Gastmahl des Geistes

Der Sammelband „Kreis aus Kreisen“ beleuchtet Beziehungen und Gemeinschaftserlebnis im Umfeld von Stefan George

Von Franz Sz. HorváthRSS-Newsfeed neuer Artikel von Franz Sz. Horváth

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

 … einzelne gibt es noch, die diesem Dichter dankbar sein werden, dass er für eine Weile die gedichtete Sprache gerettet, dass er wieder Dichtung, gediegene Leistung ermöglicht hat. Sie werden auch, von ihm geführt, nachdenken über Form, in Kunst und Leben.

Es scheint, als schwebten diese Zeilen des Verlegers Ernst Klett aus dem Jahre 1983 den Herausgebern und Autoren des vorliegenden Sammelbandes vor den Augen. „Kreis aus Kreisen“. Der George-Kreis im Kontext deutscher und europäischer Gemeinschaftsbildung versammelt 30 anregende und Stefan George, seiner Lyrik und seinen Freundeskreisen durchweg zugetane Beiträge, die auf zwei Tagungen in den Jahren 2010 und 2012 in Frankfurt/Main zurückgehen. Sie können mehreren Textsorten zugeordnet werden, denn nicht alle sind wissenschaftlichen Charakters: persönliche Erinnerungen und Bekenntnisse zum George-Kreis sind genauso vorhanden wie gelehrte Abhandlungen, Gedichte, Bilder und Abbildungen. Gerade letztere ergänzen die Texte auf eine besondere, komplementäre Weise. Sie tragen damit entscheidend zum positiven kognitiv-ästhetischen Gesamteindruck des Bandes bei und machen diesen für den zugeneigten Leser zu einem facettenreichen Gastmahl des Geistes, um im Sprachduktus des Bandes zu bleiben.

Die Herausgeber haben die 30 Beiträge, wobei mehrere Autoren mit zwei, einer (Wolfgang Christian Schneider) gar mit drei Aufsätzen vertreten sind, drei Bereichen zugeordnet. Der erste, eher theoretische Abschnitt ist mit „Hesperische Entwürfe“ überschrieben. Drei Aufsätze widmen sich darin im übergreifenden Sinn philosophischen Vorstellungen von Bürgertum und Europa im Denken des 2009 verstorbenen Philosophen Manfred Riedel und in einem Gedicht Hölderlins. Im zweiten Abschnitt, „Europäische Traditionsbildung“ werden antike und mittelalterliche Dichterkreise vorgestellt. Im umfangreichsten dritten Teil geht es um den George-Kreis im weitesten Sinn. Hervorzuheben ist hierbei der europäische Kontext, auf den unter Verweis auf das Verhältnis Georges zu Stéphane Mallarmé oder W. B. Yeats, auf Gabriele d’Annunzio oder den Europagedanken im Werk von George eingegangen wird. Untersucht werden zudem mehrere Kreise und Runden im Geiste Stefan Georges (der Überlinger Freundeskreis, die Tafel in und um Berlin usw.) sowie Freundschaftsbeziehungen innerhalb und am Rande des George-Kreises.

Eine eingehende Würdigung aller Beiträge würde die Möglichkeiten und den Raum einer Rezension sprengen. Fruchtbarer erscheint dagegen eine Ordnung der Beiträge nach einigen Lesarten, die der Band anbietet. Derer sind etwa fünf möglich: eine aktualpolitische, eine hagiographische, eine beziehungsgeschichtliche, eine philosophische und eine kulturgeschichtliche Lesart.

Es verwundert nicht, dass Georges Werk und die von ihm sowie seinem Kreis und dessen Filiationen vertretenen Gedankenwelten Leser und Forscher geradezu einladen, Bezüge zu aktuellen Krisenphänomenen in Europa herzustellen. Mag man dies auch, georgeanisch gedacht, mit der Argumentation zurückweisen, die Größe eines bzw. dieses Dichters liege nicht darin, zum Steinbruch für Zitatbrocken zu aktuellen Problemen zu werden, so lassen sich dennoch zweifelsohne Zeitanalogien herstellen, die augenfällig sind.

