Niedliche Katzengedichte

In der Anthologie „Katzen“ zeigt der Herausgeber Abel Debritto die sentimentale Seite Charles Bukowskis

Von Rafael Arto-HaumacherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rafael Arto-Haumacher

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer den weichen Kern unter der rauen Schale entdecken möchte, kann es in diesem Buch tun: Charles Bukowski (1920–1994) schreibt über Katzen, über seine Zuneigung zu den Tieren und die seltenen Glücksmomente, wenn er die schnurrenden Vierbeiner um sich hat und beobachten kann.

Der – je nach Sichtweise – geniale amerikanische Kultautor oder überschätzte Fäkal-Poet, der mit derb-prägnanter Sprache und entlarvendem Blick auf die Schattenseiten menschlicher Existenz den gesellschaftlichen Außenseitern eine literarische Stimme verlieh, tat sich mit Menschen schwer: „Ich mag Hunde lieber als Menschen. Und Katzen lieber als Hunde.“ So sind die im vorliegenden Buch von Abel Debritto zusammengestellten Texte allesamt Liebeserklärungen an diese Tiere, freilich im Bukowski eigenen Erzählstil, der wie gewohnt konzis, ruppig, sarkastisch und mitunter gar – eher ungewohnt – romantisch ist:

Ich fahre nach Hause, biege in die Einfahrt, parke, steige aus, bloß ein alter Matador. Aber drin, kaum ist die Tür auf, springt mir meine liebste weiße Katze, The Jinx, in die Arme, und mit einem Mal bin ich wieder verliebt.

Im Bukowski’schen Katzenkosmos tummeln sich Ting, Ding, Beeker, Beau, Feather oder Beauty, die Hauskatzen Bukowskis. Sie hätten eigentlich die Namen von Schriftstellern erhalten sollen, wenn der Autor nicht seiner Frau Linda Lee die Namensgebung überlassen hätte. Bukowski beobachtet Streuner, die überfahren oder gequält wurden oder Revierkämpfe halbtot überstehen – und doch einen unbändigen Lebenswillen haben. Weiterhin erzählt er von Katzen, die Vögel jagen, im Traum erscheinen, angeschossen wurden oder liebevoll gesund gepflegt werden. Gelassen erträgt Bukowski Kater, die in Betten und auf Computer urinieren oder Manuskripte besudeln:

mein Kater […] kackte mir auf […] meine handgeschriebenen Gedichte […] dieser einohrige, fette, schwarze Kritiker hat mich abgeschrieben.

Nicht selten ist sein Sinnieren über Katzen ein Sinnieren über die Welt und die Widrigkeiten des menschlichen Seins „in der guten alten Tretmühle Amerika“; das bewundernde Beobachten der Tiere gerät ihm zum „Lehrstück im Durchhalten trotz aller Widrigkeiten“. Bukowski, der die Liebe zu Katzen mit seinem Landsmann und Autorkollegen Ernest Hemingway teilte, schätzt die Tiere deshalb, weil sie in ihrem Wesen grundverschieden zum Wesen des Menschen sind, sie „sind uns überlegen“:

den verdammten Katzen
ist all das vollkommen egal.

und
wenn es ihnen nicht egal wäre
könnte ich sie auch
nicht leiden:
alles
was menschlichem
Streben
zu nahe kommt
verliert seinen natürlichen
Wert.

Die Bandbreite der Texte bewegt sich von kurzen, in sich geschlossenen Prosastücken („Eines Tages stand ich wie üblich wartend rum“), über knappe, mitunter nur zweizeilige Gedichte („Vor die Katzen gegangene Vögelchen singen / weiter in meinem Kopf.“), bis hin zu sperrigen Stücken, bei denen die Entscheidung schwerfällt, ob sie bedacht komponiert oder im Halbdelirium aufs Papier geschmiert wurden („Die Katze, die den Vogel tötet“). Überraschungen ergeben sich dem Bukowski-Vertrauten also nicht, die kürzeren Texte des Autors changierten schon immer zwischen schrägen, jedoch klugen Welterklärungsstatements und schwer deutbarer Suff-Poesie.

Wer die Schreibart und die wenigen, häufig variierten Sujets des ‚Dirty Old Man‘ (nach Notes of a Dirty Old Man, 1969) schon immer mochte, wird sicher sein Gefallen an diesen skurrilen, überraschend emotionalen Texten finden, auch wenn sie der Bewertung des Werks keine neuen Facetten hinzufügen. Wer sich mit Bukowski bislang schwertat, den wird auch diese Anthologie wohl kaum zum Fan machen, selbst wenn man ausgesprochener Katzenliebhaber sein sollte.

Abel Debritto ist ausgewiesener Bukowski-Kenner und hat unter anderem bereits die Textsammlung Über das Schreiben (2017) herausgegeben. Er hat in Katzen Wert darauf gelegt, die Texte vorzugsweise nach Originalmanuskripten und nicht nach bereits erschienenen Textfassungen zu drucken, die zum Teil starke Überarbeitungen aufwiesen. Wo keine originale Textfassung mehr aufzufinden war, wurde nach den Erstdrucken in obskuren, meistens schwer zugänglichen Literaturzeitschriften gedruckt. Der Bukowski-Anhänger kann sich also darüber freuen, hier Prosatexte und Gedichte in bislang unbekannten Fassungen zu erhalten. Abgerundet wird das kleinformatige Bändchen durch die einzige geglückte Katzen-Zeichnung Bukowskis und einige Fotografien, die den Literaten und seine Ehefrau mit ihren Katzen zeigen.

Es bleibt noch, die kongeniale Übersetzung von Jan Schönherr hervorzuheben. Ihm gelingt es bravourös, die sprachtypischen Eigenheiten Bukowskis ins Deutsche zu übertragen, ohne dass es holprig oder artifiziell klingt. Damit kann Schönherr durchaus dem 2012 verstorbenen, langjährigen Übersetzer und Freund Bukowskis Carl Weissner das Wasser reichen.

Allerdings hat der Band auch ein kleines Manko: Es fehlen die Hinweise, wann die jeweiligen Texte entstanden, in welchen Medien sie erstmalig erschienen sind oder ob sie auf Originalmanuskripte zurückgehen. Leider lässt sich so weder die Provenienz des einzelnen Texts zurückverfolgen, noch lassen sich die Prinzipien der Anordnung im Band nachvollziehen. Gerade im Falle Bukowskis wäre es durchaus interessant zu wissen, in welcher Phase seines Lebens oder in welchem Werkkontext ein Text entstanden ist. Hier hilft nur das Ausweichen auf die englischsprachige Originalausgabe On Cats (2015), in der genau diese bibliographischen Angaben vorhanden sind.

Sicherlich mag es stärkere, aufschlussreichere Textsammlungen des amerikanischen Autors geben. Dennoch ist die Lektüre eine unterhaltsame Reise durch die Katzenwelt Bukowskis mit vielen kauzigen, liebevollen Katzenportraits. Nicht zuletzt bekommt man hier Texte vorgelegt, die in dieser Form noch nicht veröffentlicht waren – Texte, die es eigentlich gar nicht geben sollte:

ich
mag keine niedlichen Katzen-
gedichte 
habe aber trotzdem eins
geschrieben.

Titelbild

Charles Bukowski: Katzen.
Aus dem Englischen von Jan Schönherr.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020.
144 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783462054316

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