Gegen den patriarchalen Imperativ

Die kinderfreie Autorin Verena Brunschweiger erklärt in ihrem Buch „Die Childfree-Rebellion“, warum es „gerade radikal genug“ ist ‚zu radikal‘ zu sein

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Anfang des Jahres 2019 publizierte die Regensburger Gymnasiallehrerin Verena Brunschweiger unter Hinweis auf den Klimawandel ein Plädoyer dafür, um das Wohl künftiger Generationen Willen auf eigene Kinder zu verzichteten, wobei es sich ihr zufolge allerdings gar nicht um einen individuellen Verzicht, sondern um einen persönlichen Gewinn handelt, kinderfrei zu bleiben. Kinderfrei statt Kinderlos lautet denn auch der Titel ihres damaligen Buches. Doch anders, als er vermuten lässt, steht der feministische Verweis auf den Zugewinn persönlicher Freiheit zumal für kinderfreie Frauen gegenüber ihrer klimakritischen Argumentation etwas zurück.

Der schmale Band hat zwar einige zustimmende Reaktionen hervorgerufen, jedoch in Presse, Funk und insbesondere in den zumeist unsozialen Medien von Facebook bis hin zu diversen Blogs vor allem empörte Zurückweisung erfahren, die nicht nur von Unkenntnis des kritisierten Werkes zeugte, sondern zudem in haarsträubenden Unterstellungen und persönlichen Angriffen auf die Autorin mündete. Statt sich der Mühe zu unterziehen, sich mit ihren Argumenten auseinanderzusetzen, wurden ihr „Menschenfeindschaft“, eine „negative Gefühlslage“ und Übleres unterstellt. Auch etliche Eltern beschimpfen Brunschweiger auf geradezu unflätige Weise. Dabei sollten sie ihr vielmehr dankbar sein. Denn Menschen wie die Autorin bekommen keinen Nachwuchs, damit die Kinder anderer einmal in einem klimatisch menschenfreundlicheren Habitat leben können und nicht in sonnenverbrannten Wüsten einen Kampf ums nackte Dasein führen müssen.

Nun hat Brunschweiger einen zweiten Band folgen lassen, in dem sie eher zurückhaltend, aber doch erkennbar verletzt über einige der feindseligen Reaktionen aus der „digitalen Meute“, „außer Kontrolle geratenen Kommentarspalten“ und von einigen KollegInnen im Lehrerzimmer ihrer Schule berichtet. Selbst zum Bayrischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus wurde sie zitiert und von „vier Leuten […] zur Rede gestellt“. Doch war die Druckerschwärze des neuen Bandes kaum getrocknet, da bliesen erste KritikerInnen schon ins gleiche Horn wie zuvor. Allen voran die taz-Autorin Silke Mertins in einem ganz zu Unrecht unter der Rubrik „argumente“ veröffentlichten Text, in dem sie sich darüber empört, dass Brunschweiger sich erdreistet, ein zweites Buch zum Thema geschrieben zu haben, und ihr vorwirft, sie „missbrauche […] die Klimakrise für eine neue Kinderfeindlichkeit“.

Tatsächlich kann davon keine Rede sein. Vielmehr wiederholt Brunschweiger in ihrem neuen Buch geduldig noch einmal die ihr wichtigsten Gründe dafür, keine Kinder zu bekommen, wobei es ihr eben nicht zuletzt um das Wohl der Kinder anderer Leute geht. Ihre durchaus altruistische Absicht ist es, „den Planeten lebenswert zu erhalten für Tiere, Pflanzen und Menschen“. Sich nicht fortzupflanzen, sei nun einmal der „größtmögliche […] individuelle […] Beitrag zum Umweltschutz“.