Ausgehend von der Beschäftigung des Philosophen Manfred Riedel mit George und dem Bürgertum hält Bruno Pieger, einer der Herausgeber, fest, George sei „anschlussfähig geworden für Fragen und Problemlagen der Gegenwart und Zukunft“. Als Beispiele nennt Pieger eine Legitimationskrise heutiger Gesellschaften, in welchen materieller Wohlstand oder auch ein „Mehr an Wissen und Bildung allein keine tragfähigen Lebensbezüge“ hervorbrächten. Euro-Krise, Milliardenkredite, Schuldenschnitte seien weitere Stichworte, um die Unsicherheit moderner Verhältnisse zu kennzeichnen. Pieger setzt sich daher im Gefolge Riedels für die Renaissance des Bürgertums ein, dem einst „etwas aufgegeben war“. Was genau, dies scheint schwer fassbar zu sein: Es gehe um

Gegebenheiten, in die das Dasein schicksalhaft einbehalten ist und die sich im Menschen als Bild erfüllen möchten. Wer sie geschickhaft zu ergreifen, zu gestalten und zu leben weiß, gehört zu dem Stamm, der noch im Ursprünglichen wurzelt und zugleich der Stamm derer ist, die etwas zu sagen haben. Wer ihm zugehört, ist sich darüber im Klaren, dass er nur als endliches Wesen daran teil hat und für die sich erfüllende Gestalt untergehen wird. Doch bewahrt es ihn vor dem kümmerlichen Leben, dem bloßen Zugrunde-gehen.

Der Bürger müsse bereit sein, „die Zeit selbst zu erleiden, um ins Werk zu setzen, was sie in Zu- und Abkehr, Umkehr und Wiederkehr abverlangt“.

Die ausführlichen Zitate verdeutlichen die Stoßrichtung und die Eigenarten der Aktualisierungen, die in mehreren Beiträgen des Bandes aufzufinden sind. Zu diesen Eigenarten gehören ein gewisser Dezisionismus, ein Jargon („Geschick“, „Zukehr“, „So-Sein“ usw.) und eine Moderne- sowie Technikkritik Heidegger`scher Art („Wirtschaftsunion ohne geistiges Fundament“). Die Stoßrichtung stellt eine bei mehreren Autoren des Bandes nachweisbare, mitunter elitär und dünkelhaft erscheinende, mitunter nachvollziehbare Ablehnung moderner kultur- und nationennivellierender Tendenzen dar.

Ein besonders interessanter Fall der Aktualisierung ist der Aufsatz Michael Stahls. Er unternimmt in seinem mit „fug des Volkes“. Vom Umschmelzen der Macht in Herrschaft. Ein Brückenschlag betitelten Beitrag den Versuch, die politisch-gesellschaftliche Situation des Jahres 44 v. Chr. mit jener des 20. Juli 1944 zu vergleichen und in Einklang zu bringen.

Wenn je ein Vergleich (oder „Brückenschlag“) gescheitert ist, dann dieser. „Wie die Deutschen 1944 so standen die Römer im März 44 v. Chr. vor einem Abgrund“, intoniert Stahl seinen unpassenden Vergleich. Doch abgesehen von einer sicherlich für beide historische Situationen konstatierbaren „Not des Staates“ , die darin bestanden habe, dass die jeweilige Gesellschaft die zur Bewältigung ihrer Aufgaben „in Herrschaft umgeschmolzene Macht“ nicht gehabt habe, gibt dieser „Brückenschlag“ meines Erachtens wenig her. Bereits die Vergegenwärtigung dessen, dass das Attentat des Brutus wohl der Kulminationspunkt einer jahrzehntelangen (und in mehreren Bürgerkriegen ausgefochtenen) Wirtschafts-, Gesellschafts- und Politikkrise war, vermag die Unterschiede anzudeuten. Denn eine solch blutige Verfallsgeschichte lässt sich vom Kaiserreich bis zum Stauffenberg`schen Attentat keineswegs ziehen. Alleine die Annahme eines solchen Niedergangsnarrativs stellt etwa die Weimarer Republik in einen Zusammenhang, in den sie nicht gehört (worauf an einer anderen Stelle des Bandes Wolfgang Graf Vitzthum unter Hinweis auf die kulturelle Blüte in der Republik hinweist).

