Ein ewiges Jerusalem

Zwei neue Bände untersuchen Stefan Zweigs Modernität und jüdische Relationen

Von Galina HristevaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Galina Hristeva

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Stefan Zweig 1913 in der Neuen Freien Presse anlässlich von Hermann Bahrs 50. Geburtstag schrieb, der Jubilar sei „immer mitgerissen von jeder Welle“, „in der Keimzelle jeder neuen künstlerischen Bewegung“, „denn wo immer in der deutschen Welt sich ein Neues gestalten wollte, war er, begeistert und begeisternd, dabei“, ahnte er nicht, wie viel er mit diesen Worten auch über das eigene Wesen aussagte beziehungsweise über sein eigenes künftiges Wirken prophetisch vorwegnahm. Jahrzehntelang leider nur als Bestsellerautor gesehen, der sich bestenfalls lediglich in der „Nervenkunst“ auskannte, dabei aber von einem – wie immer wieder behauptet wurde – altbackenen Erzählstil doch nicht wegkam, überrascht Stefan Zweig tatsächlich mit immer neuen Facetten. Mehrere Forschungsbeiträge haben in letzter Zeit die erstaunliche Bandbreite seines schöpferischen Kosmos enthüllt. In der Schriftenreihe des Stefan Zweig Centre Salzburg sind vor kurzem die Bände Stefan Zweig. Positionen der Moderne (Band 6 der Reihe), herausgegeben von Martina Wörgötter, sowie Stefan Zweig – jüdische Relationen. Studien zu Werk und Biographie (Band 7 der Reihe), herausgegeben von Mark H. Gelber, Elisabeth Erdem und Klemens Renoldner, erschienen.

Wörgötters Band opponiert gegen die Behauptung eines „angeblich mangelnden Interesses des Autors für die Avantgarden des 20. Jahrhunderts“, begnügt sich aber auch nicht mit der Positionierung Zweigs ,irgendwo‘ „zwischen Tradition und Moderne“. Zweig lässt sich mühelos in die Moderne mit ihrem Wandel, ihrer Heterogenität, ihren Ambivalenzen und nicht zuletzt mit der Konstituierung der „Autonomie des intellektuellen Feldes“ einschreiben. Daher warnt die Herausgeberin ausdrücklich davor, Stefan Zweig auf eine „unverrückbare Identität“ festzulegen. Dementsprechend widmen sich die Aufsätze im Band „speziellen Relationen und Konstellationen“ in seinem Leben, Denken und Wirken. Unbekannte oder wenig erschlossene Bereiche und Seiten seines Wesens treten dabei hervor – sei es seine Dissertation über Hippolyte Taine (im Aufsatz von Jacques Le Rider), seine Korrespondenz mit dem Schriftsteller und Pazifisten Fritz von Unruh (Stephan Resch), seine „Zwiegespräche“ mit Hermann Bahr (Reinhard Urbach) oder seine Freundschaft mit dem italienischen Maler Alberto Stringa (Arturo Larcati). Antje Büssgen wirft an einem Vergleich mit Friedrich Schiller und Julien Benda ein Licht auf Zweigs in der bisherigen Forschung umstrittenes Verhältnis von Kultur und Politik, während Konstanze Fliedl Stefan Zweigs Bildlektüren anhand der Erzählung „Die unsichtbare Sammlung“ untersucht. Das am Ende des Bandes abgedruckte Vorwort zur zweibändigen Pléiade-Ausgabe von Zweigs erzählerischem Werk (2013) von Jean-Pierre Lefebvre bescheinigt nicht nur das Interesse an Zweig im Ausland, sondern rundet den Band ab – mit dem darin enthaltenen biografischen Abriss, aber auch mit dem notwendigen Hinweis, dass es sich bei Stefan Zweig um ein  „Phänomen“ handelt.

