Die Landschaft der Seele

Der israelische Schriftsteller S. Yishar ist gestorben

Von Stefana SabinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefana Sabin

In der israelischen Literaturgeschichte bezeichnet man jene Schriftsteller als "dor ha-medina", als "Staat-Generation", die im Land geboren wurden, an der Staatsgründung 1948 teilnahmen und die Entwicklung des jungen Israels literarisch begleiteten. Zu den bedeutendsten Schriftstellern dieser Generation gehörte S. Yishar: Als Yishar Smilansky 1916 in Rehovot geboren, kämpfte er 1948 gegen die britische Mandatsregierung und nahm so an der Staatsgründung teil. Zwar begann Yishar schon Ende der 30er- Jahre, Erzählungen und Kindergeschichten zu schreiben, engagierte sich aber auch politisch und unterstützte als Parlamentsabgeordneter die Politik Ben-Gurions. Als er nach 18 Jahren aus dem Parlament ausschied, hatte er sich schon einen Platz in der israelischen Literatur erschrieben. Indem er die Alltagssprache mit Neologismen anreicherte und zugleich biblische Konnotationsschichten freilegte, trug er zur Ausformung einer neuhebräischen Literatursprache bei. Indem er den zugrundliegenden sozialen Optimismus der "dor ha-medina"-Literatur nur noch als Hintergrund verwendete und die innere Befindlichkeit des Einzelnen in den Mittelpunkt stellte, steckte er neue inhaltliche Wege ab. Schließlich führte er, indem er den Bewusstseinsstromstil und den inneren Monolog mit dem dominierenden Realismus kombinierte, die Erzähltechniken der Moderne in die israelische Literatur ein.

Schon in seinen ersten Erzählungen stilisierte S. Yishar die Wüstenlandschaft zu einem edenischen Ort, an dem der neue Mensch sich selbst und eine existentielle Heimat finden kann. Seine metaphorische Anstrengung, ein ebenso detailliertes wie intensives Bild der Landschaft zu zeichnen, wurde zu einem wesentlichen Merkmal seines Werks, und indem er die Beziehung zwischen seinen Figuren und der sie umgebenden Natur in großangelegte epische Handlungen einbettete, schuf er, so der Literaturhistoriker Gershon Shaked, ein neues Thema der israelischen Literatur: die Verbundenheit zwischen Mensch und Land. Einerseits ist die Landschaft - in symbolistischer Manier - ein Reflex seelischer Zustände, andererseits - in realsozialistischer Manier - ist ihr langsames Verschwinden ein Reflex der Entstehung des neuen Staates. Durch anthropomorphe Metaphern wurde die Landschaft beseelt, während die Figuren, die Yishar entwarf, ein eher ausgedorrtes Seelenleben hatten. Yishars Figuren sind einfache Leute, die ein gewöhnliches Dasein absolvieren und die die Geschehnisse in eine Extremsituation versetzen: Antihelden, die von der Wirklichkeit auf die Probe gestellt werden. Meist sind es einsame, melancholische Figuren, deren Vergangenheit außerhalb der Handlung liegt und die im Verlauf der Handlung keine psychologische Entwicklung durchmachen. Einzelgänger, die an sich und an ihrer Rolle in der Gesellschaft zweifeln, wobei ihre Zweifel nicht allgemein existentieller Art sind, sondern konkrete Anlässe haben. Der Versuch, bei höchster psychologischer Anspannung seine moralische Integrität zu bewahren und zugleich seiner zionistischen Pflicht nachzugehen, machte immer wieder den Handlungskern von Yishars Erzählungen und Romanen aus.

