Eine Art Trockenschwimmen

Oliver Ruf fällt zu Kreativem Schreiben nicht viel Neues ein

Von Markus JochRSS-Newsfeed neuer Artikel von Markus Joch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor ein paar Monaten fragte mich eine Doktorandin nach einer Einführung in Kreatives Schreiben, und ich glaubte, ihr mit einem neuen UTB-Band zum Thema dienen zu können. Wenige Tage später gab sie mir das Buch zurück, mit einem leicht säuerlichen „nicht so nützlich“. Damals kam mir ihr strafender Blick etwas hochnäsig vor, heute scheint er mir angemessen. Denn ich hatte ihr „Kreatives Schreiben“ ohne Qualitäts-Check geliehen (mache ich nie wieder, ich schwöre), einfach auf Titel und Klappentext vertraut. Letzterer verspricht, der Band liefere eine „Einführung, die nicht nur handwerkliche Aspekte behandelt, sondern auch die systematische Geschichte seines Gegenstands skizziert“, also das eine wie das andere bietet.

Doch die Abschnitte zum Handwerk fallen dünn aus. Sie schnurren auf einige Anregungen zum Umschreiben literarischer Vorlagen zusammen. Klug mutet dabei noch der Tipp an, die Balladenform von Schillers „Kraniche des Ibykus“ in Kurzgeschichte, Anklageschrift oder Hip-Hop-Song zu übertragen. Auf diese Weise wird man zum Beispiel, wie Ruf herausstellt, einer aktuellen und einer historischen Wettbewerbsfunktion gerecht: So wie der Reimkünstler einer Hip-Hop-Battle kämpfte auch Schiller, er mit Goethe, um die Gunst des Publikums. Genauso originell ist die Idee einer Facebook-Seite zu Büchners „Lenz“, besonders der Dreh, als Büchner, als Lenz oder als eine der weiteren Figuren der Erzählung zu posten. Hier begegnen wir nicht nur einem guten Beispiel für Digitales Kreatives Schreiben, sondern auch einer Vorschule in Erzählperspektive, wechselnder interner Fokalisierung.

Weniger prickelnd wirkt Rufs Vorschlag, nach einer Lektüre von Ingo Schulzes Briefroman „Neue Leben“ selbst Briefe an unterschiedliche Adressaten zu verfassen, zu realen oder erdachten Erlebnissen, die das eigene Leben veränderten. Ein Thema für Besinnungsaufsätze. Ob man es zu Kreativem Schreiben hochreden sollte, ist sehr die Frage, zumal einen auch das Ziel der Übung nicht überzeugt: „Es gilt, die Adressatenabhängigkeit von Briefen sichtbar zu machen, die wiederum auf deren Stil und Ausrichtung Einfluss hat“? Das wird Volljährige kaum überraschen. Gleiches gilt für die bahnbrechende Erkenntnis, dass es sich bei Schulzes Werk nicht um echte Briefe handelt, sondern eine frei erfundene Figur namens Enrico Türmer sie versendet hat. „Dass eine solche Ver- und Enträtselung des Buches Schreibmotivation aufbaut, ist eine erste Einsicht“, die Wunschdenken zum Verwechseln ähnlich sieht.

Amüsant immerhin ist die Begründung für die Wahl von Schulzes Text, dem als „best-practice-Roman“ gepriesenen. Seine Organisation als Briefroman sei Zeichen „innovativer literarischer Techniken“, heißt es 268 Jahre nach Samuel Richardsons „Clarissa“ ohne Ironie. Noch unterhaltsamer der andere Beweis für Eignung: weil das „Buch als der große Roman zur Wiedervereinigung begrüßt worden ist“. Von wem? Von Ruf selbst in einem Artikel von 2009. „Bereits diese Einschätzung gibt einen ersten Hinweis, was ,Neue Leben‘ insbesondere für schreibpraktische Übungen interessant macht.“ Na dann.

Ansonsten recyceln die Umschreibe-Übungen größtenteils Überlegungen von Kaspar H. Spinner und Michael Lentz. Gänzlich vermisst man Informationen, wie sie Fritz Gesing in „Kreativ schreiben“ (2015) gibt: was bei Romananfängen zu beachten ist, welche unterschiedlichen Möglichkeiten der Titelwahl bestehen, wie man mit Kapiteln, Leerzeilen, Absätzen umgeht und Ähnliches. Ebensowenig verhandelt werden elementare Fragen angehender Schriftsteller, die Gesings Ratgeber, der sich in puncto Praxis überhaupt als Alternative empfiehlt, schon ganz zu Anfang stellt. Zum Beispiel: „Möchte ich der Gesellschaft ein grotesk oder satirisch verzerrtes Bild entgegenhalten oder sie mehr durch leicht verdaulichen Humor zum Lächeln bringen? Fallen mir immer wieder witzige Formulierungen und Pointen ein, über die meine Umwelt auch lacht?“

Nach konkreten Fragen und Hilfestellungen muss man bei Ruf nicht nur wegen ihrer geringen Zahl suchen, sie gehen auch immer wieder im bemühten fachdidaktischen Jargon unter: „Bei solchen Verfahren stellt die (Teil-)Lektüre eines literarischen Textes einen Ansatzpunkt für das Schreiben dar, wobei das Umarbeiten sowohl dem Ziel der Inhaltserschließung als auch der Interpretation sowie der eigenen Stil- und Stoffentwicklung dienen kann. Hier erleichtern die produktiven Aktivitäten mithin die Rezeption und schaffen einen individuellen Zugang zum Text. Gleichzeitig dienen sie dem Erwerb von Wissen als Aufbau“ und so weiter und so weiter. Die Erbauungsvokabeln überwuchern das spärliche Eigenmaterial, ständig ist etwas fruchtbar und Gewinn bringend, produktiv sowieso, ständig wird das Gelingen Kreativen Schreibens theoretisch beschworen ‒ doch wie beim Trockenschwimmen fragt man sich, wann der Schritt zur Praxis erfolgt.

