Dämmerlicht des Künstlerlebens

Thomas Mann im Schatten Wagners

Von Melanie OttenbreitRSS-Newsfeed neuer Artikel von Melanie Ottenbreit

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Die Passion für Wagners zaubervolles Werk begleitet mein Leben, seit ich seiner zuerst gewahr wurde und es mir zu erobern, es mit Erkenntnis zu durchdringen begann. Was ich ihm als Genießender und Lernender verdanke, kann ich nicht vergessen", schreibt Thomas Mann ihm Jahre 1933 in "Leiden und Größe Richard Wagners", in einer Zeit, da Deutschland im Taumel romantisch-mythischer Verklärtheit bereits in die nationale Katastrophe marschierte. Wagner, unter dessen Stern vor allem das Frühwerk des Lübecker Bürgersohnes stand, beeinflusste den Romancier wie nur wenige andere Künstler. Im "Dreigestirn", das über Thomas Manns Gesamtwerk leuchtet, rangiert Wagner womöglich noch vor Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche, der wiederum selbst von Wagner inspiriert und zu mancher Attacke stimuliert worden war.

Wagner sei immer der Kunstschaffende gewesen, auf den er sich am besten verstanden habe und in dessen Schatten er lebe, bekannte Thomas Mann einmal Ernst Bertram in einem Brief. Ob dieser Prägekraft hat Hans Rudolf Vaget nun eine Neubearbeitung der 1963 von Erika Mann mit Willi Schuh herausgegebenen Anthologie "Thomas Mann, Wagner und unsere Zeit" vorgelegt, die Aufsätze, Betrachtungen und Zeugnisse versammelt, die weit über die verdienstvolle, von der Tochter bereits acht Jahre nach dem Tod des Vaters veröffentlichte Textauswahl hinausgeht. Vaget hat für seinen Band "Im Schatten Wagners" sowohl Aufzeichnungen aus den Lebensabschnitten zwischen 1895 und 1955, als auch eine Dokumentensammlung zum "Protest der Richard-Wagner-Stadt München" ausgewählt,und Erika Manns Anthologie um die in den 60er Jahren noch nicht edierten Tagebuch- und Briefnotizen erweitert. Einige programmatische Aufsätze wie "Leiden und Größe Richard Wagners" sind fast in Gänze abgedruckt, andere wie "Bruder Hitler" nur mit den für Wagner relevanten Textauszügen aufgenommen. Ein umfangreicher Apparat mit Quellennachweisen und Stellenkommentaren rundet die gelungene Sammlung ab.

Ein zusammenfassender Essay Hans Rudolf Vagets würdigt die Bedeutung Wagners für das gesamte OEuvre Thomas Manns, wobei er die Schattenseiten des Musikdramatikers nicht ausblendet. Diese nimmt er wohl zum Anlass, über die Indienstnahme Wagners durch die Nationalsozialisten nachzudenken und auf Thomas Manns Schwanken zwischen "Kritik und Verteidigung" zu verweisen. Rr hütet sich aber im Sinne des Autors davor, Wagner nur als "Präfiguration Hitlers" zu interpretieren und ihn "rückblickend zu dem Propheten zu machen, als dessen Vollstrecker Hitler zu handeln wähnte". Thomas Mann bekannte durchaus, dass "viel Hitler in Wagner" sei, und im Doktor Faustus ließ er das deutsche Wesen in der Musik, ob gut oder böse, offenbar werden. Das Erbe Wagners liegt freilich wie eine Dämmerung auf Antisemitismus und Hitlerismus in Deutschland. Thomas Mann aber blieb bei allem Zweifel im Bann des Wagnerschen Kunstwerks gefangen, dem er so viele Impulse für das eigene Schaffen verdankte. Noch wenige Monate vor seinem Ableben ist er von seiner Musikdramatik verzaubert: "Abends unter uns. II. Akt 'Lohengrin'... Genoss jeden Takt, kann nicht sagen, wie ich diese Musik liebe". Der Artist Wagner war das Licht seiner Inspiration, allen menschlichen Verfehlungen zum Trotz, und als Gestirn warf er seinen Schatten auf Thomas Mann bis zum Schluss, einen Schatten, der nicht unweigerlich Inhumanität und Verbrechen beförderte, sondern auch eines der größten Romanwerke des 20. Jahrhunderts.

Titelbild

Hans Rudolf Vaget: Im Schatten Wagners. Thomas Mann über Richard Wagner.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 1999.
360 Seiten, 15,30 EUR.
ISBN-10: 3596138353

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