Mother of Crime

Evelyn Polt-Heinzl porträtiert neun österreichische Autorinnen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die von einer weithin noch immer unter männlicher Hegemonie stehenden Literaturgeschichtsschreibung vergessenen Autorinnen mittels Frauen-Literaturgeschichten sowie Schriftstellerinnen-Lexika und nicht zuletzt durch die Publikation ihrer Werke sichtbar zu machen, war eine der ersten Aufgaben, die sich die frühe feministische Literaturwissenschaft stellte. Inzwischen sind weitere hinzugekommen. Dennoch widmen sich Literaturwissenschaftlerinnen nach wie vor dem noch immer unabgeschlossenen und wohl auch nie abzuschließenden Ursprungsprojekt.

Zu ihnen zählt Evelyn Polt-Heinzl, die soeben neun Porträts österreichischer Autorinnen vorgelegt hat. Unter ihnen etwa Martina Wied, eine "radikal Vergessene", deren Werke "im doppelten Sinn keine Frauenromane" seien, da Wied weder "gut verkäufliche konventionelle Unterhaltungsliteratur für die weibliche Leserschaft" geschrieben noch an einem "neue[n] Frauenbild" gearbeitet habe. Auch Auguste Groner zählt zu den Autorinnen, deren Namen man in den meisten Literaturlexika vergeblich suchen dürfte (von den Buchhandlungen ganz zu schweigen). Dies ist um so erstaunlicher, als sie die Entstehung eines ganzen Genres "entscheidend mitgeprägt" hat; eines Genres zumal, das lange Zeit ausgesprochen männlich konnotiert war. Die Rede ist vom Kriminal-, genauer gesagt: vom Detektivroman. Dennoch dürften selbst die hartgesottensten Krimifans kaum je etwas von Auguste Groner gehört haben. Eine intensivere Auseinandersetzung mit ihren Krimis könne einige neue Einblicke in die Geschichte des deutschsprachigen Kriminalromans bieten, vermutet Polt-Heinzl und bedauert, dass sich auch die feministische Literaturwissenschaft bislang nicht mit dem Werk dieser mother of crime befasst hat, die im Übrigen einige englischsprachige Geschwister hatte. Etwa Metta Victoria Roler Victor, die bereits 1866 unter dem Pseudonym Seeley Regester den Detektivroman "The Dead Letter. An American Romance" veröffentlichte, und Anna Katharine Green, die ab 1878 nicht weniger als 35 Kriminalromane schrieb. All dies ist aus Polt-Heinzls Porträt zu erfahren.

Nicht alle der neun von ihr porträtierten Autorinnen zählen zu den bislang (oder inzwischen) Unbekannten. Bertha von Suttner und Bertha Eckstein-Diener, die unter dem Pseudonym Sir Galahad publizierte, sind zwischenzeitlich gar auf je eigene Weise kanonisiert worden. Bei beiden ist es der Autorin denn auch weniger darum zu tun, sie bekannt zu machen, als vielmehr, sie neu zu bewerten.

Polt-Heinzls Interesse am Werk Sir Galahads gilt weniger dem seinerzeit recht bekannten und auch wirkungsmächtigen, heute jedoch eher vergessenen "vorfeministisches Standardwerk" "Mütter und Amazonen" als vielmehr dem antiquarisch zwar noch immer leicht erhältlichen, aber dennoch nur schwer zugänglichen Roman "Die Kegelschnitte Gottes". Dessen zentrales Thema sei die "fundamentale Radikalopposition" "Patriarchat versus Matriarchat" bei gleichzeitiger "radikal dekonstruierende[r] Bestandsaufnahme der westlichen Kultur". Für dessen "typische Sprache" findet Polt-Heinzl die freundliche Umschreibung, dass sie "eine eigenartige Balance zwischen - auch schräger - Blumigkeit und provozierender Schärfe" halte. Ebenso freundlich-zurückhaltend fällt Polt-Heinzls Kritik an Sir Galahads "unglückliche[m] Bezug auf das 'Rassische'" aus, "der den ganzen Roman hindurch immer wieder gesellschaftliche Fehlentwicklungen in Europa erklären soll".

