Tresor mit Leiche

In „Der letzte Tod“ ermittelt Alex Beers Kriminalinspektor August Emmerich zum fünften Mal in Wien nach dem Ersten Weltkrieg

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit 2017 lässt die österreichische Schriftstellerin Daniela Larcher unter dem Pseudonym Alex Beer ihren Wiener Kriminalinspektor August Emmerich ermitteln. Wenn die Reihe beginnt, ist der Erste Weltkrieg gerade zu Ende gegangen. Nun, in Band 5, schreibt man das Jahr 1922. Das Land leidet inzwischen unter einer galoppierenden Geldentwertung. Jeden Monat verdoppeln sich die Verbraucherpreise. Ein Ende der Inflation ist nicht abzusehen. Banknoten zu einer Million und 10 Millionen Kronen sollen in Kürze aufgelegt werden. Allein die ganze Misere trifft nicht so sehr die Reichen, sondern vor allem jene, die sich schon vorher kaum etwas leisten konnten. Für sie wird das Überleben immer schwieriger. Einige skrupellose Hasardeure aber profitieren sogar noch von der Situation.

Doch Inspektor August Emmerich hat noch andere Sorgen als die, dass seine geliebten Zigaretten von Tag zu Tag teurer werden. Denn in dem Tresor, vor dessen offener Tür zwei Landstreicher am Anfang von Beers neuem Roman stehen, befindet sich kein Goldschatz, sondern die Leiche eines seit knapp zwei Jahren vermissten Kellners. Ein klarer Fall für die „Abteilung Leib und Leben“ der Wiener Polizei, deren Star der seit einer Kriegsverletzung humpelnde und alles andere als wohlerzogen daherkommende Emmerich ist. Diesmal steht dem Enddreißiger nicht nur sein Assistent Ferdinand Winter – in fast allem das genaue Gegenteil des Inspektors – zur Seite, sondern er muss sich auch noch um den Psychoanalytiker Sándor Adler kümmern – der Name scheint angelehnt an zwei berühmte Vertreter der Psychologengilde, Sándor Ferenczi und Alfred Adler –, der sich von einer Zusammenarbeit mit der Polizei tiefere Einsichten in das Wesen des Bösen verspricht.

Weil der auf grausame Weise ermordete Kellner Julius Mandl in einem von der High Society Wiens stark frequentierten Nachtlokal arbeitete, führt der Fall Emmerich und seine beiden Begleiter bald in höchste Kreise. Man besucht eine Soirée bei dem Max-Reinhardt-Freund, Milliardär und Finanzhasardeur Camillo Castiglioni, der, wenn er wollte, nicht nur das Theater in der Josefstadt, sondern ganz Österreich aufkaufen könnte. Und der vor kurzem als Bundeskanzler abgetretene und wieder in sein altes Amt als Polizeipräsident zurückgekehrte Johann Schober kümmert sich persönlich mit um die Ermittlungen des Inspektors als sich herausstellt, dass der Fall internationale Dimensionen besitzt.

Erste Verdächtige werden ermittelt, Spuren aufgenommen, die aber allesamt ins Nichts führen. Und langsam scheint sich zu bestätigen, was Adler schon von Anfang an vermutete: Der Mord an Julius Mandl ist kein Einzelfall, sondern der Kellner war das Opfer eines in mehreren Ländern aktiven Serientäters, der offensichtlich weiter mordet. Eile ist also dringend geboten, will man dem Mann das Handwerk legen.

Was der Autorin bereits in den ersten vier Bänden der Emmerich-Winter-Reihe vorzüglich gelang, nämlich die Verbindung von historischer Realität und erdachten Kriminalfällen, dank derer sich der Leser gut in die Zeit der Handlung hineinzudenken vermochte, darf auch dem Roman Der letzte Tod wieder als Pluspunkt angerechnet werden. Emmerich und seine beiden Begleiter werden mit den Hunger- und Teuerungsunruhen jener Tage konfrontiert und geraten mitten in eine jener antisemitischen Demonstrationen, wie sie Anfang der zwanziger Jahre zunehmend an der Tagesordnung waren. Das Ganze wird dargeboten in einem flüssigen Erzählton; sparsam eingesetzte Austriazismen und ein paar Zeilen aus bekannten Gassenhauern sorgen für regionales Flair und auch der Humor kommt – ein wenig stärker noch als in den Vorgängerbänden – nicht zu kurz.

Auf alle Fälle ist es, nachdem August Emmerich zunächst wenig Vorteilhaftes darin sehen kann, auf Schritt und Tritt vom Vertreter einer Wissenschaft begleitet zu werden, die er genauso wenig Ernst nimmt wie viele andere seiner Zeitgenossen, letztlich doch gut, dass Sándor Adler sich einmischt, so oft er kann. Denn seine Intuition lässt Emmerich zwar auch diesmal letzten Endes nicht im Stich, doch den psychopathischen Mörder, der seine Opfer in enge Behältnisse sperrt und dort elend zu Tode kommen lässt, zu verstehen und ihn letztlich mit einem Trick zu überführen, gelingt ihm nur dank Adlers Hilfe.          

Zum Verständnis von Der letzte Tod ist die Kenntnis der ersten Romane der Reihe nicht unbedingt nötig. Allerdings werden ein paar Handlungsfäden wiederaufgenommen, die vor allem die Bände 4 und 5 miteinander verbinden. Dazu zählen das Rätsel um die Herkunft Emmerichs, der nach dem Tod seiner Mutter und nachdem sein leiblicher Vater sich vor der Verantwortung dem Kind gegenüber drückte, in einem Findelheim aufwuchs, und die Geschichte um Xaver Koch, den ersten Mann und Mörder der großen Liebe des Inspektors, den er ins Gefängnis brachte und dessen drei Kinder inzwischen bei Emmerich aufwachsen.

Gelingt es dem Inspektor einerseits, Licht in das Dunkel seiner Vergangenheit zu bringen und endlich Kontakt zu seinem – allerdings bereits im Sterben liegenden Vater – aufzunehmen, so bleibt auf der anderen Seite die Auseinandersetzung mit dem brutalen Mörder Koch, der aus dem Gefängnis flieht, um sich am Inspektor zu rächen, und von diesem bis nach Budapest gejagt wird, weiterhin spannend. Und der letzte Satz von Beers Roman – „Diese Geschichte war noch nicht abgeschlossen.“ – lässt ebenfalls darauf schließen, dass es mit den beiden Helden der Autorin wenigstens noch ein Buch weitergehen dürfte.

Titelbild

Alex Beer: Der letzte Tod. Ein Fall für August Emmerich.
Kriminalroman (Die Kriminalinspektor-Emmerich-Reihe, Band 5).
Limes Verlag, München 2021.
384 Seiten , 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783809027492

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