Explicit Lyrics

In den "Texten des Terrors" werden Auszüge aus den Schriften des Jihadismus vorgestellt

Von Fabian KettnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Kettner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gilles Kepel, einer der beiden Herausgeber des Bandes, ist als Autor mehrerer Bücher zu den Themen Islam, Islamismus und Jihadismus bekannt. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihr Thema ernst nehmen, d. h. die antizivilisatorische und insbesondere antisemitische Vernichtungsabsicht des Islamismus weder verschweigen, wie unter Islamwissenschaftlern beliebt, noch sie rationalisieren und entschulden. Wie ernst Kepel seinen Forschungsgegenstand nimmt, zeigt seine neueste Publikation, in der er Texte der vier führenden Köpfe des Jihadismus dokumentiert: von Osama Bin Laden, Abdullah Azzam, Ayman al-Zawahiri und Abu Mus'ab al-Zarqawi.

Zur Einführung werden ihre Biografien vorgestellt. So wird die geläufige Meinung korrigiert, die Jihadisten seien verzweifelte underdogs, die aus einem verständlichen bis berechtigten Entsetzen über die Dekadenz des Westens zu Extremisten geworden seien. Diese Projektionsfläche wird in "Texte des Terrors" zerschnitten. Ganz im Gegenteil sind sie gebildete, sich nach und nach selbst radikalisierende Ideologen aus gut situiertem Hause. Sie mussten sich nicht vom westlich angekränkelten Saulus zum edlen islamischen Paulus wandeln, sondern bewegten sich seit ihrer Kindheit in einem radikalen, hochgradig ideologisierten gesellschaftlichen Umfeld: in Familie, Schule, Moschee oder Universität. Ihre Texte, die für Europäer wegen der Sprachbarriere zumeist gar nicht zugänglich sind, sind mit einem ausführlichen erklärenden und kommentierenden Fußnotenapparat versehen, so dass auch der Laie die Details verstehen kann. Kepel macht sich diese Mühe, um die "dahinter stehende Logik genauer zu betrachten", um den Terrorismus "von innen heraus [...] zu rekonstruieren" - einen Gegenstand also, der in pompösen Medienberichten ebenso wie in diskreter Wissenschaft zu verschwinden droht.

Der Jihadismus ist die Weiterentwicklung und Radikalisierung des Islamismus, einer vorrangig in Ägypten in den 1920er-Jahren entwickelten islamischen Ideologie, die in allen wesentlichen Aspekten der Volksstaats- und Volksgemeinschafts-Ideologie des europäischen Faschismus glich, insbesondere in Sachen Antisemitismus. Der Jihadismus befreit den Islamismus, den er beschuldigt, sich angepasst zu haben, von bestimmten einschränkenden Elementen. Vom inneren Feind (zu westliche arabische Regierungen) wendet man sich ab und dem äußeren Feind (USA, Israel) zu. Im Kampf gegen sie globalisiert man den Jihad, reagiert also nicht nur auf einen Angriff und verteidigt nicht nur die heiligen Stätten im arabischen Kernland. Den islamischen Boden gilt es aber erstmal zu erobern. Der Jihadismus hat sich territorialisiert, interessiert sich für Boden und nicht nur für das politische System. Deswegen propagiert er auch den Panislamismus und beschränkt sich nicht auf die Eroberung islamischer Nationalstaaten. Um sein Ziel zu erreichen, setzt er auf eine breite Volksbasis, anstatt das Konzept einer revolutionären Elite zu verfechten. Wichtigstes Mittel in diesem Kampf ist der Märtyrerkult.

Beim Lesen der Texte der Jihadisten überrascht ihre Einfältigkeit. Juden werden mit Schweinen und Affen verglichen - da besucht die Pogromhetze wohl noch die Grundschule. Und diese Texte stammen von den Weltführern des Kampfes gegen den "großen Satan" USA und das "Weltjudentum", fragt man sich? Hat das ägyptische Staatsfernsehen die "Protokolle der Weisen von Zion" unter dem Titel "Horse without a horseman" umsonst verfilmt? Das muslimische Alltagsbewusstsein ist doch längst weiter: Es hievt ein Lied mit dem Titel "I hate Israel" über Wochen in die Top Ten und ist auch von seinen staatlich kontrollierten Zeitungen schon weit Deftigeres gewohnt.

Man hätte nicht gedacht, dass die viel belächelte oder beklagte Rückständigkeit der arabischen Welt ausgerechnet in den Texten der Ideologen des Jihad vorherrscht. Wie Nachrichten aus der Wüste lesen sie sich, seit Jahrzehnten bis Jahrhunderten ohne Kontakt zur Realität der Adressaten. Sie erinnern an die Auseinandersetzungen unter militanten Wanderpredigern im Mitteleuropa des 12.-14. Jahrhunderts. Zum größten Teil bestehen sie aus theologischen Disputen über alle möglichen heiligen Schriften und ihre mehr oder minder bedeutenden Kommentare, zum Beispiel um exegetisch korrekt nachzuweisen, dass ein Sohn auch ohne Erlaubnis seines Vaters in den Jihad ziehen dürfe. Interessiert das in der arabischen Welt überhaupt noch jemanden?

Als ästhetisches Phänomen betrachtet sind die Texte schlicht Talmi. Man sitzt "im Schoße seiner Milde", nachdem man durch das "Feuer der Prüfung" ging, deswegen ist das "Herz" "heiter" und die "Seele überglücklich". Man wandelt in einer "dürren Wüste", im "Herzen der Finsternis" und "dürstet" nicht nach Wasser, sondern nach dem "rechten Wort". Auf der einen Seite gibt es "wahre Oasen" und "üppige Gärten", auf der anderen den "Sumpf der Sexualität" und den "Morast der Sünde". Es handelt sich nicht nur um antiquarischen Krempel, der heute keinen Zweck mehr erfüllt. Die Texte, um die es sich hier handelt, sind schlichtweg Plunder, nachgemachte Ehrwürdigkeit - einzig al-Zarqawi schafft es, an den Jargon und den Duktus der no globals anzuschließen. Die Texte beschwören eine Vergangenheit, die ihre Autoren schön und prächtig finden, weil sie sie imaginieren als voll von waffenstarrender Herrschaft, grausamer Gerechtigkeit, Demut aus Furcht, Blut, Schrecken und Tod. Sie sehen aus wie die lächerlichen Kleider und Schmuckstücke aus den Märchenfilmproduktionen der 1970er-Jahre: ein Karfunkel aus Plastik, in Blech gefasst, auf Synthetikchiffon.

Die Pamphlete atmen das Pathos und den unerträglichen Narzissmus, die Fiamma Nirenstein als victimism-triumphalism bezeichnet und die man aus den Kurzfilmen kennt, mit denen das Fernsehen der Palästinensischen Autonomiebehörde bei Kindern um neue Selbstmordattentäter wirbt: Wir sind verzweifelt, schuldlos tief unten. Aber wir sind auch edel, gedemütigt von fremden Mächten, und deswegen können wir nichts dafür. Darum gilt: Wir werden euch alle vernichten. Denn eines haben wir gelernt: "Wir lieben den Tod ebenso sehr wie ihr das Leben".


Titelbild

Al Qaida. Texte des Terrors.
Herausgegeben und kommentiert von Gilles Kepel und Jean-Pierre Milelli.
Übersetzt aus dem Französischen von Bertold Galli, Enrico Heinemann, Ursel Schäfer und Thorsten Schmidt.
Piper Verlag, Zürich 2006.
516 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3492049125
ISBN-13: 9783492049122

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