Es geht auch ohne Templer nach Santiago

Ulrike Schweikerts neuester Roman über böse Mönche und edle Fräuleins

Von Ines HeiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ines Heiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Rahmen verschiedener Verschwörungstheorien spielt der Orden der Tempelritter nicht erst seit Dan Browns "Sakrileg" eine zentrale Rolle. Kaum überschaubar ist die Anzahl populärwissenschaftlicher Untersuchungen von oft zweifelhafter Qualität, die sich mit dem abrupten Ende dieser Bruderschaft, ihrem sagenhaften Reichtum, geheimen Wissen und - natürlich - ihren angeblichen Verbindungen zum Gral auseinandersetzen. Die Menge der historischen Romane, die auf Grundlage dieses mittelalterlichen Faszinosums aufgebaut sind, ist gleichfalls Legion und schwillt nicht zuletzt seit dem Bestsellererfolg von Browns "Sakrileg" und der Verfilmung "Da Vinci Code" zusätzlich weiter an.

Vor diesem Hintergrund ist durchaus positiv zu vermerken, dass Ulrike Schweikerts aktueller Roman "Das Siegel des Templers" trotz dieses - im Rahmen der Vermarktungsstrategie wohl absichtlich suggestiven - Titels inhaltlich mit den Tempelrittern so gut wie nichts zu schaffen hat: Erzählt wird die Geschichte des "Ritterfräuleins" Juliana von Ehrenberg, das - verkleidet als Knappe Johannes - auf dem Jakobsweg in Begleitung einer Gruppe undurchsichtiger Mitpilger ihrem Vater Kraft von Ehrenberg folgt, der einen Verwandten ermordet haben soll und deswegen zu einer Bußfahrt nach Santiago de Compostela aufgebrochen ist. Der Camino de Santiago und die Umstände des mittelalterlichen Pilgerwesens spielen in Schweikerts Roman klar die Hauptrolle, zu dem sie, wie in Vor- und Nachwort ausführlich dargelegt, Erlebnisse einer eigenen Pilgerreise inspiriert haben. Diese persönlichen Erfahrungen ergänzt die Autorin durch detaillierte historische Recherchen (eine Auswahlbiografie ist im Anhang beigefügt). Sogar die Mühen des Spanischlernens hat sie auf sich genommen, um ihre Nachforschungen vor Ort zu erleichtern und im Roman die Dialoge zwischen den verschiedensprachigen Pilgern authentisch wirken zu lassen. Der Anspruch, den Schweikert an sich und ihr Werk stellt, wird weiterhin belegt durch die Verwendung architektonischer, mode- und kulturgeschichtlicher Fachtermini, die am Ende in einem Glossar erläutert werden. Ergänzt wird der Anhang weiterhin durch eine nach Stichworten gegliederte Kurzdarstellung der realhistorischen Hintergründe der Romanhandlung sowie durch ein Figurenverzeichnis, in dem die Hauptfiguren knapp charakterisiert werden.

Man kann der Autorin also keinesfalls mangelnden Fleiß oder Oberflächlichkeit vorwerfen, dennoch ist insgesamt festzustellen, dass trotz ambitionierter Absichten "Das Siegel des Templers" in mehr als nur einer Hinsicht misslingt. Dies beginnt bereits bei einigen kleineren, teilweise rein formalen Ärgerlichkeiten, die bereits durch eine sorgfältigere und kritischere Lektorierung hätten verhindert werden können: So betont Schweikert in Vorwort und Danksagung ausdrücklich ihr großes Engagement beim Erlernen der spanischen Sprache eigens für diesen Roman - in den tatsächlich im Roman eingefügten spanischen Dialogteilen finden sich aber nicht wenige, teilweise recht offensichtliche Fehler. Zusätzlich uneinheitlich wirkt das Ganze dadurch, dass Schweikert zwar äußerst pflichtbewusst für alle erwähnten Orte die mittelalterliche Schreibweise des Namens verwendet und auch die zu Beginn einmal zitierten Strophen aus dem Rolandslied stilecht auf Altfranzösisch wiedergibt, ebenso wie sie auch die mittelalterlichen Wörter für Kleidungsstücke benutzt; die fremdsprachlichen Dialogpassagen formuliert sie allerdings - abgesehen von den lateinischen - in unserer zeitgenössischen Version der Sprachen. Hier wäre es eindeutig besser gewesen, sich auf jeweils eine der beiden Sprachstufen zu beschränken. Zudem wirken die oft recht langen französischen und spanischen Passagen, die dann anschließend in deutscher Übertragung meist komplett wiederholt werden, in ihrer Gesamtheit auf den Leser oft redundant und ermüdend. In Zusammenhang mit der Sprachproblematik ist weiterhin fraglich, ob es tatsächlich notwendig ist, zu jedem mittelalterlichen Ortsnamen auch die moderne Schreibweise anzugeben, besonders, wenn die Abweichung zwischen beiden so minimal ist wie zwischen Viana/Vianna oder allein auf einer Änderung der Rechtschreibkonventionen beruht wie bei Castrojeriz/Castroxeris.

