Aus unterschiedlichen Blickwinkeln

Literaturwissenschaftler beleuchten, wie verwurzelt Heinrich Heine im 18. Jahrhundert war

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Literatur des 18. Jahrhunderts war für den Dichter Heinrich Heine eine wichtige Projektionsfläche für die positiven wie negativen Möglichkeiten der eigenen Epoche. Sein vielfältiger Rekurs auf die Vergangenheit diente daher nicht so sehr der Konservierung einer verflossenen Zeit, sondern vor allem der Gestaltung der eigenen Zukunft.

Bislang wurde der Einfluss der Literatur des 18. Jahrhunderts auf Heines Leben und Werk in der Heine-Forschung wenig beachtet. Dieses Versäumnis versuchen nun die Autoren des kürzlich erschienenen Bands "Aber der Tod ist nicht poetischer als das Leben. Heinrich Heines 18. Jahrhundert" zu beheben, indem sie seine literarische Verwurzelung im Zeitalter der Aufklärung, von verschiedenen Blickwinkeln aus beleuchten.

Einen Einblick in die geistige Traditionslinie, in die sich Heine selbstbewusst einreiht, bieten, laut Robert Steegers, die Schriften des Dichters aus der Zeit um 1830, insbesondere seine Studie "Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland", in der Lessing und Kant zentrale Rollen spielen. Außerdem darf dabei nicht übersehen werden, wie der Literatur- und Medizinhistoriker Christoph auf der Horst deutlich macht, dass der Dichter in einem nur geringen zeitlichen Abstand zu den politischen und kulturellen Ereignissen des 18. Jahrhunderts gestanden hat. Immerhin lag die Enthauptung Ludwigs XVI. gerade vier Jahre zurück, als Heine geboren wurde, sodass Heine später schreiben konnte: "Um meine Wiege spielten die letzten Mondlichter des achtzehnten und das erste Morgenrot des neunzehnten Jahrhunderts."

Wie von einem politischen Zeitschriftsteller zu erwarten war, der sich dem "Befreiungskampf der Menschheit" verschrieben hatte, benutzte Heine die historischen Details und Anekdoten des Ancien Régime als Staffage, um seiner Kritik an den restaurativen Kräften des "juste milieu" argumentatives Gewicht zu verleihen. Von Ludwig XIV. ausgehend zeichnete er die Geschichte des Niedergangs des Absolutismus und stellte in den Mittelpunkt seiner Überlegungen nicht so sehr die Könige Frankreichs als vielmehr das Hofleben und den moralischen Verfall, wie er in der Mätressenwirtschaft Ludwigs XV. zum Ausdruck kam. Für Heine endete das Ancien Régime nach der Französischen Revolution, am 21. Januar 1793, mit der Enthauptung des letzten französischen Königs, die Heines Zustimmung fand, auch wenn er im Grunde die Meinung hegte, dass ein Königsmord ein Sakrileg sei.

Gerhard Höhn, freier Wissenschaftler und Publizist, skizziert Heines ungebrochenes Verhältnis zu den normativen Ideen der französischen Lumières, der französischen Aufklärung, die schon in seine Jugend hineingeleuchtet haben. Heine selbst bekennt in seinen "Memoiren": "Ich bin geboren zu Ende des skeptischen achtzehnten Jahrhunderts und in einer Stadt, wo zur Zeit meiner Kindheit, nicht bloß die Franzosen, sondern auch der französische Geist herrschte." Wahrscheinlich habe er schon als Schüler Werke von Diderot, Montesquieu und Voltaire gelesen, vermutet Höhn. Jedenfalls basiere sein Spott über christliche Trinität, teleologisches Denken und Christentum in der "Harzreise" unverkennbar auf Witzen von Voltaire.

Heines Einstellung zur französischen Philosophie, führt Höhn weiter aus, spaltete sich in historische Anerkennung und zeitbezogene Kritik. Das kennzeichnete auch seine Haltung zu Voltaire. Gleichwohl habe er Voltaires aufklärerische Religionskritik geteilt und sich zu ihm als Vorkämpfer gegen Fanatismus, Vorurteile und Aberglauben bekannt. In ihm wie auch in Rousseau habe er zwei Schriftsteller gesehen, "die mehr als andere der Revolution vorgearbeitet" haben. Allerdings habe Heine Voltaire stets als den "klügeren und gewandteren" Menschen gegenüber dem unbeholfenen und stoischen Rousseau verteidigt.

Heine seinerseits verfolgte das utopische Ziel, das "Wohlsein der Materie, das materielle Glück aller Völker" zu befördern sowie "die Göttlichkeit des Menschen" in seiner "leiblichen Erscheinung" anzuerkennen. "Was Not tut", bemerkt Höhn, sei ein "postchristlicher, religiöser Glaube, der die Menschen nicht krank, sondern gesund macht".

