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Thomas Wagner schreibt in „Das Netz in unsere Hand! Vom digitalen Kapitalismus zur Datendemokratie“ gegen den Neoliberalismus an

Von Sebastian EngelmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Engelmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Thomas Wagner ist kein Unbekannter in der Diskussion um die sogenannten „Neuen Medien“, Big Data, Information-Crawling, Internetkapitalismus und Ausbeutung durch Technologie. Der Kultursoziologe und Publizist ist erst kürzlich mit seinem Buch Robokratie erneut in Erscheinung getreten und hat auf den Machbarkeitswahn der Silicon Valley-Community hingewiesen. Damit bewegte er sich in sicherem Geläuf: Seit Juli Zehs Corpus Delicti, spätestens aber nach dem Erfolg von Dave Eggers The Circle dürfte dem versierten Leser von einschlägiger Literatur und dem aufmerksamen Beobachter der Diskussion um die Verschiebung der kapitalistischen Einflusssphären klar sein, dass viele der früher noch als Science-Fiction geschilderten Ideen heute traurige Wirklichkeit sind.

In die Kerbe der sozial- und kapitalismuskritischen Literatur schlägt auch Wagners Buch – wobei es sich bei diesem nicht um einen Roman, sondern um einen Essay handelt, der mit geschliffener Sprache, oft polemisierend und überzeichnend, gegen all das wettert, was im Namen von „Erneuerung“ mit dem Internet geschieht beziehungsweise mit den Nutzern getan wird. Hierbei ist Wagner schonungslos. Jede noch so schnittige App wird kritisiert und daraufhin befragt, wer eigentlich von ihr profitiert. Dies geschieht ganz im Sinne der Fragestellung des Buches, „wie die drohende Monopolherrschaft der Internetkonzerne politisch verhindert werden kann.“

Die Suche nach der Antwort auf diese knifflige Frage führt Wagner durch 20 Kapitel – jedes für sich ein kleiner Essay, der sicherlich auch für sich allein stehen könnte. In ihnen verweist der Autor immer wieder auf die aktuelle Diskussion und lässt zahlreiche Experten zu Wort kommen, die einen kritischen Blick auf die Geschehnisse werfen und den Finger immer wieder in die Wunde des digitalen Kapitalismus legen. Wagner und seine angeführten Mitstreiter (unter anderem auch Sahra Wagenknecht) verweisen in verschiedenen Variationen darauf, dass das Internet unsere Lebenswelt auf eine neue Art kolonialisiere. Es sei weniger hart und autoritär; stattdessen verführe es und lasse uns als Nutzer bereitwillig alle unsere Daten preisgeben. Was ist schon dabei, ein paar „Krümel“ zu hinterlassen?

Problematisch ist, dass mit diesen Daten Nutzerprofile erstellt werden, die dann wiederum auf unser digitales Selbst abgestimmte Werbeangebote schalten. Aus unseren Bewegungsdaten, die wir freiwillig durch Apps preisgeben, entstehen Bewegungsprofile. Auch hierbei geht es nur um eine Sache: Profit. Kostenlos sind diese Apps nicht – auch Facebook nicht. Die Nutzer zahlen mit Daten, mit Informationen über sich selbst. Wo kann am besten Werbung geschaltet werden? Wie können noch mehr Nutzerdaten gesammelt werden? Der Algorithmus, den Wagner als allgegenwärtigen Ghost in the Machine aufscheinen lässt, wirkt bedrohlich. Noch beunruhigender wird es, als Wagner von den Ideen der technokratischen Elite im Silicon Valley und ihrer Singularity University berichtet. Irgendwann in naher Zukunft soll die technologische Singularität erreicht sein. Dann wird die künstliche Intelligenz klüger als der Mensch sein. Damit sich dann nicht wie im Film Terminator Skynet gegen die Menschheit wendet, forschen bereits jetzt Experten daran, wie diese Technologie wieder für die Zwecke des Menschen genutzt werden kann.