Auffällig ist auch die recht große Anzahl an Anachronismen, von denen einige eher liebenswerter Natur sind, wie beispielsweise der "Medizinkoffer" eines Mönchs, andere allerdings doch von einer grundsätzlicheren Unwissenheit der Autorin gegenüber bestimmten Aspekten der mittelalterlichen Epoche als solcher zeugen, wenn sie etwa betont, dass es kein Problem darstelle, dass Juliana/Johannes bei ihrer Ankunft in Santiago in Tränen ausbricht, weil in solchen bewegenden Momenten sogar Männer weinen dürften: Dass weinende Männer im Mittelalter eher die Regel als die Ausnahme darstellten, sollte spätestens seit den recht populären Untersuchungen Gerd Althoffs zu ritueller Kommunikation bekannt sein, ebenso wie die Tatsache, dass Tränen zum festen Repertoire mittelalterlicher religiöser Handlungen, gerade auf Pilgerfahrten, gehörten.

Weitaus gravierender als diese formalen und punktuellen Schwierigkeiten ist allerdings die Tatsache, dass auch Handlungsaufbau und -organisation an vielen Stellen sehr zu wünschen übrig lassen: So ist beispielsweise der auf zwei Zeitebenen spielende Roman bis auf den Prologteil insgesamt konsequent aus der Sicht Julianas erzählt. Gegen Ende hin wird diese Erzählperspektive dann allerdings an einer einzelnen Stelle gebrochen, um in einer Rückblende zu erklären, warum einer von Julianas Begleitern, der Franziskaner Bruder Rupert, ihr die ganze Zeit trotz aller Widrigkeiten gefolgt ist. Schweikerts Intention, hier die Motivation dieser Figur darzustellen, ist nachvollziehbar, allerdings handelt es sich bei dieser motivierenden Ereignisfolge komplett um Vorgänge, bei denen das Edelfräulein nicht anwesend war und von denen sie nichts wissen kann. Um die konzeptionelle Einheitlichkeit zu wahren, wäre es daher wesentlich konsequenter gewesen, Juliana diese Ereignisse von einer anderen Figur berichten zu lassen - oder aber den Roman insgesamt multiperspektivischer anzulegen.

Die Kombination der einzelnen Handlungsstränge und unterschiedlichen Informationspotentiale der Figuren ist dabei insgesamt die große Schwachstelle dieses Romans: Schweikert möchte ihre Protagonistin offensichtlich nicht als mittelalterliche Detektivin auf den Spuren templerischer und dynastischer Intrigen präsentieren - ein ausgesprochen positiver Zug, der der Glaubwürdigkeit der Figur als solcher sehr zugute kommt. Problematisch wirkt sich diese Grunddisposition allerdings auf die Handlungsanlage als solche aus, da diese Intrigen im Roman eben dennoch eine tragende Rolle spielen sollen. Obwohl es also Julianas einzige Absicht ist, ihren Vater auf dem Pilgerweg möglichst schnell einzuholen, um ihn persönlich zu den geheimnisvollen Vorfällen zu befragen, soll der Leser en passant auch erfahren, dass der angebliche Mord aus einem fatalen Zusammentreffen zwischen politischer Verstrickung, Erbschleicherei und Besitzgier resultiert. Da dies ein Hintergrundwissen ist, über das die Protagonistin - jedenfalls zu Beginn - nicht verfügt, und das sie zunächst auch nicht aktiv interessiert, müssen ihr die entsprechenden Informationen dann im Handlungsverlauf "zufällig" zugespielt werden. Ein solcher nichtintentionaler Wissenszuwachs ist literarisch ausgesprochen schwer so zu konstruieren, dass das Ereignisgerüst trotzdem glaubwürdig bleibt - und entsprechend wirkt die Autorin hier einfach nur überfordert. Spätestens in der dritten oder vierten Szene, in der sich die Schurken ausgerechnet unter dem Fenster Julianas detailliert über ihre dunklen Pläne unterhalten, oder in der das Edelfräulein aus komplett nichtigen Gründen mitten in der Nacht genau zum Zeitpunkt einer verschwörerischen Beratung ausgerechnet am versteckt gelegenen Treffpunkt auftaucht - immer natürlich, ohne selbst entdeckt zu werden und ohne die geringste Absicht, tatsächlich zu lauschen - ist der Leser nicht mehr bereit, diese Abläufe als wahrscheinlich anzunehmen.