Neben ökologischen führt sie teils altbekannte „radikalfeministische […] und philosophische […] Gründe“ an, sich nicht fortzupflanzen. Erstere wenden sich gegen den „patriarchale[n] Imperativ“, der besagt, dass Frauen Mütter zu werden haben. Letztere greifen etliche Argumente aus der Geschichte des seit der Antike von verschiedenen PhilosophInnen vertretenen Antinatalismus auf, von dem sich Brunschweigers Haltung jedoch grundsätzlich dadurch unterscheidet, dass sie nicht wie dieser die Menschheit erlöschen lassen will, um dem Leiden ein Ende zu setzen, sondern sie ganz im Gegenteil den Planeten für Menschen lebenswert erhalten möchte.

Und dazu, so argumentiert Brunschweiger, sei es nötig, die Fortpflanzung vor allem in den westlichen Industrienationen zu reduzieren. Denn „ein Kind mit westeuropäischem Lebensstandard [verbraucht] so viel Ressourcen […] wie dreißig Kinder, die in den subsaharischen Ländern aufwachsen“. Der Ressourcenverbrauch eines deutschen Kindes sei sogar neunzig Mal so hoch wie der eines Kindes in einem „extrem armen Land“. Ihre „Bedenken“ richten sich daher nicht gegen kinderreiche Familien solcher Regionen, sondern gegen die „wohlhabende […] Gruppe der Ursula von der Leyens“.

Dass dies AnhängerInnen der Neuen Rechten ganz anders sehen, versteht sich. Es sind Brunschweiger zufolge zwei Gründe, aus denen sie „das Gebären“ weißer deutscher Kinder „lieben“. Zum einen werden „[m]ehr ‚einheimische’ Kinder […] zum Grund, um Flüchtlinge und Migranten abzuweisen“ –  vor zwanzig Jahren presste der CDU-Politiker und ehemalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers diese Haltung in die fremdenfeindliche Wahlkampfparole „Kinder statt Inder“ – und zum anderen „befestigt“ Mutterschaft „patriarchale Verhältnisse, indem man die eigenen Frauen in einer ideologiekonformen Rolle beschäftigt hält“.

Neben ökologische Gründe gegen Elternschaft stellt Brunschweiger daher feministische Argumente gegen Mutterschaft, ist es doch altbekannt, dass es sich bei dieser für allzu viele Frauen um eine antiemanzipatorische Falle handelt, aus der es so schnell kein Entrinnen gibt. Denn „[n]ach dem ersten Kind fallen unzählige junge moderne Paare in althergebrachte, längst vergessen geglaubte Rollenmuster zurück“. Das ist allerdings keineswegs rein individuellen Entscheidungen anzulasten, sondern vielmehr – etwa via Ehegattensplitting – politisch gewollt und strukturell vorprogrammiert. Während es für die Mütter nach wie vor nur allzu oft bedeutet, bis auf weiteres an den Haushalt gekettet zu sein, hat es für die Väter zur Folge, dass sie „sich an herkömmlichen Mustern von männlicher Herrschaft […] orientieren: Dominanz und Distinktion“.

Doch nicht nur Konservative und Rechte machen sich dafür stark, Kinder in die Welt zu setzen. Auch linke oder vermeintlich linke Umweltgruppierungen wie die „Bewegung Extinction Rebellion“ sind in ihrer „pronatalistischen Haltung“ laut Brunschweiger zumindest „naiv und unkritisch“. Und am Beispiel eines Interviews, das der gerne durch marxistisch/leninistische Gefilde irrlichternde Popularphilosoph Slavoj Žižek 2019 der Süddeutschen Zeitung gewährte, zeigt sie, „[d]ass Vaterstolz, ein partiell systemkritischer Geist und gelebte Misogynie ohne Probleme Hand in Hand gehen“.