Bernd Kortländer, Dozent an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, stellt die tiefe Geistesverwandtschaft zwischen Heine und Diderot heraus: sowohl hinsichtlich Heines Neigung zur Inszenierung wie auch zur Anpassung der Sprache an den Gegenstand. Heines assoziative und sprunghafte Schreibart, gerade im Umgang mit "ernsten Gegenständen" wie Literatur, Kunst und Philosophie, sei viel gescholten worden. Karl Kraus und andere Kritiker warfen ihm mangelnde stilistische Seriosität vor, eine unzulässige Vermischung der Ebenen von Wissenschaftlichkeit und Literarisierung, eine Öffnung des Diskurses über praktisch alle Felder des Geistes für jedermann. Auch hierin sei Heine, so Kortländer, durchaus mit Diderot zu vergleichen. Beide wollten ihren Lesern Witz, Esprit und Anregung vermitteln und bedienten sich dabei ähnlicher Mittel, sodass sie über den Abstand von fast hundert Jahren hinweg zu engen Geistesverwandten wurden, die jenseits aller Unterschiede Bürger im gemeinsamen Reich der Poesie gewesen seien.

Bodo Morawe wiederum, Autor und Rundfunkkorrespondent, sieht Heines Religionskritik in einem theoriegeschichtlichen Kontext. Marx verdankte ihm die Aussage, Religion sei "Opium des Volkes" und Nietzsche sein Verdikt "Gott ist tot", während Freud den Dichter als "unseren Unglaubensgenossen" begrüßte und sich damit auf eine Tradition stützte, die sich Heines "Unglaubensgenossen" Spinoza als dem "penseur témeraire" (dem verwegenen Denker) der radikalen Aufklärung und unerschrockenen Begründer des modernen Immanenzdenkens verdankte. Heine sei, befindet Morawe, wie nach ihm Sigmund Freud und vor ihm Baruch de Spinoza, von den "frühesten Anfängen" bis zu den "spätesten Erscheinungen" ein ganz gottloser Jude gewesen und es auch sein Leben lang geblieben - in der Tat ein verwegener Gedanke, eine kühne Aussage, der man nicht unbedingt zustimmen mag, denkt man an Heines Rückkehr zum Gott der hebräischen Bibel in seinen letzten, in der 'Matratzengruft' verbrachten Jahren. Man fragt sich angesichts der vielen Aussagen Heines in Prosa, Gedichten und Briefen während dieser Zeit, ob seine persönliche religiöse Wendung immer noch nicht richtig wahr- und ernst genommen wird?

Recht hat Morawe jedoch mit seiner Behauptung, dass Heines radikale Religionskritik für den engagierten Dichter der strategische Hebel gewesen sei, um das politische und gesellschaftliche System der Unterdrückung, Ausbeutung und Bevormundung des Volkes aus den Angeln zu heben und damit das irdische Glück des Menschen, die Glückseligkeit auf Erden, zu befördern.

Ob Herder oder Wieland - in Heines Spätwerk sind Rückgriffe auf Themen wie auf konkrete Texte der Aufklärung durchaus virulent. Den Beweis hierfür entfaltet Steeger an einem Text aus der späten Lyrik, dem Romanzero-Gedicht "Vitzliputzli", während Herausgeber Sikander Singh im wahrsten Sinne des Wortes "Heinrich Heines erlesenes 18. Jahrhundert" untersucht, also Bücher und Autoren, die Heine gelesen hat oder die ihm zumindest bekannt waren.

Alexander Košenina, Professor für deutsche Literatur in Bristol, nimmt dagegen "Heinrich Heine und die Berliner Aufklärung" in Augenschein, die Kant mit dem Jahrhundert Friedrichs des Großen gleichsetzt hat. Tatsächlich war Berlin bis zu Friedrichs Tod ein Zentrum der Denkfreiheit.

Ähnlich wie Kant erklärte Heine den Sieg der Vernunft über den Glauben zur wichtigsten Voraussetzung von Aufklärung und Fortschritt. Aber erst mit der Reformation wurde "der menschlichen Vernunft das Recht eingeräumt, die Bibel zu erklären", betonte Heine und erhob darum Luther zur Ikone der Denkfreiheit, während Luthers jüdisches Pendant Moses Mendelssohn zum Begründer des "reinen Mosaismus" geworden sei. Nebenbei bemerkt: Hätte man schon in Heines Zeitalter um Luthers antijudaistische Einstellung gewusst, dann wäre Heines Urteil über den Reformator sicherlich weit weniger günstig ausgefallen.

In einem weiteren Aufsatz vergleicht Singh Heines scheinbar anarchisches Drunter und Drüber von Ernst und Spiel, von Satire und Ironie, gedanklicher Tiefe und philosophischer Reflektion mit der Paarung von Scharfsinn und Einfallsreichtum bei Georg Christoph Lichtenberg.

Insgesamt vermitteln die Aufsätze, verfasst von versierten Heine-Kennern, ein abwechslungsreiches und anschauliches Bild von dem Verhaftetsein des Dichters Heinrich Heine mit dem 18. Jahrhundert.


Titelbild

Sikander Singh (Hg.): "Aber der Tod ist nicht poetischer als das Leben". Heinrich Heines 18. Jahrhundert.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2006.
278 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-10: 3895285617

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