So beschrieb er kriegerische Zusammenstöße zwischen zionistischen und arabischen Einheiten ("Das Wäldchen auf dem Hügel", 1947) und die Schwierigkeiten der Partisanen, Verhaltensnormen für den Umgang mit arabischen Gefangenen aufzustellen ("Der Gefangene", 1949). Vor allem "Die Geschichte von Hirbet Hiza'a" (1949), in der Yishar von der Zerstörung eines (fiktiven) palästinensischen Dorfes durch eine Partisaneneinheit und von der Deportation der dort ansässigen Bevölkerung erzählt und das moralische Unbehagen des Protagonisten darstellt, kam in den 70er-Jahren zu spätem Ruhm. Denn in dieser Geschichte greift Yishar auf ein tatsächliches Ereignis zurück und gestaltet den historischen Stoff zu einem literarischen Antikriegsmanifest. Zwar stellte Yishar keineswegs die Notwendigkeit des Krieges von 1948 in Frage, aber er funktionierte die Zerstörung eines palästinensischen Dorfes zum Symptom für die inhärente Ungerechtigkeit eines jeden Krieges um und legte das Zentrum des Geschehens ins Bewusstsein des Protagonisten, dessen wachsenden Wiederstand gegen die Realität des Krieges die Erzählung nachvollzieht. Sozusagen als patriotisch-kritische Darstellung der staatlichen Gründungswehen und als sprachliches Kunstwerk, in dem Landschafts- und Charakterstudien ineinander übergehen und die Ausdruckskraft des modernen Hebräisch die Intensität der Prophetensprache erreicht, wurde Yishars Geschichte 1965 zur Schullektüre. Aber als sie 1977 von dem Regisseur Ram Levy im Auftrag der öffentlichen israelischen Fernsehanstalt verfilmt wurde, entstand eine politische Debatte über die Legitimation des "Unabhängigkeitskriegs" und über die Reinheit des offiziellen Gründungsmythos. Yishars Geschichte wurde so zum Katalysator einer gesellschaftskritischen Auseinandersetzung zwischen (alten) Zionisten und (jungen) Postzionisten, die immer noch anhält.

Dabei galt - und gilt - Yishars Antikriegsroman "Tage von Zyklag" (1958), der die Kämpfe zwischen jüdischen und ägyptischen Einheiten in der Negevwüste im September 1948 rekonstruiert (der Ortsname suggeriert den biblischen Hügel Zyklag) und die Ereignisse des Krieges als Verlust der zionistischen Unschuld darstellt, als Nationalepos und wurde mit dem renommiertesten israelischen Literaturpreis, dem Israel Prize, ausgezeichnet. Der einfache Handlungsrahmen wird mit minutiösen Beschreibungen der Landschaft und einem eindringlichen Stimmengewirr von inneren Monologen der Soldaten ausgefüllt - das herausragende Verdienst dieses Romans sah der Schriftsteller A. B. Yehoshua in der Schaffung "eines kollektiven Bewusstseinstroms".

Während Erzählungen und Kindergeschichten Yishars Präsenz in der israelischen Literaturszene und auf dem Buchmarkt sicherten, erschien erst 1992 ein zweiter Roman: "Voraussagen", in dem autobiografische Elemente zur Entwicklungsgeschichte eines Jungen zwischen 1917 und 1930 in einer dörflichen Siedlung in der Nähe von Tel Aviv umgearbeitet werden. Dabei wird das Erwachsenwerden des Protagonisten auf das Erwachsenwerden des Staates bezogen und in der Zerstörung der idyllischen Landschaft durch die Industrialisierung symbolisch dargestellt. Wie in diesem thematisierte Yishar auch in dem folgenden, ebenfalls autobiografischen Roman die zionistische Utopie. Er zeigte, wie die Euphorie der Pioniere in Lebenskampf überging und wie die soziale und politische Realität des entstehenden Staates die Ideale seiner Gründung verdrängte. Bis zuletzt suchte Yishar die Sujets seiner Geschichten in der palästinensisch-israelischen Realität der 30er- und 40er-Jahre und bis zuletzt prägte die syntaktisch und lexikalisch gleichermaßen kunstvolle Sprache - verschachtelte Nebensätze, eine Mischung aus Neologismen und Archaismen, metaphorische Phantasie - sein Schreiben. Yishas sprachliche Suggestivkraft bleibt einzigartig. Stilistisch und thematisch hat er die israelische Literatur mitgeprägt, ja, gehört zu ihren Gründungsvätern.