Der kritische Hinweis auf linke pronatalistische Haltungen ist einer der neuen Aspekte, die Brunschweigers zweites Buch gegenüber Kinderfrei statt Kinderlos bietet. Auch weist sie diesmal verstärkt auf die „enge Verbindung von Konsum und Pronatalismus“ hin und zeigt, dass Heiraten und Elternschaft nicht nur von PolitikerInnen unterschiedlichster Couleur propagiert werden, sondern ganz besonders aggressiv in der Werbung für ganz verschiedene Produkte eingesetzt werden. Denn Eltern stehen „als Garanten von Wachstum im Fokus unseres Wirtschaftsmodells“. Darüber hinaus hat Brunschweiger dem neuen Buch einige Exkurse eingefügt, in denen sie Fragen der Rente oder des Tierschutzes erörtert und über Freemales, also „Frauen, die sich bewusst gegen Partnerschaften entscheiden“, informiert. Laut einem im Observer vom 25. Mai 2019 erschienenen Artikel mit dem Titel Women are happier without children or a spouse, says happiness expert bilden sie der Autorin zufolge sogar „die glücklichste gesellschaftliche Gruppe“ überhaupt.

Interessant ist nicht zuletzt Brunschweigers verblüffende Feststellung, dass es bislang „keine Forschungen dazu [gibt], wie sich der Pronatalismus in der Sprache wiederfindet“. Anders als der Sexismus scheint sich der Pronatalismus zwar nicht in der deutschen Grammatik und Sprachstruktur niederzuschlagen, doch lassen sich pronatalistische Ausdrücke und Metaphern schnell finden. So wird ein breites weibliches Becken etwa als „gebärfreudig“ bezeichnet oder Schwangerschaft mit dem „Euphemismus ‚guter Hoffnung sein‘“ belegt. Allerdings führt die Autorin auch ein Gegenbeispiel an: den „wohl humoristisch gemeinte[n] Begriff der ‚Stilldemenz‘“. Statt die Verunglimpfung als frauen- und spezifisch mütterfeindlich zu kritisieren, meint Brunschweiger, das mit dem Ausdruck „karikierend“ beschriebene „Phänomen“ sei „eine natürliche Sache“.

Hierzu passt ihr gelegentlicher Hang zu biologistischen Formulierungen. So spricht sie etwa davon, dass Menschen, die Kinder bekommen, ihrer „biologischen Bestimmung folgen“. Andererseits macht sie ähnliche Biologismen aber auch in ihrer typisch polemischen Art lächerlich. So etwa, wenn sie moniert, dass „schön biologistisch davon ausgegangen [wird], dass weibliche Wesen einen größeren Hang zu kleinen Heulbojen haben, nur weil keines ihrer beiden X-Chromosomen ramponiert ist“.

Neben gelegentlichen Biologismen ist auch zu monieren, dass Brunschweiger die Quellen ihrer Statistiken und Befunde nicht immer hinreichend ausweist. Wenn sie etwa auf eine „Juli-Ausgabe von Psychologie heute“ verweist, wäre es schon hilfreich zu erfahren, von welchem Jahr die Rede ist. Zur Validierung ihrer Feststellung, „Kinderfreie Paare seien im Schnitt doppelt so glücklich wie Eltern“, verweist sie zwar auf eine Publikation des „Psychologieprofessors“ Matthew D. Johnson, doch bleibt hier die Frage offen, wie Glück quantifiziert werden kann.

Was den Kern ihres Anliegens betrifft, aus ökologischen und feministischen Gründen kinderfrei zu bleiben, bietet Brunschweigers neues Buch gegenüber dem ersten zwar wenig Neues, doch ist es wichtig, das Thema auf der Tagesordnung zu halten. Schließlich müssen FeministInnen etliche ihrer Argumente und Forderungen etwa gegen Prostitution oder für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch spätestens seit dem 19. Jahrhundert immer wieder gebetsmühlenartig wiederholen. Und auch Kritik an der „hohlen Phrasenhaftigkeit der üblichen Mutterschaftsverherrlichung“ wurde schon früh von FeministInnen wie Rosa Mayreder vorgebracht.

Titelbild

Verena Brunschweiger: Die Childfree-Rebellion. Warum »zu radikal« gerade radikal genug ist.
Büchner-Verlag, Marburg 2020.
148 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783963171963

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