Viel Potenzial verschenkt

Kerstin Stutterheim schreibt ein Game of Thrones-Büchlein, um auf der medialen Hypewelle der neuen Staffel mitzuschwimmen – leider auf Kosten der deutschen Sprache und der Intelligenz der Leser

Von Romy TraeberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Romy Traeber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 16. Juli 2017 startete auf HBO mit großer medialer Aufmerksamkeit die 7. Staffel der Erfolgsserie Game of Thrones. Einen Tag später konnten sich auch deutsche Zuschauer an den neuen Folgen erfreuen. Die Film- und Kulturwissenschaftlerin Kerstin Stutterheim legt anlässlich dieses Ereignisses eine Studie vor, in der sie sich nach eigener Aussage „einigen Aspekten der Serie zu[wendet], zu denen [ihr] in den zurückliegenden Jahren immer wieder Fragen gestellt wurden oder die dramaturgisch interessant sind und vielleicht eine neue Sicht auf die Serie eröffnen.“ In ihrer Analyse will sie aber nicht nur beweisen, dass in Game of Thrones „tradierte Konventionen in der Charaktergestaltung und Handlungsführung weitergeschrieben und ästhetische Mittel genutzt [werden], die sich insbesondere für US-amerikanische Kino-Film-Produktionen etabliert haben“, sondern auch Aussagen über zukünftige Handlungsstränge treffen, die sich aus der Logik des bisher Erzählten ergeben. Nachdem die Staffel über die Bildschirme der Welt lief, kann man zumindest sagen, dass einige von Stutterheims Hypothesen zutreffen – genauso viele aber auch nicht. Über andere wird noch zu sprechen sein, wenn die nächste (dann letzte) Staffel endgültig gelaufen ist.

Der erste Eindruck von Stutterheims Buch fällt eher gemischt aus: Der Blick ins Inhaltsverzeichnis enttäuscht – es wirkt unübersichtlich und unzusammenhängend. Nach der abschließenden Lektüre muss dieser Eindruck dann auch bis auf wenige Ausnahmen bestätigt werden. Zum Teil sind die Kapitel nur eine Seite lang – so als handle es sich um eine hastige Sammlung von Gedanken. Diese sind zwar deshalb nicht schlecht, aber sie wirken zu oft eingestreut, ohne in einem größeren Zusammenhang zu stehen. Außerdem wiederholen sich einige Aussagen an verschiedenen Stellen. Hier wurde einfach zu viel gewollt – wer so Verschiedenes auf begrenztem Platz abarbeiten will, muss fast zwangsläufig scheitern. Meint man es gut mit der Autorin, würde man das Projekt als überambitioniert bezeichnen.

Dass nicht alles misslungen ist, beweist das erste ‚richtige‘ Kapitel Auftakt, in dem die Autorin die ersten Szenen der Serie so ausführlich und interessant beschreibt, dass man sich danach direkt noch einmal mindestens diese erste Folge anschauen möchte. Denn dort werden dem Zuschauer schon in wenigen Minuten jede Menge Informationen und Charakterbeziehungen vorgesetzt, die mindestens bis in die 7. Staffel (und vielleicht auch noch darüber hinaus) relevant sind. Das war den Wenigsten wohl beim ersten Sehen klar – vermutlich vor allem, weil man angesichts der schieren Masse an Personal, Handlungsorten, Zusammenhängen und Beziehungen zwischen den Charakteren hauptsächlich damit beschäftigt war, am Ende der ersten Folge den Durchblick zu behalten.

Beeindrucken kann die Autorin außerdem mit zahlreichen Shakespeare-Referenzen, die ihre These, dass „die Autor_innen und Regisseure die Möglichkeiten und Traditionen der Dramaturgie der darstellenden Künste hier sehr bewusst“ nutzen, untermauert, sowie ihrer großen Kenntnis der Filmgeschichte, wenn sie immer wieder auf Klassiker (und darüber hinaus auf im Mainstream eher unbekannte Produktionen) verweist, an denen sich die Macher von Game of Thrones offensichtlich orientiert haben.