Bis dahin ist es aber eine Mischung von menschlicher Gier nach Profit und den Möglichkeiten der Technik, die eine neue Klasse an Arbeitern entstehen lässt. Das Internet schafft die Möglichkeit online von zu Hause aus zu arbeiten und Aufgaben zu erfüllen, Turking wird das genannt. Amazon wirbt auf mturk.com damit, dass die Zeit frei gestaltbar sei, interessante Aufgaben individuell ausgesucht und am Ende Geld damit verdient werden könne! Und das ganz bequem vom Sofa aus. Die perfide Logik dieser niedrigschwelligen und extrem schlecht bezahlten Arbeit macht Wagner deutlich. Die Turker – das ist die Selbstbezeichnung der in diesem Bereich arbeitenden – werden von Wagner als eine neue Form des Prekariats beschrieben. Hier wird deutlich: Der Freiheitsgewinn durch das Internet kann auch in neue Formen von Unfreiheit umschlagen.

Leider – und das ist die Quintessenz vieler Argumentationslinien Wagners – ist aber auch die Forschung bereits vom Kapitalinteresse unterwandert. Wo früher öffentlich geförderte Forschung betrieben wurde, sind es heute nicht selten Großkonzerne, die Lehrstühle und Forschungsprojekte fördern. Und selbstverständlich sind diese daran interessiert, dass ihre Interessen vertreten werden. Die Freiheit der Forschung ist zumindest nach Ansicht Wagners, kaum mehr gegeben.

Auch vor so lieb gewonnenen Themen wie dem Teilen macht die Kritik Wagners keinen Halt. Die Sharing Economy sei genau wie alle anderen der kapitalistischen Logik unterliegenden Wirtschaftspraktiken, darauf aus, Profit zu maximieren. Im Fall von Uber (Chauffeurdienst) und AirBNB (Appartements) ist dies absolut nachvollziehbar – diese Unternehmen werden raffgierig geleitet und sind darauf aus, Monopole zu erzeugen sowie Konkurrenten zu verdrängen. Im kleineren Bereich der Solidarität sollte das Motiv des Teilens aber nicht so leichtfertig verworfen werden. Trotzdem ist Wagner zuzustimmen: Die Sharing Economy suggeriert, das Teilen wäre uneigennützig. Im Hintergrund steht aber wie so häufig der schnöde Mammon.

Nach 15 bis 16 Kapiteln stellte sich beim Lesen ein wenig Ernüchterung ein. Die Argumentationsfigur Wagners ist bis dahin deutlich geworden, teilweise wiederholen sich die Angriffe auf die Wirtschaft, die Kritik wird gleichförmig und liest sich zuletzt eher wie ein Reflex. Dies nimmt ihr aber keinesfalls ihre Berechtigung. Die einzelnen Kapitel sind durchweg gut lesbar und extrem ausführlich recherchiert. Die Daten und Fakten sind (soweit dies nachgeprüft werden konnte) korrekt und vermitteln ein differenziertes Bild der Situation.

Einzig das Ende des Buches ist verwirrend: Der aktivistische Untertitel Vom digitalen Kapitalismus zur Datendemokratie lässt auf einen Lösungsvorschlag, zumindest auf eine Skizzierung von Lösungsansätzen hoffen. Die Frage „wie die drohende Monopolherrschaft der Internetkonzerne politisch verhindert werden kann“ wird jedoch nicht abschließend beantwortet. In Bezug auf das TV-Programm spricht sich Wagner für ein qualitativ hochwertigeres öffentlich-rechtliches Fernsehen aus. Im Falle von sozialen Netzwerken für selbstorganisierte Alternativen, die eben nicht auf Profit ausgelegt sind. Die Botschaft des gesamten Buches stimmt dann aber doch: Die Grenzen des öffentlichen Raums müssen verteidigt werden. Wie das geschehen soll, darauf muss Thomas Wagner nicht zwingend eine Antwort geben. Der Stachel der Kritik reicht als Anstoß zur Aktion bereits aus.

Titelbild

Thomas Wagner: Das Netz in unsere Hand! Vom digitalen Kapitalismus zur Datendemokratie.
Mit einem Vorwort von Sahra Wagenknecht.
PapyRossa Verlag, Köln 2017.
166 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-13: 9783894386351

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