Zweig galt als großer Europäer und diente zeitlebens der Idee eines geeinten, friedlichen Europas. Vor diesem Hintergrund mag es überraschen, wie wichtig seine „jüdischen Relationen“ gewesen sind. Bisher nur von Mark H. Gelber untersucht (vgl. Stefan Zweig, Judentum und Zionismus, 2014), war das Thema bis vor Kurzem ein Forschungsdesiderat, dem der Band Stefan Zweig – jüdische Relationen entgegenkommt. Erhellt werden weitere Bereiche des Themas, war Zweigs Beschäftigung mit dem Judentum doch ein „wiederkehrender Aspekt seines intellektuellen und kreativen Lebens“ (Mark H. Gelber). Die hier veröffentlichten Beiträge gehen auf die internationale Konferenz „Irgendeine Macht will, dass wir noch dauern.“ Stefan Zweig – ein jüdischer Schriftsteller aus Europa zurück (Salzburg, 11.–12. November 2015). Zweig kannte Theodor Herzl und schrieb mit großer Begeisterung über ihn. Ganz anfreunden konnte er sich mit dem Zionismus und der von Herzl ins Leben gerufenen zionistischen Bewegung allerdings nicht. Dennoch können Stefan Zweigs „jüdische Sensibilitäten“ (nach einer treffenden Formulierung von Mark H. Gelber) als Motto des vorliegenden Bandes betrachtet werden. Ähnlich wie in Martina Wörgötters Band offenbart sich auch hier eine „faszinierende Fülle an Bezügen“. Aufsätze von Cathy S. Gelbin, Clemens Peck, Jasmin Sohnemann, Evelyn Adunka, Karl Müller, Eva Plank, Christina-Maria Hochreiter, Armin Eidherr, Karin Neuburger, Jacques Le Rider, Konstanze Fliedl, Marlen Eckl und Mark H. Gelber (hier in der Reihenfolge der im Band veröffentlichten Beiträge) profilieren überzeugend „die vielen Varianten und Möglichkeiten der jüdischen Erfahrung und des jüdischen Selbstverständnisses“, wie letzterer betont, die ganze Breite, Komplexität und Widersprüchlichkeit dieser Beziehungen.

Zweig selbst hatte 1937 geschrieben: „Vielleicht ist es ein Vorzug, vielleicht ein Defekt – daß mir jeder Fanatismus fehlt, daß ich jede Einseitigkeit und Einlinigkeit ablehne.“ Dieser Selbsteinschätzung des Autors entsprechen auch die beiden hier vorliegenden Bände von ihrer Anlage und von ihrer methodologischen und inhaltlichen Ausrichtung her. Will man Zweigs jüdische Relationen mit seinem Modernismus und Kosmopolitismus verknüpfen, um eine einheitlichere Sicht zu bekommen – während man in der älteren Forschung zwischen dem Kosmopolitismus und dem Judentum des Autors einen Widerspruch gesehen hat –, bieten Leben und Werk Zweigs reichlich Material. Seine „vier Leben“ (so Mark H. Gelber über die einzelnen Etappen in Zweigs Entwicklung) verliefen in einer Zeit des Wandels, der Umorientierung, aber auch der Barbarei; einer Zeit, die Arthur Schnitzler in seinen Tagebüchern schon 1916 als einen „grauenhaften Zustand der Welt“ und Zweigs Freund Joseph Roth etwas später als die absolute Herrschaft des Bösen (siehe: „Die Hölle regiert“) bezeichnet hatte. In dieser Zeit arbeitete der Visionär Zweig unermüdlich, mit viel Elan und Feingefühl an der „Umwertung der Werte“. Er strebte sowohl die „moralische Entgiftung“ (so der Titel eines Vortrags von ihm aus dem Jahre 1932) als auch die „geistige Einigung“ und Erneuerung Europas an. Modell stand ihm dabei gerade das Judentum mit seiner „Universalität und Übernationalität“, mit dem „Triumph der Geistigkeit über die Sinnlichkeit“ (Mark H. Gelber). Hier laufen alle Fäden zusammen, hier verbinden sich Zweigs modernistische und kosmopolitische Positionen mit seinen „jüdischen Relationen“ – und dies macht die beiden Bände in ihrer scheinbaren Disparatheit zu einem nachhaltigen Beitrag nicht nur zur Zweig-Forschung, sondern auch zur Geistesgeschichte: Trotz aller Widersprüchlichkeit und Brüchigkeit seiner Existenz, trotz manch Überschwänglichkeit seiner Äußerungen erlangt Zweig wie Jeremias aus seinem gleichnamigen Drama alttestamentarische Größe. Denn er wollte seinen Zeitgenossen in den Turbulenzen der Moderne, in den Gräueln eines  barbarischen Jahrhunderts, „in Zagen und Klagen“ zur Seite stehen, um „den Tempel in ihren Herzen“,  ein „ewiges Jerusalem“ des Geistes zu errichten.

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Mark H. Gelber / Klemens Renoldner / Elisabeth Erdem (Hg.): Stefan Zweig – Jüdische Relationen. Studien zu Werk und Biographie.
Königshausen & Neumann, Würzburg 2016.
264 Seiten, 35,00 EUR.
ISBN-13: 9783826060557

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Titelbild

Martina Wörgötter (Hg.): Stefan Zweig. Positionen der Moderne.
Schriftenreihe des Stefan Zweig Centre Salzburg – Band 6.
Königshausen & Neumann, Würzburg 2017.
249 Seiten, 38,00 EUR.
ISBN-13: 9783826060540

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