Im Spannungsfeld von Glaube und Skepsis

In einer Collage aus älteren Texten widmet sich Peter Sloterdijk unserem Verhältnis zu Gott

Von Sebastian MeißnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Meißner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwölf Kapitel sind in Nach Gott enthalten. Lediglich eines davon – der Einstieg mit dem Titel „Götterdämmerung“ –  ist speziell für dieses Buch geschrieben worden. Den Rest hat Peter Sloterdijk bereits woanders veröffentlicht oder vorgetragen, den ältesten Text bereits vor über 20 Jahren. Nach Gott eine deshalb Mogelpackung zu nennen, wäre dennoch falsch. Denn wie der gewohnt wortgewaltige Philosoph die einzelnen Kapitel anordnet und dem Leser dadurch einen Gang durch Geschichte und Backstagebereich der Theologie aufzeigt, ist neu.

Sloterdijk überblickt in Nach Gott weitwissend die antike Gnosis („Die wahre Irrlehre“) und beleuchtet ausführlich das „In-Gott-Sein“, bevor er sich dem modernen In-der-Welt-Sein ohne Gott zuwendet. Sloterdijk schlägt einen weiten Bogen, unter dem neben anderen auch Martin Luther, Johann Sebastian Bach, Richard Wagner, Friedrich Nietzsche und Martin Luther King eingefangen werden. 2500 Jahre Christentum hat der Autor im Blick. Der Zeit mit Gott folgt die Zeit „Nach Gott“, beginnend mit der Aufklärung. Hier beginnen auch die interessantesten Texte dieses Buches. Etwa die Frage, was dem Glauben folgt. Oder wie Religion und Gottesvorstellung zusammenhängen. Die Gegenwart nennt Sloterdijk eine „Zeit wachsender Komplexitäten und Kompliziertheiten“.  Die metaphysische Götterdämmerung werde seit dem frühen 20. Jahrhundert überlagert von einer diesseitigen Seelendämmerung. An die Seelendämmerung schließe sich folgerichtig eine Intelligenzdämmerung an, in deren Verlauf „zahlreiche Leistungen des menschlichen Geistes mehr und mehr auf die zweite Maschine übertragen werden.“ Die Künstliche Intelligenz als Folge des Gottesmordes sowie als Versuch der Gottwerdung – Sloterdijks Überlegungen sind brandaktuell.

Den Gedanken Sloterdijks zu folgen fällt trotz der beeindruckenden sprachlichen Präzision nicht immer leicht. Viele Querverweise und gedankliche Verbindungen werden hier vorausgesetzt. Sloterdijk verfügt über ein Wissen, das ihn befähigt, die Dinge besonders dezidiert zu betrachten, Fragen zu stellen, sich an die Beantwortung zu wagen und die Übersetzung seiner Gedanken in Schriftsprache vorzunehmen. Ohne Vorwissen dürften Leser von dieser Wissensfülle abgeschreckt sein. So ist Nach Gott vor allem ein Buch geworden, das herausfordert und anstrengt. Bleibt der Leser hartnäckig, wird er jedoch reich belohnt. Theologische Aufklärung bekommt er in diesem Buch nicht oder nur am Rande. Dafür gibt es ja auch genügend andere Quellen. Sloterdijk liefert aber Assoziationen und gedankliche Experimente, die nicht immer gründlich hergeleitet oder belegt sein mögen, dafür aber aufregend und mutig sind. Manchmal möchte man widersprechen oder nachfragen – und genau darum scheint es ihm zu gehen: um die Auseinandersetzung. Dass das Thema Vergänglichkeit in diesem Kontext jedoch keine Rolle spielt, verwundert allerdings. Dennoch eine lohnende Lektüre.

Titelbild

Peter Sloterdijk: Nach Gott. Glaubens- und Unglaubensversuche.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2017.
364 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783518426326

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