Stahl schreibt freilich die allseits bekannte Faszination des George-Kreises für große Männer und Herrscher fort, wenn er de facto ein Loblied auf die monarchische Herrschaft anstimmt. Manche seiner Sätze sind allerdings kaum nachvollziehbar, zumal wenn es naheliegt, sie auch als Zustandsbeschreibung für weite Teile Europas im Jahre 1944 zu lesen: „Das Untertanengebiet verlangte immer dringlicher nach einem Wandel von Macht zu Herrschaft“ . Das geringe Potenzial seines Vergleichs ist auch Stahl bewusst. Seine Lagebeschreibung für die Deutschen im Jahre 1944 ist allerdings alles andere als weiterführend oder hilfreich, vielmehr bruchstückhaft und mystifizierend:

Während im einen Falle eine Nation, in einen hoffnungslosen äußeren Krieg verstrickt, schließlich vor ihre physische Existenzfrage gestellt war, stand im anderen Falle ein neuerlicher innerer Krieg vor der Tür. Doch in beiden Fällen stemmten sich zur Tat entschlossene Männer gegen den zwangsläufig scheinenden Weg in den Untergang. Was wir vergleichen können, ist der Stern, dem sie dabei folgten.

Nachdem mit der „Nation“ nur die Deutschen im Zweiten Weltkrieg gemeint sein können, wirft das Zitat u.a. die Frage auf, ob sie denn versehentlich und gegen ihre Absicht in diesen Krieg verwickelt wurden, wie es das Verb „verstrickt“ suggeriert. Und verharmlost bzw. verschweigt der Ausdruck „äußerer Krieg“ nicht das innenpolitische Vorgehen seit 1933 gegen all jene in der deutschen Gesellschaft, die als nicht zur „Volksgemeinschaft“ zugehörig angesehen wurden? Mystifiziert nicht der Begriff „Stern“, dem die jeweiligen Männer gefolgt sein sollen, mehr als dass er aufhellt?

Als diesen „Stern“ der Stauffenbergs identifiziert Stahl deren Vision einer „Neuen Ordnung“, die sich in ihrem berühmten Schwur niedergeschlagen haben soll, den er am Anfang seines Beitrags ausführlich zitiert. „Die Vision des Augustus hingegen können wir vor allem dem entnehmen, was tatsächlich geschichtliche Wirklichkeit wurde.“ Hier scheint nun ein klassischer logischer Sprung, wenn nicht gleich ein Fehlschluss vorzuliegen, denn von der damaligen Wirklichkeit, die uns übrigens nicht vorliegt, sondern die wir uns selbst konstruieren, kann nicht auf eine vorangegangene Vision, mithin von einem Sein auf ein früheres Sollen, geschlussfolgert werden. Nach einer solchen Behauptung kann das Fazit des Aufsatzes nur noch simpel wie das eines modernen Motivationsseminars ausfallen: „Wir müssen das Ziel nur erkennen und bedingungslos dafür einstehen.“ Da nicht übersetzte lateinische Zitate im Band wohl als Zeichen eigenen Anspruchs gelten, kann auch die Diskussion dieser ersten, aktualpolitischen Lesart des Bandes so beendet werden: „sapienti sat“.

Die zweite Lesart des Bandes legt den Fokus auf den Umstand, dass die meisten Beiträger ganz offensichtlich Bewunderer des Stefan Georgeschen Œvreus sind. Das verleiht den Texten eine warme, positive Zugewandtheit, die zwar mitunter der Schwärmerei zu erliegen droht, insgesamt aber angenehm zu lesen ist. Dies führt selbstredend dazu, dass Kritisches selten als solches benannt wird. Wolfgang Graf Vitzthums Aufsatz über Georges Distanz zur Demokratie bildet eine Ausnahme, wenn er dessen Egalitäts- und Mediokritätsvorwurf an die Demokratie oder auch dessen Gleichsetzung von Frankreichs Präsidenten mit dem italienischen Duce als verfehlt bezeichnet. Die empathische Zuneigung zu George wird etwa im Beitrag Konrad Adams über Ernst Glöckner und dessen kalligraphisches Werk deutlich und auch auf Personen im Umkreis Georges ausgedehnt. Beigegebene Abbildungen vermitteln einen Eindruck von Glöckners Kunst.

Dem früh verstorbenen Johann Anton gilt die Aufmerksamkeit Franz von Stockerts. Er stellt dessen Werdegang und Dichtungen vor und zeichnet Antons Bemühungen nach, im diplomatischen Dienst des Auswärtigen Amtes zu reüssieren. Damit wird eine Verästelung des George-Kreises in den Blickpunkt gerückt, welche einmal mehr auch dessen beziehungsgeschichtliche Dimension betont. Der Begriff „Gemeinschaftsbildung“ aus dem Titel ist nämlich (neben dem des „Kreises“) der Schlüsselbegriff zum Verständnis des Bandes – nicht zufällig bildet der dritte Abschnitt („Kreis aus Kreisen“) den umfangreichsten Abschnitt. Dabei geht es zum einen um die Gründung eines besonderen Zirkels oder Kreises, der sich von der Außenwelt durch bestimmte Verhaltensweisen, Interessen und Wertvorstellungen abgrenzte. Zum anderen werden formelle wie informelle Netzwerke und Ausstrahlungen beschrieben.

