Die Verzweiflung der mittleren Jahre

Yasmina Reza schreibt über einen Mittvierziger, der sich mit der Endlichkeit der eigenen Existenz auseinander setzen muss

Von Mechthilde VahsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthilde Vahsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach dem wütenden, zornigen und aggressiven Altersmonolog, den die französische Autorin Yasmina Reza, eine der wichtigsten Dramatikerinnen der europäischen Gegenwartsliteratur, 2001 mit ihrem Roman "Eine Verzweiflung" vorgelegt hat, rückt in ihrem zweiten Roman "Adam Haberberg" ein Mittvierziger in den Fokus der Erzählperspektive. "Jetzt ist's soweit", heißt es schon auf der ersten Seite, "das ist die Haltung fürs Altersheim." Genau um diese Haltung geht es in diesem Buch: Woraus besteht sie und wieso wird sie gerade zu dieser Zeit bewusst?

Adam Haberberg ist 47, seine Ehe ist am Ende, er ist erfolgloser Schriftsteller, seine Frau Irène macht die Karriere (als Ingenieurin der Telekommunikation), die sie eigentlich von ihm erwartet hatte. Den beiden Söhnen ist Adam Haberberg nur bedingt nah. In dieser Situation eröffnet ihm sein Arzt, dass Haberberg zu Thrombosen neigt, ein Glaukom im linken Auge kündet bereits von dieser Erbkrankheit. Haberbergs Welt, ohnehin labil, will sich nicht mehr zusammenfügen. In einem Zoo, in den er geflüchtet ist, trifft er unvermutet auf eine alte Schulkameradin, die er während der Schulzeit schon nichtssagend fand und nun erst recht. Doch seine Krise, die ihm während der Begegnung immer deutlicher und klarer wird, hält ihn in einer Lethargie, der er erst am Ende entkommen kann und sich zumindest aus der peinlichen, zwanghaften Situation mit Marie-Thérès löst.

Reza verwendet im Gegensatz zu "Eine Verzweiflung" mehrere Stilelemente, um Haberbergs Innenleben auszubreiten. Innere Monologe, eingefügte Telefongespräche mit seinem Freund Albert, die aus abgehackten Sätzen und einzelnen Worten bestehen, daneben der ausführliche Singsang von Marie-Thérèse Lyoc, Rückblicke, ein seitenlanger Brief - die Autorin beweist ein weiteres Mal ihre souveräne Handhabung der Sprache bei der Darstellung innerer Zustände. Knapp formuliert sie, knapp bleibt auch die Handlung: das Treffen im Zoo, die Fahrt zu Marie-Thérèse Lyoc nach Hause, ein Essen, Abgang. In drei Gesprächen, die Yasmina Reza mit der Literaturwissenschaftlerin Ulrike Schrimpf zwischen November 2002 und April 2004 geführt hat, äußert sich die Autorin zu ihrem Konzept: "Ich schreibe nicht, um Geschichten zu erzählen. [...] Ich erzähle von der Gewalt der Gefühle, von der Niederlage des Augenblicks, also, ich weiß nicht genau, wie ich das erklären soll, aber sicherlich erzähle ich keine Ereignisse, keine Geschichte, keinen Ablauf in der Zeit".

Gegen das plastische Erzählen setzt sie die Kargheit, in der sich durch Andeutungen und Leerstellen ein Leben mit den wesentlichen Koordinaten entfaltet. Haberberg ist ein erfolgloser Schriftsteller bis zu dem Zeitpunkt, an dem er für einen Freund dessen Arbeit übernimmt und einen Groschenroman schreibt, der ihm hervorragend gelingt. Ein fester Vertrag wird ihm in Aussicht gestellt. Doch mit der Diagnose "Thrombose" und der Gefahr, sein Augenlicht zu verlieren, bricht der künstliche Schutzwall an Ausflüchten und Verdrängungen zusammen. Die Endlichkeit bricht in das Leben von Adam Haberberg, und zwar körperlich und radikal. Das zwingt ihn zum Innehalten. Die Begegnung mit der Schulkameradin forciert diesen Prozess. Diese hat sich eingerichtet in einem mittelmäßigen Leben ohne Abenteuer, zwischen Küchengeräten und ihrer Arbeit als Vertreterin für Merchandising-Produkte. Nicht zuletzt durch sie wird Haberberg klar, dass sein Leben, entgegen allen Wünschen und Träumen der frühen Jahre, ebenfalls in dieser mittleren Spur verläuft und daran auch nichts mehr zu ändern ist.

Reza bietet keine Lösungen an, sie will aufzeigen. "Mein Schreiben ist eher ein Blick [...], ein Versuch jedenfalls, eine gewisse Art von Blick auf das Schicksal der Menschheit und die Komplexität des Lebens zu werfen. Und dieser Blick ist wesentlich ein Blick des Mitgefühls."

Einmal mehr variiert Reza diesem Roman die Themen ihrer Theaterstücke und ihrer Prosa: Liebe, Tod, Sterben, der metaphysische Mensch, was sie z. B. mit Beckett verbindet. "Mich interessiert der Mensch im Angesicht des Todes, auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, der Mensch an sich, ob Mann oder Frau."

Haberbergs Krise kreist um genau diese Fragen. Dabei kann er das Eigentliche, das er empfindet, nicht in Worte fassen. Einsamkeit, Melancholie, Tristesse - sein Wunsch, ein "geheimes Heft" darüber zu schreiben, wird durch die Autorin erfüllt, die dieses Buch über seinen Seelenzustand schreibt. Reza sagt dazu: "Die Form [des Buchs] hat eine Energie, die der Hoffnungslosigkeit des Buches aus meiner Sicht widerspricht." Aber nur mit der Form ist es nicht getan, das Kreisen um immer die gleichen Themen kann in seiner Monotonie überwiegen, sich abnutzen, bisweilen langweilen.

Dass Reza in ihrem folgenden Theaterstück "Ein spanisches Stück" die bisherige Dramaturgie der Figuren verändert und stärkere Frauenfiguren präsentiert, deutet auf Entwicklung hin. "Ich habe immer betont, dass meine männlichen Figuren Masken sind, dass ich auf diese Weise vorankomme - eben maskiert: Unter Masken entwickle ich mich, und nach und nach demaskiere ich mich." Folgt man dieser Aussage, dann hat die Demaskierung begonnen. Man darf gespannt sein, was die französische Autorin in den nächsten Jahren noch veröffentlicht, ihren Vorbildern wie Thomas Bernhard oder Botho Strauß jedenfalls ist sie mit ihren ersten Theaterstücken (u. a. "KUNST") näher gerückt. Mit der Prosa gelingt ihr das noch nicht.


Titelbild

Yasmina Reza: Das Lachen als Maske des Abgründigen. Gespräche mit Ulrike Schrimpf.
Aufgezeichnet von Ulrike Schrimpf.
Übersetzt aus dem Französischen von Ulrike Schimpf.
Libelle Verlag, Lengwil 2004.
73 Seiten, 12,80 EUR.
ISBN-10: 3909081991

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Titelbild

Yasmina Reza: Adam Haberberg. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Frank Heobert und Hinrich Schmidt-Henkel.
Carl Hanser Verlag, München 2005.
152 Seiten, 15,90 EUR.
ISBN-10: 3446205756

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