Ähnliche Inkonsistenzen zwischen übergeordneter Erzählabsicht und interner Handlungslogik treten auch innerhalb der Beziehungen der einzelnen Figuren untereinander deutlich hervor. Ganz besonders klar zeigen sich die Schwierigkeiten, die die Autorin in diesem Bereich offensichtlich hat, im Verhältnis zwischen Juliana und dem bereits erwähnten Franziskaner Bruder Rupert: Von Anfang an wird hervorgehoben, wie stark die Protagonistin diesem Mönch misstraut, der ihr auf der Pilgerfahrt seine Begleitung sehr direkt aufdrängt und wie unsympathisch sie ihn findet. Erstaunlicherweise allerdings unternimmt das Edelfräulein - sonst als eine Art mittelalterlicher Pippi Langstrumpf gezeichnet, die immer klare Worte findet, ausgesprochen zielstrebig, dickköpfig und durchsetzungsfreudig ist und mehrere der anderen Nebenfiguren manches Mal sehr deutlich in die Schranken weist - dennoch keinerlei ernsthaften Versuch, Rupert zur Rede zu stellen und ihn mit seinem auffälligen Verhalten zu konfrontieren, beziehungsweise sich dieses zu verbitten. Ihre Aktionen in dieser Hinsicht beschränken sich auf zweimaliges vergebliches Davonschleichen. Die Absicht der Autorin in diesem Zusammenhang ist klar: Rupert, der "undurchsichtige Reisegefährte mit wildem Bart und dem Körper eines Kämpfers, den er meist unter der Kutte eines Bettelmönchs verbirgt" - so die Beschreibung im Personenverzeichnis - soll möglichst lange als potentieller Bösewicht zur Verfügung stehen (man verrät an dieser Stelle wohl kaum zuviel, wenn man andeutet, dass die hier sehr auffällig ausgelegten Hinweise natürlich in die Irre führen). Im Rahmen der Konstruktion einer Intrigenhandlung ist dieses Auslegen falscher Fährten und die Präsentation eines später zu entlastenden Hauptverdächtigen grundsätzlich natürlich eine richtige und passende Strategie - nur lässt sich dieses Erzählelement in der hier vorliegenden Form nicht mit dem Charakter der Protagonistin, so wie Schweikert sie sonst darstellt, vereinbaren: Die Juliana des übrigen Romans zeigt sich wenig disponiert, sich länger als notwendig von verdächtigen oder unsympathischen Gestalten belästigen zu lassen, insofern müsste die Autorin hier noch einen triftigen Grund erfinden, warum ausgerechnet Bruder Rupert von ihr mit so passiver Geduld ertragen wird.

Tatsächliche Stärken weist "Das Siegel des Templers" bei der Beschreibung des Jakobswegs und seiner Sehenswürdigkeiten und bei einigen Genreszenen auf. Gut vorstellbar daher, dass Schweikert auf Basis des von ihr so sorgfältig zusammengetragenen Materials ein stimmungsvoller Reiseroman gelingen könnte - für die Konstruktion überzeugender und spannender Kriminal- bzw. Intrigenhandlungen fehlen ihr indessen leider die notwendige Übersicht und Kombinationsgabe.


Titelbild

Ulrike Schweikert: Das Siegel des Templers. Roman.
Blanvalet Verlag, München 2006.
604 Seiten, 18,95 EUR.
ISBN-10: 3764501995

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