High Noon in Polen

Dominik W. Rettinger bringt Polen auf die Thriller-Landkarte – und übertreibt

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im internationalen, vom amerikanischen Kino stark beeinflussten Thriller ist der gewissen- und skrupellose Killer auf dem Vormarsch, was dazu führt, dass überall dort, wo Autoren international mitspielen wollen, solche Standards noch ein wenig überboten werden müssen. Die erzählerische Funktion solcher Akteure mag dabei sogar noch nachvollziehbar sein: Der skrupellose Bösewicht treibt die Handlung immer weiter an und in die Extreme, was es nicht zuletzt den Exponenten der Gerechtigkeit respektive des Rechts erlaubt, ihrerseits zu Mitteln zu greifen, die ihnen unter normalen Umständen verwehrt sind. Zwar gilt für Geheimdienste – zumindest im Thriller – ohnehin, dass sie sich qua Amt nicht im Ton, sondern auch sonst schwer und ungehemmt vergreifen dürfen. Aber in den etwas ausbalancierteren Exponaten wird zumindest der Schein gewahrt, dass das zivile Leben nicht angetastet werden darf.

In Dominic Rettingers Thriller „Die Klasse“ ist von solchen Rücksichtsnahmen nicht viel zu merken. Basis der Geschichte ist der Versuch eines von russischen Oligarchen gegründeten amerikanischen Konzerns, ein Titanvorkommen in Polen, das milliardenschwere Gewinne verspricht, auszubeuten. Ein Problem ist allerdings, dass das Vorkommen in einem Natura 2000-Gebiet angesiedelt ist, also einem von der Europäischen Union initiierten und überwachten Gebiet, in dem industrielle Nutzungen kaum durchsetzbar sind. Um dennoch das Titanvorkommen zu erschließen, planen einige Manager des Konzerns (wieso nur einige?) eine Naturkatastrophe à la Seveso, mit der dann das Naturschutzgebiet Vergangenheit wäre und stattdessen Bergbau betrieben werden könnte. Einer der Direktoren des Konzerns, ein Pole, bekommt das Vorhaben mit und verschiebt kurzerhand anderthalb Milliarden Sloty auf andere Konten, sodass der Konzern auf einmal keinen finanziellen Handlungsspielraum mehr hat. Womit die Geschichte beginnt.

Der polnische Direktor wird beschuldigt, das Geld unterschlagen zu haben, wird aber zugleich von einem Killerkommando überfallen, das die Informationen, wie das Geld zurückzubekommen ist, aus ihm herausprügeln soll. Um sich abzusichern, gibt er die allseits gewünschten Zugangsdaten an einen alten Freund weiter, einem landesweit bekannten Journalisten, auf den das Kommando auch gleich losgeht. Das bekommt ein weiterer Freund mit, der beim Geheimdienst ist, womit die Lage hinreichend unübersichtlich wird.

All das ist eigentlich kein Schaden, da mit Beginn des Romans ein Rennen und Retten losgeht, das wohl für Spannung und Dynamik stehen soll. Die Verbindungen der kriminellen Konzernteile reichen bis weit in die polnische Regierung. Und ob der Geheimdienstfreund vertrauenswürdig ist, bleibt lange offen. Zumal seine Frau mit dem polnischen Direktor durchgegangen ist. Unter Freunden. Der Chef des Killerkommandos hingegen bringt fleißig einen nach dem anderen um, gern auch schon mal einen Mercedesfahrer, der ihn auf der Straße abzudrängen versucht hat. Aber das sind alles nur Hinweise darauf, dass hier nicht mit weichen Bandagen gekämpft wird.

Naheliegenderweise geht alles im allerallerletzten Moment noch gut aus. Die Chemiebombe geht nicht hoch, die Bösewichte bringen sich gegenseitig um, und wer von ihnen überlebt, geht eben in den Knast. Die Guten können sich retten, und das Titan bleibt da, wo es war. Deutsche gibt es im Übrigen auch. Sie haben allerdings keine sehr gute Rolle, sind sie es doch, die den fatalen Chemiemix an die kriminellen Konzernleute verhökern. Das darf dann auch sein.

Unabhängig davon, bleibt dennoch ein schlechter Nachgeschmack: Zum einen, weil Rettinger in der Ausstattung seines Thrillers kein Maß hat einhalten wollen. Die Geschichte von den kriminellen Akteuren eines amerikanischen Konzerns muss denn auch in das Russland der nachsowjetischen Ära verlängert werden. Die Geschichte der drei bis vier Freunde, die unter anderem die Frage verhandeln müssen, wie weit das Vertrauen zueinander nach all den Jahren noch gehen kann, muss auch noch in eine obskure Geschichte eines manipulativen Wissenschaftlers verlängert werden, der sie allesamt zu Marionetten seiner eher befremdlichen Ziele gemacht hat – was aber irgendwie ins Leere läuft.

Hinzu kommen noch die Eheprobleme des Geheimdienstlers, der seine Frau an den Manager verliert, hinter dem allemal her sind, und nun beiden nachspüren muss. Schließlich verschwindet auch noch die Tochter, die von einem psychotischen Nachbarn eingesperrt wird. Dass in der Truppe des Geheimdienstlers ein Maulwurf sitzt, der alles an die Gegenseite ausposaunt, ist da sogar noch als Standardausstattung eines Thrillers anzusehen. Rettinger hat seinen Triller anscheinend besonders gut und komplex machen wollen. Aber wollen ist eben nicht machen.

Hinzu kommen einige Mängel, die Stil und Inszenierung betreffen. Dass die Hauptfigur, der Journalist, bereits auf den ersten paar Seiten zwei Erektionen hat, ist vielleicht doch ein bisschen viel und unnötig. Wir verstehen auch so, dass er auf seine Frau steht. Einiges könnte auch zu Lasten der Übersetzung gehen, die es im Wesentlichen versäumt hat, dem Text die rechte Tonlage zu verschaffen. Zu behäbig bleibt sie gelegentlich, von den terminologischen Missgriffen einmal abgesehen. So wäre aus dem „Polizeistreifenwagen“ eigentlich immer ein „Streifenwagen“ oder eine „Streife“ zu machen. Und das EU-Naturschutzprogramm, das im Krimi so herb ausgehebelt werden soll, heißt nun im Deutschen nicht „Natur 2000“, sondern „Natura 2000“. Auch wäre es gelegentlich sinnvoll gewesen, die Dialoge doch etwas nachzubessern und sie von einigen banalen Restbeständen zu erleichtern. Immerhin geht es nicht darum, dem Autor gerecht zu werden, sondern Leser angemessen zu unterhalten.

Titelbild

Dominik W. Rettinger: Die Klasse. Thriller.
Übersetzt aus dem Polnischen von Marta Kijowska.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2017.
479 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783552058552

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