Mensch und Tier jenseits von Worten

Carl Safina erforscht das Denken und Fühlen von Tieren

Von Eva UnterhuberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eva Unterhuber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Autor Carl Safina ist ein Mann vom Fach: Meeresbiologe, Verfasser zahlreicher Naturbücher, Gründungsdirektor des Blue Ocean Institutes, Inhaber der Stiftungsprofessur für Natur und Humanität der Stony Brook University im US-Bundesstaat New York, Autor von Fernsehdokumentationen, schreibend tätig für die „New York Times“ und „National Geographic“. Ein Naturwissenschaftler durch und durch, der sein über 500 Seiten starkes Buch Die Intelligenz der Tiere jenen widmet, „die genau hinsehen und hinhören“ und erzählen, „was sie aus den Stimmen und dem Schweigen derer heraushören, die mit uns auf dieser Erde leben.“ Eine spannende Widmung, die Wissenschaft mit Empathie verknüpft und welche die ganz persönliche Herangehensweise des Autors treffend charakterisiert. Denn wenn es etwas gibt, das Safina auf der Suche nach neuen Erkenntnissen über die Gefühls- und Gedankenwelt von Tieren beherrscht, dann ist es die lebendige Verschmelzung von Sachkunde und Einfühlungsvermögen.

In den vier Kapiteln „Das Trompeten der Elefanten“, „Das Heulen der Wölfe“, „Jaulen und Ärgernisse“ sowie „Der Gesang der Wale“ nimmt Safina den Leser mit zu afrikanischen Elefantenfamilien in Kenia, zu Wolfsrudeln im Yellowstone-Nationalpark, zu Killerwalen in den Gewässern des Nordwest-Pazifik sowie immer wieder mit ins eigene Heim, zu seinen Hunden Chula und Jude und der Waschbärin Maddox. Dabei liefert er nicht nur spannende Einblicke in die Persönlichkeit der beobachteten Tiere, sondern erzählt vor allem mitreißende Geschichten über Freude und Trauer, Eifersucht, Hilfsbereitschaft, Mitleid, Angst und Liebe – Gefühlszustände, die bestimmte Denkrichtungen in den Naturwissenschaften Tieren nach wie vor nicht recht zugestehen wollen. Ein Ärgernis für Safina, wie er unumwunden zugibt, und aus seiner Sicht eine unwissenschaftliche Blickverengung, die einen gut dokumentierten Fundus an Beobachtungen schlichtweg ignoriert. Doch Safina ärgert sich nicht nur darüber, sondern revidiert sachkundig und durchaus auch ironisch die aus dieser Blickverengung geborenen Fehleinschätzungen, indem er genau diesen Fundus zu Rate und eigene Schlüsse zieht. Dabei hat er hat keine Scheu Konzepte, Theorien und Testverfahren zu demontieren, die in seinen Augen keine oder nur geringe Aussagekraft besitzen, da sie tierisches Denken und Fühlen in Konzepte pressen, die am menschlichen Bewusstsein als Maß aller Dinge orientiert sind. In diesem Sinne ist die so genannte „Theory of Mind“ eines seiner „liebsten Ärgernisse“ und viele Experimente in diesem Kontext sagten „vor allem etwas über diejenigen aus, die sie durchführen“ und weniger über die untersuchten tierischen Probanden. Safina geht es im Gegensatz dazu immer um den Blickwinkel der Tiere und um den Versuch, ihr Denken und Fühlen aus sich selbst heraus zu verstehen, ohne die menschliche Interpretation als letztgültige Instanz.

Bei aller Wissenschaftskritik liegt der Schwerpunkt von Safinas Buch letzten Endes aber auf den erzählten Geschichten, den erheiternden, traurigen, überraschenden, anrührenden und nachdenklich stimmenden. Sie sind es, die den Leser in eine Fülle an neuen Erkenntnissen eintauchen lassen, sie sind es, die Zeugnis ablegen von Safinas tiefem Respekt vor den tierischen Mitbewohnern unseres Planeten und großer Verbundenheit mit ihnen und sie sind es, die den Leser nachdrücklich dazu anregen, nachzudenken – über unser Verhältnis zu anderen Arten und über unser Verhältnis zu uns selbst als Menschen.

Titelbild

Carl Safina: Die Intelligenz der Tiere. Wie Tiere fühlen und denken.
Übersetzt aus dem Englischen von Sigrid Schmid und Gabriele Würdinger.
Verlag C.H.Beck, München 2017.
526 Seiten, 26,95 EUR.
ISBN-13: 9783406707902

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