Zukunft als Kult

Der Sammelband „Science-Fiction-Kultfilme“ glänzt mit cineastischer Analyse, verortet Kult aber mehr im Vagen

Von Nathalie MispagelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nathalie Mispagel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Trotz der medialen Informationsflut gibt es noch immer ein paar Begriffe in der Populärkultur, die aufhorchen lassen. ‘Kultfilm‘ ist so einer. Das klingt irgendwie nach anhaltender Hingabe, nach Konsens unter Eingeweihten, vielleicht nach Meisterwerk ohne offizielle Legitimation. Wobei besonders das ‘irgendwie‘ zu betonen wäre, weil eine verbindliche Definition schlichtweg fehlt.

Ähnliches stellen die Herausgeber Angela Fabris und Jörg Helbig der Aufsatzsammlung „Science-Fiction-Kultfilme“ schon im Vorwort fest. Sie verweisen zwar auf einige allgemeine Auslegungen von ‘Kult‘, doch dienen diese weniger einer terminologischen Konkretisierung, eröffnen vielmehr ein Deutungsfeld zwischen Classic und Camp. Genug Spielraum also, um im folgenden 13 heterogene Science-Fiction-Filme aus fünf Jahrzehnten vorzustellen. Mangel an kommerziellem Erfolg, teils als Kult-Kriterium genannt, können einige Werke aufweisen, extremen Mangel an künstlerischer Qualität hingegen nicht. Schließlich stammt ein Großteil der Beiträge aus einer Ringvorlesung der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und wurde von wissenschaftlich Lehrenden verfasst. Akademische Analyse dominiert über Fan-Kult(ur).

Jeder der Autoren hat nicht nur einen individuellen Zugang zu ‘seinem‘ Film gewählt, sondern auch ‘Kult‘ relativ subjektiv interpretiert. Arno Rußegger definiert zunächst Science-Fiction in Abgrenzung zu Fantasy, um hernach die Verfilmung „Die phantastische Reise“ (USA 1966) mit ihrer literarischen Ausarbeitung von Isaac Asimov zu vergleichen.

Florian Mundhenke wiederum demonstriert an „The War Game“ (GB 1965), welche überzeitliche Wirkungsmacht gerade Hybridformen aus fiktionalem und dokumentarischem Stil entwickeln können, wenn sich Form und Inhalt nicht nur ergänzen, sondern gegenseitig aufwerten. Die Studien kommen der ästhetischen oder gesellschaftlichen Relevanz der Filme nahe, deren Kultstatus eher weniger. Reicht es hierfür wie bei ‘War Game‘ wirklich, über weite Strecken ein Schattendasein geführt zu haben und dennoch Markstein des Genres zu sein?

Was für Fans zum Standardvokabular zählt, verweigert sich einer wissenschaftlichen Klassifizierung. Einen der bislang aussagekräftigsten Kult-Kommentare hat Umberto Eco mit dem Essay „Casablanca: Cult Movies and Intertextual Collage“ (1984) abgegeben. Darauf bezieht sich auch Susanne Bach in ihrer Untersuchung zu „The Rocky Horror Picture Show“ (GB/USA 1975). Sie veranschaulicht, wie eine Melange aus Unperfektem, Archetypen, Mythen, Anspielungs- und Zitatenreichtum, Zuschaueridentifikation/-partizipation sowie ideologischer Positionierung sich zu Kult zusammenfügt. Denn wie „Casablanca“ ist die ‘Horror Picture Show‘: „(…) not one movie. It is ‘movies‘.“

Ebenso überzeugend untermauert Jörg Helbig den Kultstatus der deutschen Sci-Fi-Serie „Raumpatrouille – Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes Orion“ von 1966 als etwas ‘Einzigartiges, nie Dagewesenes, nie Wiederholtes‘. Er argumentiert unter anderem mit der spezifischen Dialog-Sprache voller Wortschöpfungen, Neologismen, Akronyme, dem originell-skurrilen Produktionsdesign und der über den Film hinausreichenden Bedeutung als zeitgeschichtlicher Kommentar zum Gesellschaftswandel in den 1960er Jahren.

Dass Kult ebenfalls aus generellem Misslingen entstehen kann, versucht René Reinhold Schallegger anhand der Verfilmungen von Frank Herberts Romanzyklus „Dune“ („Der Wüstenplanet“) zu erläutern. Während das literarische Werk ein unumstrittener Science-Fiction-Klassiker ist, sollte Alejandro Jodorowskys in den 1970er Jahren geplante Kinoadaption im Projektstatus erstarren und David Lynchs verwirklichte Version von 1984 künstlerisch scheitern.