Das Buch hätte besser „Kreatives Schreiben. Theorie und Geschichte“ geheißen. Dass sein Verfasser den präzisierenden Titel gescheut hat, mag an Verlagswünschen liegen; jedenfalls sind die Abschnitte zu Theorie und Geschichte die gehaltvolleren. So informieren sie darüber, seit wann in Deutschland ein therapeutisches Verständnis eigener Schreibversuche mit Programmen konkurriert, die das künstlerische Potential betonen. Oder wie speziell in den USA das Creative Writing ein Creative Reading beförderte, ein auf Eigenproduktion angelegtes Lesen, das Studenten neu einschätzen lässt, was literarische Texte gut macht. Vor allem wird klar, wieviel Kritik an praxisferner Literaturwissenschaft in der von Amerikanern wie John Dewey vorangetriebenen Institutionalisierung Kreativen Schreibens steckte. Dessen Entstehung und Varianten im internationalen Vergleich nachzuzeichnen, Großbritannien eingeschlossen, ist allemal ein guter Ansatz.

Allerdings kann von einem Text Rufs nur sehr bedingt die Rede sein. Typisch ist eine Passage wie diese (sie zitiert Hanns-Josef Ortheil):

Deshalb entsteht aus den ersten Creative-Writing-Kursen in den USA ‒ „zunächst nur als eine Art Schreib- und Ausdrucks-Training für Studierende gedacht“‒ bald ein Lehrprogramm, „in dem das literaturwissenschaftliche Studium um einen praxisbezogenen Teil ergänzt wurde“, der „nicht nur formale und handwerkliche Sicherheit in den Techniken des Schreibens“ vermittelt: „Auf dem Weg über die eigene, reflektierte Schreiberfahrung“ sollen „auch Einsichten in jene Kreativitätsprozesse ermöglicht werden, die bei der Entstehung eines literarischen Werks mitwirken.“

Weite Teile des Buchs bestehen aus Fremdtext, unterbrochen lediglich durch kleine Eigeneinsprengsel. Selbst die fallen weg, wenn das Geschichtskapitel sich einer Dissertation von 2000 bedient, um ihr eine ganze Serie von Langzitaten zu entnehmen, die jeweils über eine halbe Seite gehen, gern über mehr. Als ahne der Verfasser, dass Barbara Glindemanns Arbeit zu den kulturellen Hintergründen des Creative Writing in England, Deutschland und den USA schon alles Wesentliche gesagt hat.

Plagiiert wird durchaus nicht, alle Zitate sind tadellos ausgewiesen. Das Problem liegt jenseits der Guttenberg-Galaxis. Ruf müsste langsam lernen, was Master-Studierende meistens instinktiv begreifen: Auch korrekt zitierter Fremdtext kennt ein kritisches Quantum. Dass es hier weit überschritten wird, hat mit des Autors Kompiliertalent zu tun. Für eine schöne Einzelbeobachtung wie die zum Nachleben von Vilém Flussers Schriftbegriff etwa wäre ein kleiner Aufsatz ratsam gewesen. Da Ruf aber unbedingt ein Buch machen wollte, hat er die schon reichlich vorhandene Literatur zu Kreativem Schreiben zusammentragen lassen, um deren Positionen zu wiederholen. Sein eigener Text geht zumeist den kürzesten Weg zwischen zwei Zitaten, bei geringstmöglichem Aufwand an Kommentar oder Paraphrase. „Kreatives Schreiben“ lehrt flotte Publikationslistenverlängerung, auch eine Form der Kreativität.

Kommt es auf den Neuigkeitswert nicht so an, wird ein Autor leicht zum Gemeinplatzwart. Das Schlagwort des Schreiblehrkonzepts in Großbritannien lautet also „,befähigen‘ (enabling), was bedeutet, dass die Schreibstudierenden zum Schreiben angeleitet und ermutigt werden sollen; ,ihre Texte werden diskutiert, kritisiert und lektoriert.‘“ Na sowas. „Das Kreative Schreiben ist kein Phänomen, das sich auf eine Nationalkultur oder -literatur festlegen ließe; es ist global und hat historisch ,gewachsene‘ Transformationen regelrecht durchlebt.“ Wer hätte das gedacht? „Schröter vermutet, ,dass das Auftauchen des Diskurses der ,Medienästhetik‘ mit der Ausbreitung von Computern, dem Medienumbruch zu den digitalen Medien, verbunden ist‘.“ Da könnte was dran sein.

Titelbild

Oliver Ruf: Kreatives Schreiben. Eine Einführung.
(UTB 3664).
Narr Francke Attempto Verlag, Tübingen 2016.
302 Seiten, 22,99 EUR.
ISBN-13: 9783825236649

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