Pseudonyme und Sehnsüchte

Die Erzählung „Seifenblasen“ von Kurt Tucholsky, die erst 80 Jahre nach ihrer Entstehung veröffentlicht wurde, erscheint nun in einer Neuauflage

Von Edyta SzymanskaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Edyta Szymanska

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was in Zeiten von Olivia Jones oder Conchita Wurst nicht mehr ungewöhnlich ist, kann keineswegs als Phänomen der Postmoderne bezeichnet werden. Transvestitenshows, wie sie in Kurt Tucholskys Erzählung eine Rolle spielen, gab es schon zu Zeiten der Weimarer Republik. Wenn auch dezenter und unaufdringlicher, begeisterten sie doch schon damals Massen an Zuschauern.

Die Erzählung Seifenblasen. Eine Geschichte, die ein Film werden sollte ist wie ein Filmskript geschrieben und erzählt die Geschichte der jungen Barbara, die in einer Revue als Aushilfs-Nummerngirl arbeitet. Jeden Abend beobachtet sie die Show des Damenimitators Babett und ist von seiner Darbietung gleichermaßen fasziniert wie irritiert. Nach einem Abend, an dem sie sich immer mehr von der Darstellung des Imitators abgestoßen fühlt, üben die von ihrem Bruder hinterlassenen Anziehsachen auf einmal eine magische Anziehung auf sie aus. Sie zieht den Anzug sowie den Hut an und beschließt, leicht geistesabwesend, die Rolle des Herrn Paulus zu übernehmen und von da an selbst eine Show als Damenimitator zu entwickeln.

Ab diesem Moment beginnt die irrwitzig schnelle Fahrt durch randvoll gefüllte Revuen, Cafés, Bars und Cocktailpartys, auf denen Barbara als Paulus verkleidet nicht nur der Damenwelt den Kopf verdreht. Als sich schließlich Barbara alias Paulus auf eine Beziehung mit ihrer Schauspielkollegin Grace Green einlässt, die keine Ahnung hat, dass Paulus in Wirklichkeit eine Frau ist, aber dennoch kurzerhand mit ihrem Freund Pitty Schluss macht, in der festen Überzeugung Paulus zu heiraten, spitzt sich die bis dahin entspannte Lage zu. Obendrein verliebt sich noch der junge Gregor in den begehrten Damenimitator, von dem er aber überzeugt ist, er wäre in Wirklichkeit eine Frau. Da drei bekanntlich einer zu viel ist, mündet die verzwickte Konstellation schließlich nicht nur in einem gemeinsamen Urlaub, sondern auch in einer Kriminalgeschichte, die jedoch recht schnell aufgelöst wird.

Die rasante Karriere von Barbara, die Liebe von allen vier Darstellern und das Schauspiel, das sie spielen, um den äußeren Schein zu wahren, erinnern an die titelgebenden Seifenblasen, die immer größer und praller werden und mit jeder kleinsten Erschütterung zu zerplatzen drohen. Was ist ein richtiger Mann? Was ist eine richtige Frau? Stereotypen, die auf eine urkomische Weise ebenfalls wie Seifenblasen in der Luft zerplatzen. Was ist Liebe und wie stark ist eigentlich die Bindung an eine andere Person? Konstrukte wie Seifenblasen. Was bedeutet Sicherheit und inwiefern kann ich mich auf andere und wann nur auf mich selbst verlassen? Gefühle wie Seifenblasen. Dies alles ist geprägt von einer direkten, aber unaufdringlichen Komik, gepaart mit scharfem Witz und kritischen Beobachtungen, verpackt in subtile Harmonien. Den Leser von Seifenblasen erwartet ein melodisches Konstrukt an Gefühlen, die nacheinander aufsteigen, um gemeinsam klangvoll zu zerplatzen.

„Hänschen klein / ging allein / wollte gerne Gretchen sein“. Mit diesem Zitat beginnt die Erzählung von Kurt Tucholsky. Er zeigt uns damit nicht nur schon am Anfang den Verlauf der Geschichte, indem er Barbara und ihren Bruder Paulus als Kinder dieses Lied singen lässt. Er spielt damit auch auf die Praxis vieler Menschen an. Schlüpfen wir nicht alle tagtäglich in unterschiedliche Rollen? Sei es um ein persönliches Ziel, privat oder beruflich, zu erreichen oder auch, wie im Fall von Barbara, um der Einsamkeit zu entfliehen und einen schweren Verlust zu verarbeiten.

Abgeschlossen wird die Erzählung mit einer leicht wirren Kriminalgeschichte, die auf den ersten Blick deplatziert wirkt. Auf den zweiten Blick bietet sie aber einen perfekten Ausweg aus der so verzwickten Konstellation. Wie sonst hätte Gregor von Barbaras wahrer Identität erfahren, wenn sie nicht durch die Flucht vor der Polizei so verstört gewesen wäre und sich an einem beleuchteten Fenster umgezogen hätte? Wie sonst hätte Pitty seine Eifersucht zeigen können, wenn er Paulus nicht absichtlich falsch beschuldigt hätte, damit dieser verhaftet wird und die Green wieder für ihn frei wäre? Und letztlich: Wie sonst könnte das Geheimnis von Barbara vor der Außenwelt für immer verborgen bleiben, wenn sie nicht alle durch ein Konstrukt an Beschuldigungen und Lügen für immer miteinander verbunden wären?

Nicht nur das Ende, sondern auch die gesamte Erzählung von Tucholsky bietet genau das: eine perfekt abgerundete Geschichte, die den Charme des subtilen Witzes der Vorkriegsfilme wiederaufleben lässt. Durch den szenischen Schreibstil schafft Kurt Tucholsky ein Erlebnis, das zwar äußerst kurzlebig ist, aber zu dem man wegen der spitzen Situationskomik und der reichen Bildlichkeit gerne zurückkehrt.

Das abschließende Nachwort von Michael Töteberg führt den Leser zudem in die nicht immer einfache Beziehung von Tucholsky zum Kino ein. In dem kompakt gehaltenen Text erfährt man auf sieben Seiten die Ansichten von Tucholsky zu Film und Kino sowie die Entstehungsgeschichte von Seifenblasen.

Ein winziger, aber bitterer Nachgeschmack bleibt jedoch trotzdem. Schade, dass diese charmante Verwechslungskomödie trotz mehrerer Aufforderungen nie verfilmt worden ist. Einen kleinen Trost könnte die Tatsache bieten, dass dieses Drehbuch nur wenige Jahre später zur Vorlage für einen ähnlich aufgebauten Film mit dem Titel Viktor und Viktoria wurde. Der Autor sollte dies aber nicht mehr miterleben. Nach der Flucht aus Nazi-Deutschland nahm der auch als Kinosoziologe und zeitgenössische Kritiker tätige Tucholsky sich am 21. Dezember 1935 in Schweden das Leben.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Kurt Tucholsky: Seifenblasen. Eine Geschichte, die ein Film werden sollte.
Mit einem Nachwort von Michael Töteberg.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2016.
128 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783499290336

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