Zweckentfremdete Figur

Zum 65. Geburtstag des Georg-Büchner-Preisträgers Wolfgang Hilbig

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

"Ich bin endgültig in der Eliteliga angekommen. Honorare steigen, was ich schreibe, wird gedruckt, und mit dem Preisgeld erreiche ich ohne Probleme die Rente", erklärte Wolfgang Hilbig, als ihm 2002 der Georg-Büchner-Preis verliehen wurde. Im immer stärker durch öffentlichkeitswirksame "Vermarktung" geprägten Literaturbetrieb ist er dennoch ein Außenseiter geblieben. Der introvertierte Hilbig lebt zurückgezogen in einer Altbauwohnung am Prenzlauer Berg, scheut die öffentlichen Auftritte und fühlt sich selbst bei Lesungen unwohl: "Da bin ich eine zweckentfremdete Figur."

Mit Rollen am Rande der Gesellschaft kennt sich Hilbig, der heute am 31. August 1941 im sächsischen Meuselwitz geboren wurde, aus leidvoller Erfahrung bestens aus. Als in der Bundesrepublik 1979 der Lyrikband "Abwesenheit" erschien, wurde der Autor in der ehemaligen DDR einige Wochen in Untersuchungshaft genommen und später zu einer Geldstrafe wegen angeblichen Devisenvergehens verurteilt.

Ein Jahr später erschien dank des Engagements von Franz Fühmann in der renommierten DDR-Zeitschrift "Sinn und Form" eine erste Auswahl aus Hilbigs Werken. Ein Autor mit einer proletarischen Musterbiografie (er arbeitete als Heizer, Werkzeugmacher und Hilfsarbeiter), der sich die staatstragende Maxime "Greif zur Feder, Kumpel" zu eigen gemacht hatte und dennoch von den SED-Zensoren mit Argusaugen beobachtet wurde.

"Ich war ein völlig normaler Arbeiter in einem Industriegebiet der DDR, der mit seinen Kollegen gut auskam. Diese Kollegen wussten nicht, dass ich schreibe", berichtet Hilbig rückblickend über die Zeit seiner literarischen Anfänge.

Als er 1985 mit einem Schriftstellervisum in den Westen kam, ging es im rasanten Tempo bergauf. Die Kritik feierte Hilbig euphorisch, er wurde mit zahlreichen Preisen überschüttet, und der große Durchbruch gelang ihm mit der kurzen Erzählung "Die Weiber" (1987). Wie auch in den nachfolgenden Werken "Grünes grünes Grab" (1993) und "Die Kunde von den Bäumen" (1994) alle im S. Fischer Verlag) dominiert eine Synthese aus surreal anmutenden Allegorien und düsterer Verfallsbeschreibung. Auch formal bieten diese Texte eine reizvolle Gratwanderung zwischen Lyrik und Prosa.

Von ganz anderem Zuschnitt sind die beiden opulenten, autobiografisch gefärbten Romane "Ich" (1993) und "Das Provisorium" (2000). Über seine eigenen Identitätsprobleme, die mit der Übersiedlung in den Westen zusammenhingen, gab Hilbig (trotz der Tarnung hinter der dritten Person) im "Provisorium" schonungslos Auskunft. "Ich hatte beim Schreiben das Gefühl, nicht mehr so richtig ein DDR-Autor zu sein. Wahrscheinlich ist das durch die Distanz passiert", erklärte der Georg-Büchner-Preisträger.

Schreiben ist für Hilbig immer ein Akt der Selbstbefreiung, ein permanenter Kampf gegen Obsessionen, der zwar für den Leser selten einen Hochgenuss verheißt, aber durch sein verstörendes Ambiente einen singulären Tonfall in der deutschsprachigen Literatur garantiert. "Mir hat nie jemand gesagt, was ich werden soll, was ich machen soll. Ich kann es mir nur so erklären: Wenn einer ohne den geringsten Anhaltspunkt aufwächst - dann wird er automatisch Schriftsteller. Dann hilft nur noch Artikulation. Das Schreiben ist auf jeden Fall ein fast körperliches Bedürfnis", bekannte Hilbig vor fünf Jahren in einem Interview. Zuletzt sind von ihm die Erzählungen "Der Schlaf der Gerechten" (2003) erschienen.