Den Zusammenhalt, die Bildung von Freundeskreisen und deren ideellen Werte wie auch Gemeinschaftsideale thematisieren etliche Aufsätze. Beispielhaft sei der Beitrag Gudula Knerr-Stauffenbergs über den Überlinger Freundeskreis um Rudolf Fahrner, Gemma Thiersch und Frank Mehnert erwähnt. Diese einte nicht nur die Begeisterung für George und dessen Vorstellungen eines „schönen Lebens“, sondern auch gleich gerichtete künstlerische Interessen.

Die „Rede- und Schreibweisen im jüngeren George-Kreis“ behandelt Franz von Stockert in einem weiteren Beitrag. Er untersucht damit einen eminent wichtigen Aspekt des George-Kreises, besaß doch der Dialog, die dialogische Unterweisung und das Meister-Schüler-Verhältnis (durchaus im Sinne der Dialoge Platons) eine herausragende Rolle unter Georgianern. Als Merkmale des im George-Kreis (auch vom „Meister“ selbst) gepflegten Dialogs arbeitet von Stockert die dialektische Methode, die Ironie, das Zitieren und die Verkündigung von Urteilen und Maximen heraus. Die jüngeren Mitglieder hätten sich diesen Redeweisen angepasst, nur wenige durften George duzen, zumeist sprach man ihn in der dritten Person an.

Um Gemeinschaftsbildung geht es auch in zwei hochinteressanten Beiträgen von Wolfgang Christian Schneider. Er setzt sich deutlich von den Erinnerungen Robert Boehringers und Ludwig Thormaehlens ab, die aus persönlicher Animosität und um ihren eigenen Stellenwert zu erhöhen, bestimmte Personen und Gruppierungen bewusst ignoriert hätten.

In seinem Aufsatz über die „Tafel“ konzentriert sich Schneider auf einen Berliner Freundeskreis „unter dem Zeichen Stefan Georges in der Tradition Friedrich Wolters“. Die Besonderheit dieses Kreises bestand darin, dass seine Mitglieder über Wolter nur eine indirekte Beziehung zu George hatten, den sie auch nie kennengelernt hatten. Dennoch verband das (Lektüre-)Erlebnis von der Mitte der 1920er-Jahre bis in die 1960er-Jahre hinein eine Gruppe von Personen, die sich (zumeist in Berlin) um Hans Otto Eberl, Max Brünn, Arvid Brodersen versammelten. Geselligkeit, geistiger Austausch und die Förderung von Werten und „wahrer Bildung“ bildeten das Interessensgebiet des Kreises. Die Umwälzungen und Verfolgungen unter dem „Dritten Reich“ überstand der Kreis zwar nicht gänzlich unbeschadet, dennoch hielten die Mitglieder noch lange zueinander. Daher ist auch Schneiders Fazit nachvollziehbar, der Kreis sei ein starker, lebendiger Organismus und ein bedeutender „Unterkreis“ des George-Kreises.

In einem zweiten Beitrag stellt Schneider den Georgeaner Hans Boeglin (1893-1969) und dessen Wirken als Lehrer (u.a. von Wolfgang Frommel) im Bannkreis Stefan Georges vor. Auch in diesem Fall ist die Kraft der Ausstrahlung wie auch die Vielfalt und Stärke der Netzwerkbildung im Sinne George`schen Bildungsgedankens beeindruckend. Boeglin verstand es meisterhaft, selbst im hohen Alter und in seinem, teilweise in Italien verbrachten, Ruhestand noch künstlerisch begabte und produktive Menschen anzusprechen und so einen „Freundeszusammenhang“ zu initiieren, der seinen Tod um Jahrzehnte überlebte.