Letzteres ließe sich definitiv weder „2001: Odyssee im Weltraum“ (GB/USA 1968) noch „Blade Runner“ (USA 1982) nachsagen. Bei diesen beiden Filme kommt alles zusammen – innovativer Genrebeitrag, avantgardistische Ästhetik, wegweisender Kinoeinfluss, anhaltende Fanliebe –, dass eine Unterscheidung zwischen Masterpiece und Cultmovie hinfällig zu werden scheint. Ina Paul-Horn lässt ihre Betrachtung diverser Motive aus ‘2001‘ mit der Erkenntnis enden: „Ein Kultfilm – zu jeder Zeit offen für neue Interpretationen.“ Als Ausschließlichkeitsmerkmal für Kult mag das etwas ungenau, als Kult-Kennzeichen freilich zutreffend sein. Jedenfalls passt es vorbehaltlos zu Ridley Scotts genialem „Blade Runner“, den Alexa Weik von Mossner auf subtile Weise in seinen philosophischen Details entschlüsselt.

Eine gleichermaßen exklusive wie diskutable Kult-Definition entwirft Marcus Stiglegger in seinem Beitrag zu „Der silberne Planet“ und dessen polnischen Regisseur Andrzej Żuławski. Anhand des komplexen, aufgrund der schwierigen Produktionsgeschichte erst 1988 restaurierten Kunstwerks konkretisiert er: „(…) ein rituelles Werk, das nach einer rituellen und zyklischen Rezeption verlangt. Ein Kultfilm im eigentlichen Sinne dieses Wortes.“

Ein Film wie der populäre „Total Recall – Die totale Erinnerung“ (USA 1990) würde demnach schwerlich als Kult herhalten können. Auch wenn Alice Pechriggl eine psychologisch höchst diffizile Ausdeutung offeriert, will sich solch wissenschaftliche Klasse nicht ganz mit dem filmischen Eindruck vereinbaren. ‘Total Recall‘ ist teils ein doch recht plumpes Actionspektakel. Zwar thematisiert er Bewusstsein und/oder Wahrheit als verhandelbare Größen und könnte so zur wiederholten Rezeption einladen, was Angela Fabris als Kult-Merkmal akzentuiert. Doch wirkt ihr ausgewähltes Beispiel „Nirvana – Jagd im Cyberspace“ (Italien 1997), ein Cyberpunk-Thriller, in diesem Zusammenhang plausibler.

Ohne gleich den Kult-Begriff zu präzisieren, steht eines fest: Kult lässt sich nicht herbeireden – aber (fast) totschreiben. Zumindest statuiert Jutta Steininger mit ihrer Abhandlung über „Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt“ (GB/USA 1979) ein nahezu perfektes Exempel. Als wäre cineastische Emphase eine akademische Todsünde, entfremdet sie den Leser durch eine absurd fremdwortorientierte Sprache und sterile Theorielastigkeit völlig vom thematisierten Kinowerk. In space, no one can hear you scream – vielleicht doch, angesichts solcher Sätze:

Die Charakterisierung Ellen Ripleys als erfolgreiche Antagonistin des in die gender-utopische, futuristisch geordnete, fingierte Konvention einbrechenden Killers verschiebt die geschlechterdifferente Norm in der Rezeption zu symbolischer Neuordnung.

Jeder Geek hätte es souveräner auf den Punkt gebracht: „Wow, ein weiblicher Sci-Fi-Held!“

Tatsächlich müssen sowohl Akademiker wie Aficionados bei einem Kultfilm-Diskurs berücksichtigt werden. Kein Kult ohne Fandom. Auch zwei für das 21. Jahrhundert wegweisende Science-Fiction-Produktionen können zahllose Anhänger auf sich vereinen. Angefangen vom coolen Kostüm-Style über ein komplexes (pop)kulturelles Referenzsystem bis hin zur phänomenalen ‘State of the Art‘-Inszenierung bietet „Matrix“ (USA/Australien 1999) laut Désirée Kriesch viele Aspekte, um nachhaltige Begeisterung bis hin zur kultischen Verehrung eines eigenen filmischen Universums auszulösen.

Ähnliches bescheinigt Stefani Brusberg-Kiermeier dem ‘Mindfuck-Movie‘ „Inception“ (2010). Dramaturgisch trifft unzuverlässiges Erzählen auf visuellen Rausch, narrative Überdetermination auf identifikatorische Distanz, um sich derart als Traumszenario zu präsentieren. Oder eben nicht. Exakt bestimmen können das weder Filmforscher noch Filmfans. Einig sind sie sich nur, dass das ‘irgendwie‘ auf Kult(film) hinausläuft.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Jörg Helbig (Hg.) / Angela Fabris: Science-Fiction-Kultfilme.
Schüren Verlag, Marburg 2016.
258 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783894729714

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