Unvermittelte Utopie
Andreas Arndts Biographie „Die Reformation der Revolution“ über „Friedrich Schleiermacher in seiner Zeit“
Von Maximilian Huschke
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDenken ist immer zeitgebunden. Dass der Deutsche Idealismus nicht zuletzt immer auch als eine Reaktion auf die Umwälzungen im Nachbarstaat verstanden werden muss, ist communis opinio. Demnach ist die Frage, wie man’s denn mit der Revolution hielt, in einer Biographie des Zeitzeugen Friedrich Schleiermacher zentral, wenn sie aufs gesellschaftliche Moment des Denkens abzielt.
Andreas Arndt hat sich nun nicht die leichteste Aufgabe gestellt, immerhin war Schleiermacher nicht nur vielseitig als Theologe, Philosoph und nicht zuletzt Philologe, seine Konzeption einer Gesinnungsethik war zudem anschlussfähig für die Legitimation reaktionär-nationalistischer Exzesse. So gibt Arndt, langjähriger Mitarbeiter an der kritischen Schleiermacher-Ausgabe und Leiter des Forschungsprojekts Friedrich Schleiermacher in Berlin 1808-1834 an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, in der Danksagung die Absicht an, auch eine Ideologiekritik vornehmen zu wollen, die Falschheit der Überlegungen Schleiermachers entsprechend in ihrer historisch-gesellschaftlichen Notwendigkeit aufzuzeigen und sie als Ausdruck gesellschaftlicher Tendenzen und Widersprüche zu verstehen. Folgerichtig liegt mit Die Reformation der Revolution nicht ausschließlich eine Individualbiographie vor, aber auch kein reines Zeitporträt, sondern vielmehr wird ein Bild Schleiermachers gezeichnet, das eingedenk dessen gesellschaftlicher Bedingtheit, durch das Nachspüren der sozialen Vermitteltheit seines Lebens wie seines Denkens beide Aspekte samt ihrer objektiven Bedingungen darstellt.
In letzter Instanz, so verdeutlicht es bereits der Titel, werde beides durch das Verhältnis von Reformation und Revolution bestimmt: Bereits die an den Anfang gesetzten Gemälde, Karl Friedrich Schinkels Mittelalterliche Stadt an einem Fluss und Eugen Delacroix‘ Die Freiheit führt das Volk, machen diese Opposition als eine der deutschen Fürstentümer einerseits und der französischen Republik andererseits kenntlich. Während in der begründenden Revolution deren Prinzip „in die Wirklichkeit hinausgestürmt“ sei, so verharre sie in Deutschland als „Gedanke, Geist, Begriff“, bemerkt der auch von Arndt zitierte Hegel in seinen Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie. Hat sich aber in beiden „ein und derselbe von lange her gebildete[] Geist […] Luft [ge]schafft“, so doch „dort in einer realen, hier in einer idealen Revolution“ (Schelling). Man stand also diesseits des Rheins immer nur zu einem Zeitpunkt „in der Gesellschaft der Freiheit“, nämlich „am Tag ihrer Beerdigung“, wie Karl Marx 1843 überzeugt sein wird. Eine drängende Frage für Arndt ist dementsprechend, wie sich die von Kant herkommende „Revolution der Denkungsart“ zur deutschen Wirklichkeit verhält, später die „zur Weltschau ausgestellte Nichtigkeit des ancien régime“ (Marx).
Arndt weist wiederholt darauf hin, dass „die Revolution im politisch-gesellschaftlichen Bereich“ von Schleiermacher „nicht verdammt“ wird, jedoch sei „die eigentliche Revolution […] die Revolution der Denkart als Voraussetzung eines Fortschritts durch Reformen, den Schleiermacher für unausweichlich hält.“ Schleiermacher sei „gewiss kein Revolutionär, aber auch kein Reaktionär“. Auch wenn er die Revolution in Frankreich „eben ehrlich und unpartheiisch“ geliebt habe, insistiert er aber doch mit Kant, dass die Bedingung einer wirklichen Umänderung der Wirklichkeit die der Denkungsart ist, sonst würden „neue Vorurtheile […] eben sowohl als die alten zum Leitbande des gedankenlosen großen Haufens“ (Kant). In der geistigen Reflexion der wirklichen Revolution in Deutschland erfasst sie „Denkart und Gesinnung und wird zur Reformation“, bemerkt Arndt. „Schleiermacher versucht, deren Voraussetzungen und Ziele zu bestimmen“: Darin besteht die Reformation der Revolution.
Für das Ziel einer solchen Umänderung ist die Religion für Schleiermacher ein entscheidendes Moment der Bestimmung. Sie eröffnet die Perspektive auf „eine eigene Form der Vergesellschaftung der Individuen jenseits der zweckgebundenen gesellschaftlich-politischen Sphären“. Das „Reich Gottes“ wird als diese „religiöse Vergesellschaftung der Menschheit“ bestimmend für die „utopische Dimension“ der Texte Schleiermachers. Es deutet sich die „Utopie einer ästhetisch-moralisch-religiösen Vergesellschaftung der menschlichen Gattung“ an, die in der Religion nur als Enthusiasmus existiert, also in der Form „eine[r] immer nichtvollendete[n], im Ganzen nie auf den Begriff zu bringende[n] Welt“. Als praktisch zu erstrebendes, aber prinzipiell in dieser Welt nicht zu erreichendes Ideal werde sie „Antrieb eines geschichtlichen Fortschritts“. Lediglich in einigen vereinzelten Sphären scheint sie bereits an, so in der „freien Geselligkeit“, in der es eine „Indifferenz von Selbst- und Fremdbestimmung“ gebe, so Arndt. Schleiermacher sei „überzeugt, dass ‚die ersten Elemente der beßern Welt‘ schon im Nebel der Gegenwart zu erkennen seien“. Nach Schleiermacher ist diese bessere Welt dadurch bestimmt, dass „die Wirkung eines Jeden […] auf die Thätigkeit der übrigen [gehen soll], und die Thätigkeit eines Jeden soll seyn seine Einwirkung auf die andern.“ Für dieses Reich der Freiheit bleibt aber das „Missverhältnis zwischen Hoffnung und Realität“ wesentlich: als praktische Idee obliegt es nicht den Menschen, seine Pforte zu überschreiten.
Außer dieser ausbleibenden Vermittlung von utopischem Fluchtpunkt und realem Fortschritt in der Wirklichkeit, arbeitet Arndt Schleiermachers starren Begriff des Fortschritts heraus, um an ihm die von Schleiermacher beanspruchte Vermittlung von Theorie und Empirie als eine auszuweisen, die in der Opposition beider Kategorien verbleibt und die Theorie metaphysisch verabsolutiert: Der Fortschritt ist einer, der „in der Konstruktion der Geschichte a priori festgeschrieben“ ist, er lässt „keinen Platz für die Härten der Negativität, die Erfahrungen des Unglücks und der Zusammenbrüche.“
Im Rahmen der Rekonstruktion der Ethik von Schleiermacher kommt er schließlich auch auf die Brogi-Klaatsch-Affäre zu sprechen: In Berlin war Ende 1811 der jüdische Student Josef Leyser Brogi von mehreren Kommilitonen misshandelt worden. Während der sonst mit seinem Antisemitismus nicht gerade zurückhaltende Fichte den Angegriffenen verteidigte, nahm Schleiermacher die Angreifer mittels der eigenen Gesinnungsethik in Schutz und attestierte dem Opfer, „als Jude der ‚Gemeinschaft der Gesinnung‘, wie sie unter der Majorität der Studierenden vorherrsche, fremd zu sein.“ Rücke das die Ethik nicht per se „insgesamt in ein antijudaistisches Licht“, zeigt es deren wesentliches Problem, wenn sie das „Recht nur innerhalb einer Gesinnungsgemeinschaft“ denken kann. Tendenziell schießt sie mit der Legitimation der Vernichtung der Differenz zusammen, indem ihr Recht nur als „Ausdruck einer unmittelbaren Einheit von Eigentümlichkeit und Gemeinschaft“ ist.
Kann Arndt konzise die Bildungsbiographie Schleiermachers entwickeln, unter Verweis auf die Herrnhuter, Kant und die Französische Revolution, mangelt es seinen Ausführungen an Konsequenz bei den von ihm prägnant herausgearbeiteten Bruchstellen dessen Denkens, wie dem verhärteten Fortschrittsgedanken. Gerade mit Blick auf die eigens benannte Absicht, auch eine Ideologiekritik vornehmen zu wollen, hätte es an diesen Stellen mehr argumentativer Kraft bedurft, die Lücken seines Denkens nicht nur argumentativ aufzubrechen, sondern sie auch als Ausdruck des Standes des Bewusstseins der Freiheit zu deuten und sie nicht als dem Denken äußerlich abzutun. Trotzdem ist Arndt mit Die Reformation der Revolution nicht zuletzt ein lehr- und materialreicher Beitrag zur Erhellung der Selbstreflexion des Denkens im Deutschen Idealismus unter Fokussierung der politischen Umwälzungsprozesse gelungen.
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