Evaluieren und sparen

In Band 5 des Romanzyklus „Das Büro“ sieht sich das A.P. Beerta-Institut in Amsterdam mit politischen Sparforderungen konfrontiert

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die 1980er-Jahre halten Einzug. Maarten Koning arbeitet seit mehr als zwanzig Jahren im Amsterdamer Institut für Volkskunde, das seit kurzem nach seinem früheren Direktor „A.P. Beerta-Institut für Volkssprache, Volkskultur, Volksnamen“ benannt ist. Der neue Name signalisiert zugleich ein neues Selbstbewusstsein. Der Aufstieg innerhalb der Hierarchie der Forschungsinstitutionen bringt es aber mit sich, dass sich die Politik einzumischen beginnt. Die Tage des fröhlichen Sammelns und Archivierens sind vorüber. Wissenschaftlichkeit ist das neue Zauberwort. Anfangs der 1980er – Jahre sieht sich deshalb auch das Institut mit finanzpolitischen Sparforderungen konfrontiert.

Band fünf des siebenbändigen Romans Das Büro erzählt unter der Überschrift Und auch Wehmütigkeit, wie der Institutsbetrieb im alten Trott weiterläuft und sich gleichzeitig den politischen Gegebenheiten anpassen muss. Die neuen Anweisungen führen zu Spannungen innerhalb des Instituts und fordern den Protagonisten Maarten Koning auf mehreren Ebenen heraus. Er versucht trotz allem, seiner Linie treu zu bleiben, seine Untergebenen also in die Entscheide und Vorschläge miteinzubeziehen. Das gelingt erwartungsgemäß nicht immer. Mitunter reagiert sogar er unwirsch und boshaft, ja intolerant gegenüber Kritik. Solidarität aber bleibt fraglos seine beste Tugend. Er ist eher bereit, persönlich auf Lohnanteile zu verzichten, als dass jemand aus seiner Abteilung entlassen würde. Dies obwohl er sich im Institut mit Mitarbeitern herumschlägt, die nur sehr bedingt ins künftige Wissenschaftsprofil passen.

J.J. Voskuil beschreibt mit unentwegt hoch auflösender, bewundernswerter Präzision, wie die Politik Einfluss auf die Arbeit im Institut nimmt, wie man um Posten, Stellenprozente und Einsparungen feilscht, wie Kommissionen ohne Ende berufen und Methoden der (Selbst-)Evaluation angeordnet werden. Es ist das Ende der Naivität – vom Autor mit Wehmütigkeit festgehalten.

Politische Aspekte werden gewichtig, damit drängt sich mehr und mehr ein Faktor in den Vordergrund, den die Generation von Maarten Koning eher weghaben wollte: Macht. Es geht um politische sowie institutionelle Macht, manchmal auch Ohnmacht. Es geht um Habitus und Standesdünkel, was Maarten rasend macht, weil ihm derlei fremd ist. Selbst in unverfänglichen Situationen keimt bei ihm der Verdacht, dass es auch im Institut lediglich um diese „gottverdammte Habgier“ geht. Macht korrumpiert nicht nur die Menschen, sie korrumpiert auch den Diskurs und das Zusammenleben bis in feinste Verästelungen. Wer dem nicht gewachsen ist, verliert oder wird krank. Sogar Maarten muss mal zum Arzt. Er bleibt sich dennoch treu: ein Mensch, der permanent mit sich selbst hadert, weil ihm menschliche Kontakte scheinbar misslingen; und der dennoch stets korrekt handelt und dafür geschätzt wird. Auch wenn ihn der Druck belastet, hält er sich wacker. Keine Kommission, in der er nicht willig Einsitz nimmt. Ein Ministerialbeamter sondiert sogar, ob er als „integrer“ Experte für das Ministerium gewonnen werden könnte.

Die eigentliche Forschungsarbeit kommt darob viel zu kurz, trotzdem verschafft er sich auf diesem Feld mit klaren Analysen Nachachtung und liefert funkelnde Einblicke in seine Auffassung von volkskundlicher Arbeit. Von universitärer Wissenschaft dagegen hält er wenig, doch er ist sich bewusst, dass sich das Institut zwingend auf die eigenen Stärken besinnen muss, um sich gegen eine drohende Aufhebung zu wehren. Es muss sich im Wettstreit mit Kulturtheorie, Anthropologie und Mentalitätsgeschichte klar positionieren und auf die eigenen Qualitäten setzen. Maarten Koning will dezidiert nichts hören vom C.G. Jung „Schmuddelkram“ à la jahrhundertalte Traditionen, zugleich wehrt er sich gegen Theoriehuberei, die auf langwieriges Beobachten im Feld verzichtet. In den eigenen Arbeiten sucht er einen Mittelweg und lässt eine „Vision für die Zukunft des Instituts“ durchblicken.

Nicht zuletzt deshalb entlässt dieser fünfte Band seine Leser im guten Glauben, dass das A.P. Beerta-Institut weiterhin Bestand haben wird im Karpfenteich des niederländischen Wissenschaftsbetriebs. Mit Blick auf Band 6 ist zu hoffen, dass auch Maarten Konings Mitarbeiter noch aufwachen werden.

Titelbild

J. J. Voskuil: Das Büro. Und auch Wehmütigkeit. Band 5.
Übersetzt aus dem Niederländischen von Gerd Busse.
Verbrecher Verlag, Berlin 2016.
991 Seiten, 32,00 EUR.
ISBN-13: 9783957320100

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