Eine weitere Möglichkeit, den Band zu lesen, bietet sich an, wenn man die philosophischen Bezüge in den Vordergrund stellt. Ganz offensichtlich wird dies am Anfang, wenn Bruno Pieger, wie bereits dargestellt, das Denken Manfred Riedels und dessen Nachsinnen über Beruf und Berufung des Bürgertums vorstellt. Harald Seubert wiederum fokussiert auf Riedels Deutung von Nietzsches ewiger Wiederkehr, die er aus Riedels Spätwerk über Nietzsche herausarbeitet. Philosophisches durchzieht jedoch mehrere weitere Beiträge, wenn von der dialektischen Redeweise, von dem Einfluss platonischen Staatsdenkens auf Georges politische Sichtweisen oder (wie in einem weiteren Beitrag Harald Seuberts) vom George-Kreis und der Platonischen Akademie die Rede ist. Diese Verweise stellen ein beredtes Zeugnis von dem Einfluss insbesondere der platonischen Philosophie auf George aus, was insofern nicht verwunderlich ist, als dessen Programm einer Menschenbildung ganz offensichtlich unter dem Eindruck der platonischen Sorge um die Seele stand.

Die Georgeaner traten auch daher für Sokrates ein, weil sie in dessen Kampf gegen Sophistik und Dekadenz ihren eigenen Kampf wiederzuerkennen meinten, wie dies Lehnert in seiner Untersuchung Europa und die europäische Identität im Werk Georges und seines Kreises ausführt. Der Europabegriff des Kreises zielte auf ein „Europa jenseits des kosmopolitischen, kulturnivellierenden Nenners“, resümiert Lehnert, was sich an manche Ausführungen Bertram Schefolds anlehnt und erinnert. Dieser behandelt im letzten Aufsatz des Bandes die Zusammenhänge des George-Kreises mit den Anfängen der Europabewegung u.a. durch das Prisma einiger Schriften Edgar Salins. Dieser Wirtschaftswissenschaftler, der in Heidelberg der 1920er-Jahre zum Kreis stieß, ließ nie einen Zweifel daran, welche verheerenden Auswirkungen in seinen Augen neoliberale Wirtschaftsströmungen und der regionale Kulturen einebnende Nationalismus haben können, auch wenn sein Europaverständnis, wie es Schefold eingesteht, nur schwer zu bestimmen ist.

Den besonderen Wert des Sammelbandes machen schließlich jene kulturgeschichtlichen Aufsätze aus, welche den George-Kreis in einen europäischen Zusammenhang einbetten. Dies erfolgt zum einen historisch, wenn Michael Stahl (allerdings wenig überzeugend) auf antike Dichterkreise hinweist oder sich Wolfgang Christian Schneider in einem Aufsatz von stupender Belesenheit mit den hochmittelalterlichen aquitanischen und sizilischen Dichterkreisen beschäftigt. Dabei stellt Schneider das Dichten als ein Phänomen höfischer Geselligkeit dar, das „ein Wechselspiel von Erziehung und Selbsterziehung“  war, um das je eigene Ich (heraus) zu bilden. In weiteren Beiträgen verdeutlichen Ludwig Lehnen, Antje Hartje, Giancarlo Lacchin französische (Mallarmé), englische (Yeats) und italienische (d’Annunzio) Bezüge des George-Kreises. Reimar Schefold schlägt zudem in zwei Aufsätzen einen Bogen nach Holland (Castrum Peregrini und „Stiftung Memoriaal“).

Bestimmt man, wie es häufig geschieht, Form und Inhalt als wesentlich für Stefan George, sein Leben und seine Lyrik, so schließlich das Fazit gezogen werden, dass die vorliegende Aufsatzsammlung beiden Merkmalen entspricht. Hinsichtlich der Form sei nur auf die qualitativ hochwertigen Abbildungen zu den Aufsätzen von Christian Baudisch oder Konrad Adam, auf das verwendete Papier und den eleganten, lesbaren Stil der Beiträge hingewiesen. Inhaltlich werden sich sicherlich manche Leser an so manchen Aussagen, die dem heutigen Zeitgeist fremd sind, stören. Dennoch gilt es festzuhalten, dass die Aufsätze fast ausnahmslos zum Nachdenken anregen und somit den geistigen Horizont erweitern, weshalb dem Band insgesamt eine große Leserschaft zu wünschen ist.

Titelbild

Bertram Schefold / Bruno Pieger (Hg.): „Kreis aus Kreisen“. Der George-Kreis im Kontext Deutscher und Europäischer Gemeinschaftsbildung.
Georg Olms Verlag, Hildesheim 2016.
663 Seiten, 86,00 EUR.
ISBN-13: 9783487154114

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