Leider endet an dieser Stelle das Lob. Denn der zweite, intensivere Eindruck macht klar, dass das Buch eine Herausforderung ist. Aber nicht weil es so komplex, sondern weil es so schlecht geschrieben ist. Das zeigt sich einerseits auf der sprachlichen Ebene: Die häufigen Wortwiederholungen – nun gut. Mehrere Stellen, an denen Sätze mittendrin keinen Sinn mehr ergeben oder am Ende noch Teile fehlen – ärgerlich. Mehrfache Fehler bei der Groß- und Kleinschreibung und Zusammen- oder Getrenntschreibung – bedenklich. Auch das/dass gerät häufig durcheinander. Unweigerlich fragt man sich: Was ist da eigentlich schief gelaufen? Der Staffelstart schwebte wie ein Damoklesschwert über den Köpfen des Verlags und der Autorin, Deadlines wurden ausgereizt oder gar nicht eingehalten und am Ende musste das Lektorat aus Zeit- (oder Geld?)gründen eingespart werden? Tatsache ist: In dieser Form ist das keine Werbung für den Verlag und man täte gut daran, schnellstmöglich eine überarbeitete Auflage herauszubringen.

Die sprachlichen Mängel setzen sich auch im Inhalt fort: Wenn die Autorin es als etwas Innovatives der Serie herausstellt, dass „einige Charaktere so gestaltet [sind], dass sie zwischen beiden Polen [gemeint sind ‚Gut‘ und ‚Böse‘, R.T.] agieren oder eine Wandlung vollziehen“, fragt man sich, ob sie in den letzten 20 Jahren auch schon einmal andere (gute) Serien gesehen hat – Charaktere, die sich nicht mehr einfach in eine der Schubladen sortieren lassen und gerade deswegen so interessant wirken (man denke an Tony Soprano, Dexter Morgan oder Hannibal Lecter), gibt es inzwischen zuhauf. Richtig ärgerlich wird es dann aber für jeden Serienliebhaber mit nur minimaler Branchenkenntnis, wenn Mad Men und Breaking Bad kurzerhand als HBO-Produktionen ausgegeben werden (beide kommen tatsächlich von AMC). Ob hier einfach in einer Kurzschlussargumentation diverse ‚Qualitätserien‘ (genannt sind auch „echte“ HBO-Serien wie Sex and the City, The Sopranos und Girls) in einen Topf geworfen wurden oder man an der Kompetenz der Autorin zweifeln muss, sei dahingestellt. Verzeihbar ist es – angesichts der zahlreichen Mängel – absolut nicht.

Auf dem Buchrücken kann man lesen, dass das Buch „sich an Fans ebenso wie an Studierende und Lehrende im Bereich Film und Fernsehen“ wendet. Dieser Hinweis auf die Fans als potenzielle Leser erklärt dann wohl auch die Definitionen zu Beginn einiger der Kapitel. Dass Begriffe wie „Theatralität“ oder „fragmentarisches Erzählen“ für ein nicht-akademisches Publikum kurz erklärt werden, ist nett und sicherlich hilfreich. Gleichzeitig aber auch einen Begriff wie „Ensemble“ definieren, stößt ebendiese Fans vermutlich vor den Kopf. Immerhin sollte jemandem, der einer so komplexen Serie wie Game of Thrones folgt, das Wort „Ensemble“ zumindest aus dem Allgemeinwissen bekannt sein. Ob Studierende hier wirklich etwas lernen (außer vielleicht, wie ihre nächste Hausarbeit auf gar keinen Fall aussehen sollte), ist fraglich. Und Lehrende? Nun, die haben vielleicht in erster Linie das Bedürfnis, mindestens drei Notenpunkte für sprachliche und inhaltliche Mängel abzuziehen und denken hoffentlich nie darüber nach, diese Version des Buches in einem Seminar einzusetzen.

In einer überarbeiteten Version könnte Kerstin Stutterheims Buch einiges wieder gut machen, denn Potenzial hat es allein aufgrund seiner Thematik.

Titelbild

Kerstin Stutterheim: „Game of Thrones“ sehen. Dramaturgie einer TV-Serie.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2017.
132 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783770562046

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