Rache im Designpack

Matteo Strukul stellt in „Mila“ eine maßgeschneiderte Heldin vor. Allerdings ist für Mila Gerechtigkeit keine Sache des Rechts, sondern der Rache

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Sache mit der Gerechtigkeit ist komplizierter, als man gemeinhin denkt. Sie ist weit entfernt von der einfachen Rechenoperation, mit der das Vergeltungsprinzip klassischerweise arbeitet: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Das wird spätestens dann deutlich, wenn eben das, was Auge oder Zahn sein soll, ebenso fraglich ist wie die Personen, denen beides jeweils zuzuordnen ist. Aus diesem Grund gibt es das Rechtssystem, das sich – aus seiner obrigkeitsstaatlichen Herkunft heraus – zu einer sorgsam ausbalancierenden Regelinstanz entwickelt hat (oder zumindest entwickelt haben sollte).

Das mag eine Erkenntnis sein, aber in einem Text, in dem es darum geht, eine derart extraordinäre Figur wie Mila zu installieren, die als extrem kompetenter Arm der Gerechtigkeit agieren soll, darf sie nicht greifen. Und das scheint Matteo Strukul, ihrem Autor, sehr bewusst zu sein.

Keine Frage, Mila, die Killerin, sieht nicht nur umwerfend aus – ihr knackiger Hintern, ihre Brüste und ihre roten Dreadlocks werden immer wieder ins Feld geführt (eine Schande fürs männliches Geschlecht, das sowas sein soll) – sie kann auch alles, was es an asiatisch inspirierten Kampfsportarten gibt, schießt wie eine Scharfschützin, ist extrem austrainiert und präzise fokussiert: Sie will die Verbrecher ausradieren. Auge um Auge, Zahn um Zahn.

Solche Figuren, die angeblich der Gerechtigkeit dienen, auch wenn sie das Rechtssystem unterlaufen, gibt es mittlerweile haufenweise. Dass allein Suhrkamp mit Strukuls Mila nach Candice Fox’ Eden bereits die zweite Kriegerin der Selbstgerechtigkeit vertritt, ist immerhin bemerkenswert.

Für diese Figuren spricht ja auch einiges. Sie haben eine schlimme Vergangenheit hinter sich, aber sie sind skrupellos bei der Verfolgung ihrer Opfer, an deren Schuld sie keine Zweifel lassen, ungemein von ihrem Auftrag überzeugt und sehr fokussiert. Dass sie auch noch Kampfmaschinen sind und den einen oder anderen Flickflack hinbekommen, lässt darauf schließen, dass sie gleich für die Verfilmung mitkonzipiert wurden.

Und so ist es auch im Falle Strukuls, der – und das ist das Problem dieses Romans – alles totsicher machen will: Seine Protagonistin Mila hat ihren Vater bei einem Überfall verloren, sie wurde bei dieser Gelegenheit aber gleich entführt und mehrfach vergewaltigt. Soll heißen, sie handelt aus mittelbarem und unmittelbarem Grund (Recht will man nicht sagen). Damit die Schurken, die es zu massakrieren gilt, auch wirklich zu Recht trifft, sind sie nicht nur ungemein skrupellos (ja, auch sie) und brutal. Sie sind zudem raffgierig und wollen Venetien unter ihre kriminelle Kontrolle bringen, das staatliche System inbegriffen, das sie intensiv beackern, mit Geld und Beziehungen. Sie bezahlen an Staatsanwälten, Richtern und Polizisten, was nur geht – womit das Rechtssystem, das bei der Ahndung des Mordes an Milas Vater nur den Mörder selbst, nicht aber den Auftraggeber hinter Gittern bringt, mit einem Strich suspendiert werden kann. Es taugt nichts, wenn es nicht etwa aus der Freundschaft zu einem Kriminellen eine Auftraggeberschaft als zwingend erwiesen sieht. Aha, das nennt man einen Beweis.

Die Probe aufs Schuldexempel macht Strukul dadurch, dass er den Auftraggeber, den italienischen Paten Rossano Pagnan, gleich als gewissenlosen und grausamen Killer und Folterer vorführt. Sein Gegenspieler, der Chinese Guo Xiaoping, steht ihm in nichts nach, nur dass er auch noch Angehöriger der chinesischen Triaden ist, die als internationale Verbrecherorganisation inszeniert werden. Über das Umfeld lassen sich eigentlich kaum Worte verlieren. Das Niveau sinkt mit der Distanz zum jeweiligen Clan-Chef, und das abrupt. Gewalttätige Dummköpfe mit Hormonproblemen und Schusswaffen.

Milas Plan ist, beide Verbrecher-Clans gegeneinander auszuspielen, was dadurch erleichtert wird, dass der italienische Grande dumm wie Brot ist, und selbst sein chinesischer Gegenüber (dem eine solche Degradierung erspart bleibt) Mila selbstverständlich intellektuell und kampftechnisch unterlegen ist. Um ihren Plan zum Erfolg zu führen, muss Mila auf beiden Seiten – auf der der Chinesen und der der Italiener – aktiv werden und vorgeben, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Das sorgt für Spannung, ob sie nicht doch hochgeht, und für die eine oder andere Schlägerei. Der Text ist mit seinen etwa 200 Seiten jedoch auf Stringenz ausgelegt. Alles muss schnell gehen. Allzuviele Ablenkungen will sich Strukul nicht erlauben, weshalb wir zwar erfahren, dass Pagnan von seiner Frau ausgenommen wird wie eine Weihnachtsgans und Guo mit seinem dämlichen Neffen zu kämpfen hat. Aber viel mehr Privates erfährt man über diese beiden nicht.

Umso mehr allerdings von Mila, der eine Reihe von Tagebuchnotizen zugeschrieben werden, mit denen sie ihre Geschichte, ihre Herkunft, ihre Motivation, ihr Ziel und ihren Weg dorthin erklären darf. Spätestens mit diesem Kniff tut Strukul zu viel des Guten. Indem er die Vorgeschichte Milas erzählt, will er ihr Legitimation zuweisen. Indem er ihr Rachebedürfnis doppelt ausstattet, kann er sie doppelt motivieren – und damit auf Nummer sicher gehen. Das korrupte Rechtssystem und die Gegenspieler tun ihr Übriges.

Dennoch wäre Strukul besser damit gefahren, gerade diese überschießenden Auszeichnungen fallen zu lassen. Superhelden haben kein Unterbewusstes, hat einmal Friedrich Kittler geschrieben und hatte damit Recht. Ihnen Leiden und Motivation zuzuschreiben und nichts davon im Vagen zu halten, macht auch in diesem Fall nur deutlich, dass es um die superkompetente Superheldin geht, von der der Autor sichtlich fasziniert ist, sich aber nicht getraut hat, sie derart nackt ins Rennen zu werfen, wie sie ohne Leiden, Korruption, Mord und Vergewaltigung dagestanden hätte. Er hat es nicht gewagt, sie an den Punkt zu bringen, an dem sie das Recht in ihre eigene Hand nimmt, ohne seinen Lesern einzupauken, warum sie das alles tut. Das tilgt zwar Zweifel und Ungewissheit, macht Mila aber fraglos zu einem Monstrum, das in unserer Welt nichts zu suchen hat. Da lebt sie freilich auch nicht, sondern nur in den Phantasmen, von denen die Literatur reich genug ist. Allerdings ist das für die Realität nicht allzu gut.

Titelbild

Matteo Strukul: Mila. Thriller.
Übersetzt aus dem Italienischen von Ingrid Ickler.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2017.
205 Seiten, 9,30 EUR.
ISBN-13: 9783518467480

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch