Geheimdienstnovelle

Ian Rankins Frühwerk in deutscher Übersetzung

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass Ian Rankin ein Kenner und Liebhaber von Literatur und Musik ist (eben nicht nur von Whisky, was wir wohlwollend von seinem Haupthelden auf ihn übertragen), ist seinen Romanen deutlich anzumerken. So auch in seinem zweiten, dessen Helden Miles Flint zwischendurch das Pseudonym Walter Scott führen muss. Nehmen wir es als Jugendsünde oder als Referenz an den großen britischen Dichter, denn im Vergleich zu Rankins erstem Roman um seinen DI Rebus sind dem diskreten Mr. Flint die Fortschritte deutlich anzumerken. Die Ironie, die Rankins spätere Romane auszeichnet, kündigt sich hier bereits an. Sein selbstverliebtes Spiel mit dem Ruf der Schotten, es mit dem Alkohol viel zu genau zu nehmen (und es ohne nicht auszuhalten), durchzieht auch diesen Krimi.

Allerdings ist hier vieles anders als von Rebus gewohnt: Statt in Edinburghs Unterwelt spielt das Ganze in der geheimen Welt des MI5, jenes englischen Geheimdienstes also, der so berühmte Helden wie Q oder James Bond hervorgebracht hat. Von Bonds (wieso trinkt der Kerl eigentlich Wodka-Martini?) weltmännischem Charme sind wir im Falle von Rankins Helden Flint freilich weit entfernt. Flint arbeitet als Observierer für den Geheimdienst. Von der abenteuerlichen Sphäre der (amerikanischen) special agents sind wir hier also weit entfernt. Flints Job ist es, nicht aufzufallen und dabei trotzdem immer dicht am Mann zu bleiben. Bleibt er in diesem Fall sogar, trotzdem wird er reingelegt. Der observierte Killer entwischt und erledigt einen israelischen Geschäftsmann. Das Fiasko ist da. Wie kann das einem so erfahrenen Mann wie Flint passieren? Fragt er sich natürlich auch. Und schon sind wir mittendrin. Denn irgendetwas gefällt Flint nicht an dem Ablauf des verhängnisvollen Abends. Eine Blondine, die ihn gleich zweimal anspricht, ein Lächeln auf den Lippen des Oberservierten - Flint nimmt, zurecht, an, dass hier nicht alles abgelaufen ist, wie es sollte. Wieso kennen diese Leute ihn? Und wieso muss gerade ihm das passieren? Bei seinen Recherchen in der eigenen "Firma" stößt er auf nicht viel mehr als darauf, dass er dabei auffällt. Wer aber auffällt, der ist schuld.

Schlimm macht das Ganze noch, dass Flints Frau ein Verhältnis mit seinem besten Freund hat. Und dann muss er auch noch für ein paar Tage nach Irland, als Zeuge an einer geheimen Festnahme teilnehmen.

Rankin lässt seinen Helden lange im Dunkeln und so manchen Schweißausbruch erleben, bis sich langsam das Dickicht lichtet. Irgendwer zieht hier die Fäden, alles, was hier geschieht, scheint zentral gesteuert zu sein, zumal von jemandem, der es mit einem Menschenleben nicht sehr ernst nimmt. Wo dieser jemand sitzt, ist bald klar: in der "Firma" selbst! Ein Doppelagent? Einer, der alte Rechnungen begleichen will? Ist Flint auf etwas gestoßen, von dem er nie hätte erfahren dürfen? Aber was könnte das sein?

Rankin baut seine Geheimdienstnovelle ein in die brisanten Zeiten der IRA-Bombenattentate in London in den achtziger Jahren. Alleinstehende Gepäckstücke werden voller Panik auf Bomben geprüft, geparkte Autos sind per se verdächtig. Immer wieder geht eine neue Autobombe hoch. IRA und britische Behörden gehen nicht zimperlich miteinander um, deshalb ist klar, dass Flints Reise nach Nordirland kein Schulausflug sein soll, sondern echte Geheimdienstarbeit. Allerdings ist es merkwürdig, dass der MI5 für seine irischen Aktivitäten einen Zeugen braucht ...

Rankins Plot ist denkwürdig historisch und hat doch seine aktuellen Seiten. Denn die IRA-Hysterie der siebziger und achtziger Jahre steht der Terrorismus-Angst der Gegenwart kaum nach. Nur ist die Zahl der Feinde des Abendlands mittlerweile sehr groß geworden. Ein halber Kontinent statt eines Bruchteils einer Insel stellt das Reservoir des modernen Terrorismus. Umso hilfreicher ist es, dass Rankin schon in diesem Roman nicht einseitig Position bezieht. Die Guten können durchaus auch die Bösen sein, und der Terrorismus ist ein blutiges Geschäft, egal, ob er von der Seite der angeblichen Freiheitskämpfer oder von der der angeblichen Ordnungshüter betrieben wird. Es gibt einen Punkt, an dem das Ganze kippt und ab dem Gewalt nur noch mehr Gewalt erzeugt, ohne Rücksicht darauf, dass auf diese Weise nur immer alles schlimmer wird.

Umso ärger das Ganze, wenn dann noch persönliche Motive in die regionalen oder internationalen Konflikte hineingespielt werden und die Unübersichtlichkeit der Kampflinien dazu genutzt wird, eigene, private Rechnungen zu begleichen. Dass wir es auch in diesem Fall mit einer Melange von verfehlter Politik und gewissenlosem Machtstreben zu tun haben, ist gewissermaßen gattungstypisch. Im guten alten Thriller gab es so etwas nicht wirklich. Die Feinde hatten immer auch Respekt voreinander, kannten sie sich doch noch aus der Zeit, in der sie auf derselben Seite der Front kämpften. Mit den achtziger Jahren aber treten diese Veteranen auch medial ab. An ihre Stelle kommen machtorientierte, karrieregeile und kaltherzige Killer, denen nicht ihr System am Herzen liegt, sondern nur sie selbst. Das aber ist eigentlich das Ende des Thrillers, der vom Kalten Krieg gelebt hat wie die Made im Speck. Wohin sollen die Maden, wenn der Speck fehlt?


Titelbild

Ian Rankin: Der diskrete Mr. Flint. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Claus Varrelmann.
Manhattan Verlag, München 2006.
350 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-10: 3442546230

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch