Facettenreiche und profunde Überblicksdarstellung einer „europäischen Tragödie“

Peter H. Wilson legt ein breites Panorama des Dreißigjährigen Krieges vor

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Dreißigjährige Krieg (1618–1648), der um die politische und religiöse Ordnung Mitteleuropas geführt wurde, war einer der verheerendsten Kriege in der europäischen Geschichte. Noch heute gilt er als Metapher für die Schrecken des Krieges schlechthin, dauerte es doch Jahrzehnte, bis sich Deutschland von den Verwüstungen erholte, die der längste und blutigste Religionskrieg der Geschichte angerichtet hatte.

Der britische Historiker Peter H. Wilson hat nun eine umfassende Geschichte des Dreißigjährigen Krieges vorgelegt, die in erster Linie die außerordentliche Komplexität dieser laut Untertitel europäischen Tragödie untersucht. Wer nicht direkt am Krieg beteiligt war, übte jedoch einen beträchtlichen Einfluss aus, ohne darüber eigene Ziele oder lokale Streitigkeiten aus dem Auge zu verlieren. Allein Russland blieb unter den führenden Mächten Europas unbeteiligt. Eine zweite Hauptthese des Autors ist, dass der Dreißigjährige Krieg in erster Linie kein Religionskrieg war. Religion und Konfession spielten zwar eine Rolle, es ging aber immer auch um politische und soziale Auseinandersetzungen: „Der Dreißigjährige Krieg war nur insofern ein Religionskrieg, als der Glaube in der Frühen Neuzeit das leitende Prinzip in allen Bereichen öffentlichen oder privaten Handels lieferte.“ In einer dritten These widerspricht der Autor der herkömmlichen Meinung, dass der Dreißigjährige Krieg unvermeidlich war. Mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 hatte es immerhin eine 63 Jahre lange Friedensperiode gegeben.

Die Darstellung ist in drei große Kapitel unterteilt, wobei sich der Autor zunächst ausführlich der Vorgeschichte des Dreißigjährigen Krieges widmet. Er zeichnet hier ein anschauliches Bild des Heiligen Römischen Reiches im 16. Jahrhundert mit dem Kaiser, seinen Fürsten, Ständen und Konfessionen. Der „Lange Türkenkrieg“ mit dem Osmanischen Reich (1593–1606) war für die Habsburger Monarchie zwar eine ernste Herausforderung, doch es folgte eine lange Phase des Friedens (bis 1663). Diese Analyse der Ursachen des Krieges nimmt allein fast 350 Seiten ein, wobei Wilson hier auch Aspekte der Kriegstechnik und der Heeresreform betrachtet. Auf diese militärischen Entwicklungen verweist er später ebenfalls immer wieder.

Im zweiten Kapitel „Der Konflikt“ beschreibt Wilson detailliert und chronologisch die einzelnen Etappen des Dreißigjährigen Krieges – vom Prager Fenstersturz 1618 bis zum Westfälischen Frieden 1648. Im Mittelpunkt stehen dabei die Kriegsjahre 1628 bis 1630, in denen der Konflikt mit dem kaiserlichen Vorstoß zur Ostsee eine europäische Dimension erreichte. Dem Autor geht es aber nicht allein um Kriegsschauplätze, um militärische Siege und Niederlagen, um Heerführer wie Wallenstein oder Gustav II. Adolf – er beleuchtet immer wieder das Leben und den schweren Alltag der einfachen Menschen. Schätzungen gehen von sechs Millionen Opfern des Dreißigjährigen Krieges aus. Dennoch hat Wilson einige Kurzporträts der wichtigsten poltischen und militärischen Akteure eingestreut. Die Frage „Warum gelang es keinem der Beteiligten, den Krieg schon vorher zu beenden, obwohl sie doch alle einen kurzen Krieg anstrebten?“ wird ebenfalls diskutiert.

Im Schlusskapitel „Nach dem Frieden“ untersucht Wilson die internationale Dimension des Westfälischen Friedensabkommens, die Kosten und kulturellen Folgen des Krieges sowie dessen Erfahrungen, wobei der Autor darauf verweist, dass die 1648 nach jahrelangen Verhandlungen gefundenen Lösungen und Kompromisse eigentlich schon vor Kriegsausbruch oder zu Kriegsbeginn zur Verfügung standen. Seit 1648 wird der Friedensschluss – wie in diesem Jahr – mit Jubiläumsfeiern bedacht, die sich mit der Zeit geändert haben. So wurden die Friedensverträge als eine Vollendung der Reformation gefeiert und sie stellten die grundlegenden Verfassungsdokumenten des Heiligen Römischen Reiches dar, das jedoch anderthalb Jahrhunderte später nicht mehr existierte.

Wilson versucht, alle Aspekte des „Großen Krieges“ zu analysieren und entwirft ein gewaltiges Panorama. Dennoch richtet sich die über 1000 Seiten starke Gesamtdarstellung auch an ein breiteres Publikum. Die Publikation, die 2009 erstmals in Großbritannien erschien, ist keine Neuinterpretation des Dreißigjährigen Krieges, sondern ein facettenreiches und profundes, wenn auch monumentales Geschichtswerk, das auch den Ansprüchen der jüngsten Forschung Rechnung trägt, und damit zu einem internationalen Standardwerk geworden ist. Ein schmaler Bildteil mit historischen Abbildungen, 25 Schlachtenpläne sowie ein umfangreicher Anhang mit Anmerkungen, Literaturverzeichnis und Personenregister komplettieren die Darstellung.

Titelbild

Peter H. Wilson: Der Dreißigjährige Krieg. Eine europäische Tragödie.
Übersetzt aus dem Englischen von Thomas Bertram, Tobias Gabel und Michael Haupt.
Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2017.
1144 Seiten, 49,95 EUR.
ISBN-13: 9783806236286

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