, erkennt er die Aussichtslosigkeit der Weiterreise auf dem Landweg; Korruption und Gewalt, Grenzen und Bürokratie werden zum übermächtigen Gegner. Im Eiltempo scheint er geradezu nach Johannesburg zu fliehen, über Zimbabwe und Namibia. Als schlage sich seine Niederlage, seine Ernüchterung über das vorzeitige Ende der Reise in seinen erzählerischen Fertigkeiten nieder, spiegelt sich das überstürzte Ende der Reise in einem ebenso abrupten Ende des Berichts wider. Und so verlässt Altmann den Leser am Ende dieses glänzend wiedergegebenen Reiseberichts urplötzlich und lässt ihn leicht verstört und ganz auf sich gestellt zurück.

Der Leser kann sich einfach nicht des Gefühls erwehren, Altmann habe keine Lust mehr gehabt. Aufs Reisen wie aufs Erzählen.

Lesen sollten wir dieses Buch dennoch!


Titelbild

Andreas Altmann: Weit weg vom Rest der Welt. In 90 Tagen von Tanger nach Johannesburg.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2005.
128 Seiten, 6,90 EUR.
ISBN-10: 3499239930

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