Bemüht, aber misslungen

Gertrud Fussenegger unterfordert mit "Goethe - Sein Leben für Kinder erzählt" die Kinder engagierter Eltern

Von Jule D. KörberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jule D. Körber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In Zeiten, in denen Eltern immer weniger auf die staatlich-schulische Ausbildung vertrauen und ihren lieben Kleinen das Wissen des Bildungsbürgertums lieber höchstpersönlich vermitteln, verkaufen sich Bildungskinderbücher und Kinderbildungsveranstaltungen wie nichts. Vorbei ist es mit der Kinderspaßgesellschaft, in der die Sprösslinge ihre Freizeit auf dem Ponyhof, beim Ballett oder auf dem Bolzplatz verbringen durften. Nein, auch das Fensterbilder-Basteln und Armbänder-Knüpfen ist tabu, der Zauberkasten wird in den Schrank eingeschlossen.

Denn es geht zur Kinder-Uni, in die Kinder-Physik-Kurse des Deutschen Elektronen Synchrotrons DESY und zum Japanisch-Ferienkurs nach Hiroshima. Da lernen die lieben Kleinen dann auch gleichzeitig noch etwas über Geschichte und Weltpolitik.

Die jetzige junge Elterngeneration durfte sich in den eigenen Kindertagen noch stumpfsinnigen Genüssen wie Otfried Preußlers oder Michael Endes Fantasiegeschichten hingeben oder sich das Leben der nicht gerade vorbildhaften Figuren Astrid Lindgrens wie Pipi, Lotta, Michel oder Karlsson als Wunschtraum vorstellen. Ihren eigenen Kindern lassen sie scheinbar pädagogisch Wertvolleres angedeihen: Da bekommt dann eine sowieso schon durch die Ablenkung des Fernsehers, Computers und vor allem Internets buchfaul gewordene Generation von Kindern Bücher wie "Goethe - Sein Leben für Kinder erzählt" von Gertrud Fussenegger vorgesetzt. Denn ob der Sprössling es bei "World of Warcraft" innerhalb von vier Stunden auf Level 52 schafft, interessiert Günther Jauch in der 89. Staffel von "Wer wird Millionär?" bei der 250.000 Euro-Frage herzlich wenig.

Also werden förderungswillige Eltern dieses Buch, dessen Handlung wahrscheinlich nicht weiter erläutert werden muss, dankbar annehmen. Sie möchten selbstverständlich alles dafür tun, dass ihr Kind hervorsticht und mehr wichtiges Wissen weiß als die Kinder anderer Eltern. Und selber wollen diese Eltern natürlich auch noch etwas über Goethe lernen, denn wie Goethe gelebt hat, das muss man wissen. Ob sich Bücher wie "Goethe - Sein Leben für Kinder erzählt" verkaufen, ist also gar keine Frage der Qualität mehr - der Stempel "Bildung kindgerecht aufgearbeitet" wird reichen, damit es sich gut verkauft. Und oftmals funktioniert dieses Konzept auch, wie man an dem sehr gelungenen Paradebeispiel "Der Kanzler wohnt im Swimmingpool. Oder Wie Politik gemacht wird" sieht. Wenn sich dann die Aufgabe stellt, Goethes Leben für Kinder zu erzählen, also eine kindgerechte Biografie zu schreiben, die auch Eltern interessiert, dann klingt das doch sehr nach einer schreiberischen Steilvorlage, denn es müssen nicht wie im oben genannten Beispiel komplizierte Sachverhalte wie zum Beispiel die Föderalismusreform erklärt werden.

Doch die laut Buchrückentext "Grande Dame der österreichischen Literatur" Gertrud Fussenegger tut sich sehr schwer damit, diese dankbare Aufgabe in einen Treffer zu verwandeln. Da sind zum Beispiel - in ihren Augen wohl kindgerechte - Ausdrücke wie "Knabe", "allerlei Zuckerwerk" und "zärtliche Phrasen", die völlig gekünstelt klingen und kilometerweit weg von der sprachlichen Realität der Kinder sind. Dies erscheint wie der Versuch, die Sprache Goethes mit Fusseneggers Ansichten des Kindgerechten zu mischen. Das ist zwar ein löbliches Anliegen, rutscht jedoch ins Peinliche ab. Und so ist die Sprache symptomatisch für das ganze Buch: Bemüht, aber misslungen. Die Idee, die ganze Erzählung über ganz nah an Goethe zu bleiben, ist gut und gelungen. Andererseits verliert Fussenegger damit vollständig die Distanz, die zu einer Reflexion über Goethes Bedeutung heute nötig wäre. Auch die Idee, Goethe chronologisch durch sein Leben zu begleiten, ist im Sinne einer einfach zu haltenden Geschichte logisch und gut umgesetzt, und wie Fussenegger ihn innerhalb seiner Zeit erklärt, ist ebenfalls schlüssig, gut verständlich und interessant geschrieben. Doch warum der Faust und der Werther immer noch im Deutschunterricht gelesen und auf deutschen Bühnen inszeniert werden - darüber erzählt Gertrud Fussenegger nichts.

Vermutlich aus der Sorge heraus, die Kinder andernfalls zu überfordern, hält sie die Erzählung bewusst schlicht und einseitig. Aber Kinder, die die komplizierten Manga-Welten von heute verstehen, sollte man nicht mit mangelnder Komplexität unterfordern. Die Kindergeneration davor hat auch die komplexen Welten Michael Endes verstanden, in denen es wesentlich mehr gibt als nur Gut und Böse und das, was das Auge sieht. Und die ähnlich vielschichtigen Welten von Harry Potter begeistern Kinder und Erwachsene heute gleichermaßen. Warum sollten die Kinder von heute also mit einer differenzierten Darstellung Goethes überfordert sein? Er wird an jeder Stelle in hellstem Licht gezeigt - nie taucht auch nur der geringste Zweifel an seinem großartigen Charakter und Talent auf, stets ist da der belehrende Tonfall Fusseneggers, der suggeriert, man solle ihn sich zum Vorbild nehmen. All seine Fehltritte werden entweder beschönigt oder weggelassen. Und die meist unbegründete und selten aus der Erzählung heraus motivierte Auswahl von zitierten Gedichten zeigt, was Charakteristikum des ganzen Buchs ist: bemüht, aber misslungen.

Die tolle Idee, Goethes Leben für Kinder zu erzählen, wurde von Gertrud Fussenegger versemmelt. Das ist, wie bei einem Elfmeter ohne Torwart zwar den Ball mit dem Fuß zu treffen, aber das Tor nicht mit dem Ball. Aber Fußballspielen konnten die Österreicher ja auch noch nie so gut.


Titelbild

Gertrud Fussenegger: Goethe. Sein Leben für Kinder erzählt.
Buchverlage LangenMüllerHerbig, München 2006.
184 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3784430384

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