Doch greift sie auch schon mal zu deutlicheren Worten und vermerkt etwa, dass Sir Galahad in ihrem "Idiotenführer durch die russische Literatur" "[r]echt absurd gegen Tolstoi und Dostojewski polemisiert". In diesem Zusammenhang bemerkt sie sogar, "dass keineswegs alle Bücher vergessener Autorinnen wert sind, wieder zur Hand genommen zu werden".

Schlägt Sir Galahad deutlich rassistische Töne an, so werden bei Polt-Heinzl in Hinblick auf Geschlechterdifferenzen immer mal wieder essenzialistische und biologistische vernehmbar, etwa in ihrer wiederholten Rede vom "spezifisch weiblichen Schreiben" - oder wenn sie Evelyne Keitel zustimmt, der zufolge Frauen anders deduzieren als Männer. Im Unterschied zu Letzteren, fügt Polt-Heinzl hinzu, ließen Frauen "Elemente der plötzlichen Eingebung zu oder setz[t]en sie auch gezielt ein". Immerhin aber führt sie für die seit geraumer Zeit doch recht beachtliche Zahl von Krimiautorinnen nicht biologische, sondern soziale Gründe an.

Weniger bekannt als Suttner und Sir Galahad, aber auch nicht ganz so vergessen wie Groner und Wied ist Gisela Elsner, die aktuellste und vielleicht auch die wichtigste der vorgestellten Autorinnen. Die fast überschwänglich lobenden Worte, welche die Autorin für Elsner findet, sind samt und sonders zu unterschreiben, etwa dass sie einen "schonungslos sezierende[n] Blick" besaß und "das vorgefundene Sprach- und Wirklichkeitsmaterial" dekonstruierte und verfremdete. So kann man Polt-Heinzls Begeisterung für die Werke der Autorin uneingeschränkt teilen: Zweifellos schrieb Elsner mit ihrem Roman "Die Riesenzwerge" eine der "luzidesten Bestandsaufnahmen der sozialen Realität der Adenauerzeit". Und - was noch bedeutender ist - Elsner legte bereits "[k]napp zwei Jahrzehnte vor Elfriede Jelineks 'Lust'" mit dem soeben vom Verbrecher-Verlag neu aufgelegten Roman "Das Berührungsverbot" einen "Anti-Porno" vor, "in dem die vermeintliche Befreiung von bürgerlichen Sexualnormen als gesteigerte Pervertierung der Moral entlarvt wird, die zu neuen Formen von (struktureller) Gewalt führt".

Fragwürdiger sind hingegen die von Polt-Heinzl behaupteten Parallelen zwischen Elsner und Ingeborg Bachmann. Dies insbesondere deshalb, weil sie die altbekannten Bachmann-Klischees reproduzieren: "der Hang zur Exzentrik, Selbststilisierung und Tablettensucht". Auf einen entscheidenden Unterschied zwischen beiden weist Polt-Heinzl allerdings zu Recht hin: "Was beide Autorinnen nicht teilen, ist die (Wieder)Entdeckung des Werkes durch die neue Frauenbewegung." Da sich diese nun schon seit einiger Zeit nicht mehr regt, dürfte es für ihre Entdeckung Elsners wohl auch zu spät sein. Aber dem akademischen Feminismus in der Literaturwissenschaft stünde sie nicht schlecht zu Gesicht. Und wer weiß, vielleicht erhebt sich die Frauenbewegung ja auch zu neuer Blüte. Gründe dafür gäbe es genug.


Titelbild

Evelyne Polt-Heinzl: Zeitlos. Neun Porträts.
Milena Verlag, Wien 2005.
204 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3852861292

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